Kinder impfen oder nicht? Immer wieder wird das Myokarditis-Risiko als Gegenargument angeführt. Eine neue Studie scheint das zu bestätigen – doch so einfach ist es nicht.
Im Verlauf der Impfkampagne mit den mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19 machten immer wieder Fälle von Myokarditis Schlagzeilen. Häufig waren demnach Jüngere männlichen Geschlechtes betroffen. Die STIKO hat im August dennoch eine Impf-Empfehlung für Jugendliche ab 12 Jahren ausgesprochen, da der Nutzen durch den Schutz einer Impfung den Folgen einer COVID-19-Infektion überwiege. Ein Preprint untersuchte nun die Myokarditis-Rate nach Alter, Geschlecht und Dosis in Zusammenhang mit dem COVID-19-Hospitalisierungsrisiko.
Zur Berechnung nutzten die Forscher das US-amerikanische Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS), in dem die unerwünschten Ereignisse der Geimpften erfasst wurden. Die retrospektive Auswertung erfolgte zu den Daten von Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren, die im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 18. Juni 2021 gesammelt wurden. Die Suchkriterien für die Symptome umfassten Brustschmerz, Myokarditis, Perikarditis und Myoperikarditis, um Anzeichen einer Herzverletzung zu identifizieren. Auch Daten zu Troponin, sowie EGK, ECHO oder cMRI und eine Abgleichung mit der CDC working case definition für wahrscheinliche Myokarditis wurden in der Suche berücksichtigt.
Die kardialen unerwünschten Ereignisse (CAE) wurden nach Alter, Geschlecht und Anzahl der Impfdosis stratifiziert. Eine Risiko-Nutzen-Analyse wurde ebenfalls anhand bereits existierender Literatur zu COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthaltsrisiken innerhalb der untersuchten Altersgruppe durchgeführt. Die große Mehrheit der Probanden hatte den Impfstoff von Biontech bekommen, da dieser zum Zeitraum der Untersuchungen als einziger für unter 18-Jährige in den USA erhältlich war.
Insgesamt wurden 257 CAEs identifiziert. Davon wiesen lediglich 25 Frauen unerwünschte Ereignisse nach der Impfung auf, wohingegen die Anzahl bei den Männern bei 232 lag. Dabei war die CAE-Rate pro Millionen nach Erhalt der 2. Dosis bei Männern im Alter von 12 bis 15 Jahren bei 162,2 und in der Altersgruppe von 16 bis 17 Jahren bei 94,0. Für Mädchen im Alter von 12 bis 15 Jahren wurde lediglich eine Rate von 13,0 pro Millionen erfasst und für 16- bis 17-Jährige eine Rate von 13,4 pro Millionen.
Die CAE-Rate unter den Jungs im Alter von 12 bis 15 Jahren ohne Komorbiditäten war 3,7- bis 6,1-fach höher als ihr 120-tägiges COVID-19- Hospitalisierungsrisiko (7-Tage-Hospitalisierungs-Inzidenz im August bei 1,5), sowie 2,6 bis 4,3-fach höher als in Zeiten einer extrem hohen Hospitalisierungsrate (7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz im Januar 2021 bei 2,1). Bei Jungen im Alter zwischen 16 und 17 Jahren ohne medizinische Begleiterkrankung ist die CAE-Rate etwa um das 2,1- bis 3,5-fache höher als ihr 120-tägiges COVID-19-Hospitalisierungsrisiko im August 2021 und 1,5- bis 2,5-mal höher als im Januar 2021.
Die Autoren betonen, dass die CAE-Rate nach der Impfung bei Jungen im Alter von 12 bis 15 Jahren am höchsten war. Die Rate übersteige die der erwarteten 120-tägigen COVID-19-Hospitalisierungsrate – sowohl bei moderaten, als auch bei hohen Hospitalisierungsinzidenzen. Somit zeige sich, dass das Myokarditis-Risiko nach einer Impfung stark von Alter und Geschlecht abhänge. Jungen in jüngeren Altersgruppen sind stärker davon betroffen, wobei die Rate bei 12- bis 15-Jährigen 12-mal höher ist als bei gleichaltrigen Mädchen. Dennoch erklären die Forscher, dass noch weitere Untersuchungen zum Schweregrad und zu den Langzeitfolgen der CAE nach der Impfung erforderlich sind.
Die Ergebnisse scheinen zwar alarmierend, dennoch handelt es sich hierbei um eine einzelne und deskriptive Studie. Die zugrundeliegende VAERS-Datenbank basiert zudem auf ungeprüften Arzt- und Patientenberichten über mögliche Nebenwirkungen, die jede Person eintragen kann. Daher können die Berichte auch ungenau und falsch sein. Es dient eher als Frühwarnsystem für die amerikanischen Behörden CDC und FDA.
Des Weiteren wurden die erhöhten Risiken fast ausschließlich nach Erhalt der zweiten Dosis erfasst. Dazu kommt, dass keine heterologe Verimpfung untersucht wurde. Das Risiko für eine Myokarditis ausgehend vom Moderna-Impfstoff wurde ebenfalls nicht erfasst, da nur ein Proband diese vollständige Impfung verabreicht bekommen hat. Der Vergleich zur Hospitalisierungs-Inzidenz erscheint ebenfalls willkürlich, da die CAE-Raten lediglich für den Zeitraum von Januar bis Juni erfasst wurden, und keine Daten für den August 2021 vorliegen. Die gewählten Zeitpunkte sind somit nicht ausreichend begründet bzw. zurückzuführen auf die Schutzwirkung oder tatsächliche Hospitalisierung durch die Impfung.
Diese Ergebnisse sollten zwar zukünftig berücksichtigt werden, jedoch müssen weitere unabhängige und weltweite Studien erfolgen, um eine ausreichende Risiko-Nutzen-Abschätzung zur Impfung in diesen Altersgruppen zu tätigen. Auch Daten über Transmission, Myokarditis-Risiko durch eine COVID-19-Infektion, sowie psychosozialen Folgen einer Infektion und klar definierte Vorerkrankungen bzw. mögliche Risikofaktoren, unter anderem Adipositas oder Anorexia, in dieser Altersgruppe müssten daher ebenfalls berücksichtigt werden.
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