Vosoritid trug bei Kindern mit Achondroplasie zur Steigerung der Wachstumsgeschwindigkeit bei. Erfahrt hier, wie der Wirkstoff am FGFR3-Signalweg ansetzt.
Achondroplasie kann neben einer verringerten Körpergröße zu schwerwiegenden, potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen führen.2 Alle bisherige therapeutische Ansätze sind auf die symptomatische Behandlung vorhandener Komplikationen ausgerichtet.3 Mit Vosoritid (Voxzogo®▼) steht Menschen mit Achondroplasie nun die erste zielgerichtete Therapieoption in der Europäischen Union zur Verfügung. Indiziert ist das Arzneimittel für die Behandlung von Patienten ab 2 Jahren, deren Epiphysen nicht geschlossen sind. Die Diagnose der Achondroplasie sollte durch entsprechende genetische Tests bestätigt werden.1
In der Phase-III-Studie führte Vosoritid bei Kindern ab 5 Jahren zu einer signifikanten Steigerung der mittleren annualisierten Wachstumsgeschwindigkeit um 1,57 cm/Jahr verglichen mit Placebo.4 „Dass wir der genetisch bedingten Wachstumshemmung nun gezielt entgegenwirken können, eröffnet ganz neue Perspektiven“, erläuterte Prof. Frank Rutsch auf der Launch-Pressekonferenz von BioMarin.5 Voxzogo® wurde am 26. August 2021 von der Europäischen Kommission zugelassen.1
Äußerlich ist Achondroplasie vor allem durch stark verkürzte Extremitäten, Makrozephalie und Mittelgesichtshypoplasie gekennzeichnet.2 Die Körpergröße bei Erwachsenen liegt durchschnittlich zwischen 125 und 130 cm.2 Aufgrund einer Gain-of-Function-Mutation im Gen für den Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor 3 (FGFR3) – der die enchondrale Ossifikation an der Wachstumsfuge reguliert – kommt es bei Achondroplasie zu einer frühzeitigen Verknöcherung des Knorpels.2 Die Folgen sind Fehlbildungen der Wirbelsäule und einiger Schädelknochen sowie ein verlangsamtes Längenwachstum der Extremitäten.
Neben dem Kleinwuchs, der den Alltag von Menschen mit Achondroplasie deutlich einschränkt, können klinische Folgeerscheinungen und Komplikationen auftreten, die sich direkt oder indirekt auf das gestörte enchondrale Knochenwachstum zurückführen lassen.2,6,7 „Bereits ab dem Säuglingsalter lassen sich eine Kompression des Rückenmarks, orthopädische Beeinträchtigungen und motorische Entwicklungsstörungen beobachten“, so Prof. Klaus Mohnike. „Aber auch Atemprobleme und häufige Mittelohrentzündungen, die zu Hörverlust und einer verzögerten Sprachentwicklung führen können.“
„Die einzige bisherige Behandlungsoption – eine operative Arm- und Beinverlängerung – wird im Rahmen einer Achskorrektur angewandt, stellt eine zeitliche aufwändige und insbesondere im Kindes- und Jugendalter eine erhebliche Belastung dar. Wachstumshormon ist nicht für Achondroplasie zugelassen“, erklärte Mohnike. Bislang sei keine Therapie verfügbar gewesen, die auf die molekulare Ursache der Achondroplasie – die Daueraktivität des FGFR3-Signalwegs – abziele. Das C-Typ-natriuretische Peptid (CNP) ist ein natürlicher Gegenspieler des FGFR3.2 „Bei Achondroplasie reicht das körpereigene CNP schlicht nicht aus, um der dauerhaften Wachstumshemmung durch den mutierten FGFR3 entgegenzuwirken“, so Rutsch.
Genau dort setze Vosoritid – ein rekombinantes, modifiziertes CNP-Analogon mit verlängerter Halbwertzeit – an.3 Das klinische Entwicklungsprogramm von Vosoritid umfasst eine 6-monatige Baseline-Studie, mehrere Phase-II- und eine Phase-III-Studie; jeweils plus Extension. Diese haben das Ziel, die Wirksamkeit und das Sicherheitsprofil von Vosoritid in verschiedenen Altersstufen über einen längeren Zeitraum zu untersuchen.4-8
Die Wirksamkeit und das Sicherheitsprofil von Vosoritid wurden in einer internationalen Phase-III-Studie an 24 Studienzentren in 7 Ländern überprüft. 121 Kinder mit Achondroplasie im Alter von 5 bis < 18 Jahren wurden randomisiert und erhielten 52 Wochen lang täglich eine subkutane Dosis Vosoritid (15 μg/kg Körpergewicht/Tag) bzw. Placebo.9 Primärer Endpunkt war die Veränderung der mittleren annualisierten Wachstumsgeschwindigkeit (Annualised Growth Velocity; AGV) gegenüber Baseline.9
Durch eine tägliche subkutane Behandlung mit Vosoritid konnte eine signifikante Steigerung der AGV um 1,57 cm/Jahr im Vergleich zu Placebo erreicht werden (95 %-Konfidenzintervall [1,22–1,93], p < 0,001).9 „Damit steht zum ersten Mal eine Therapie zur Verfügung, die das Knochenwachstum bei Achondroplasie signifikant beschleunigt – bei einem sehr guten Nutzen-Risiko-Profil“, fasst Rutsch die Studienergebnisse zusammen. Die beobachtete Wachstumssteigerung trat proportional sowohl an der Wirbelsäule als auch an den unteren Gliedmaßen auf. Es gab keinen Unterschied der Knochenmineraldichte nach einer Behandlung mit Vosoritid im Vergleich zu Placebo. Während der Behandlung mit diesem Arzneimittel war der mittlere Anstieg des Knochenalters vergleichbar mit dem mittleren Fortschreiten des chronologischen Alters. Das deutet darauf hin, dass die Knochenalterung nicht beschleunigt ist.1,9 Die häufigsten behandlungsbedingten Nebenwirkungen von Vosoritid waren Reaktionen an der Injektionsstelle (85 %), Erbrechen (27 %) sowie ein Abfall des Blutdrucks (13 %).
Quellen und Hinweis
1. Voxzogo® Produktinformation. BioMarin Pharmaceutical. Online unter: https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/voxzogo-epar-product-information_en.pdf. Letzter Aufruf am 10.09.2021.
2. Pauli RM. Orphanet J Rare Dis. 2019; 14 (1): 1.
3. Savarirayan R, et al. N Engl J Med. 2019; 381 (1): 25–35.
4. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01603095, Letzter Aufruf am 31.08.2021.
5. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02724228, Letzter Aufruf am 31.08.2021.
6. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03583697, Letzter Aufruf am 31.08.2021.
7. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04554940, Letzter Aufruf am 31.08.2021.
8. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT03424018, Letzter Aufruf am 31.08.2021.
9. Savarirayan R, et al. Lancet 2020; 396 (10252): 684–692.
▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Medizinisches Fachpersonal ist gebeten, jegliche vermutete Nebenwirkungen zu melden. Vollständige Informationen entnehmen Sie bitte der Fachinformation.
Bildquelle: note thanun, Unsplash