Klar, Reserveantibiotika wie Fluorchinolone haben ihre Berechtigung. Aber immer noch verschreiben deutsche Ärzte sie zu häufig. Lest hier mehr zu den aktuellen Zahlen – und zu den krassen Folgen, die dieser Eifer haben kann.
Noch immer werden Fluorchinolone in Deutschland unnötig oft verschrieben. Und obwohl wir im EU-Vergleich beim Verbrauch von Antibiotika insgesamt recht gut dastehen, könnten wir uns in Sachen Cephalosporine und Chinolone durchaus noch was bei unseren Nachbarn abschauen. So ist der deutsche Verbrauch von Cephalosporinen im Vergleich zu Dänemark, einem Land mit niedrigstem Verbrauch, um 80- bis 100-fach höher. Bei den Fluorchinolonen sieht es ähnlich aus: Im Vergleich zum Vereinigten Königreich verbrauchen die Deutschen etwa die 2,3- bis 3,2-fache Menge.
Diese und weitere Erkenntnisse zum Thema gehen aus einer deutschen Studie hervor, die im Journal Antibiotics erschienen ist. Darin untersuchten die Autoren die orale Gabe von Cephalosporinen und Fluorchinolonen im ambulanten Bereich. Sie haben sich dabei den Zeitraum 2014–2019 vorgenommen, wobei sie sich besonders auf das Jahr 2019 konzentrieren.
Die Forscher um Dr. Gabriele Gradl gruppierten die 16 Bundesländer dafür in Quartile und bewerteten den gesamten Antibiotikaverbrauch anhand der europäischen Qualitätsindikatoren für den ambulanten Einsatz von Antibiotika. Ein niedriger Wert steht dabei für eine hohe Qualität in der Evaluation.
Die Qualitätsindikatoren betreffen unter anderem den Einsatz verschiedener Antibiotika sowie das Verhältnis von Breitspektrum- zu Schmalspektrumantibiotika. DID steht für tägliche Dosen pro 1.000 Einwohner pro Tag.
In Brandenburg (1,62 DID), Berlin (1,62 DID) und Sachsen (1,68 DID) waren die Verschreibungsdichten oraler Cephalosporine geringer als in allen anderen Bundesländern. Der Anteil, den Cephalosporine der zweiten Generation am gesamten Antibiotikaverbrauch hatten, war in Berlin mit 16 % am geringsten, auch Nordrhein-Westfalen schnitt hier mit 18,7 % ähnlich ab. Bei Cephalosporinen der dritten Generation war dieser Anteil in Bremen mit 1,1 % am niedrigsten, NRW ist mit 1,3 % ähnlich zurückhaltend.
An der Gesamtmenge der verschriebenen Antibiotika hatten Fluorchinolone einen Anteil von 6,2 %. Die Verschreibungsdichten waren erneut in Brandenburg (0,47 DID), Berlin (0,52 DID) und Sachsen (0,51 DID) am geringsten. Der Anteil, der Chinoloneam gesamten Antibiotikaverbrauch hatten, war in Bremen mit 4,9 % am niedrigsten, NRW bringt es hier auf 5,5 %, Berlin landet bei 5,8 %.
Betrachtet man die Ergebnisse der Bundesländer in den Quartilen, die die europäischen Qualitätsindikatoren betreffen, liegt Hamburg vorne. Sechs der insgesamt 9 Werte liegen in der ersten Quartile, in der vierten taucht der Stadtstaat gar nicht auf (6/0). Bremen und Berlin landen auf dem zweiten Platz (5/1). Auffällig: Hamburg und Bremen schnitten auch gut beim Verbrauch von Cephalosporinen und Chinolonen ab; Berlin ist hier ebenfalls positiv vertreten.
Insgesamt vermerken die Autoren einen begrüßenswerten Rückgang an Verschreibungen sowohl von Fluorchinolonen als auch Cephalosporinen im Verlauf des Studienzeitraums (2014–2019). Während sich bei Cephalosporinen der monatliche Durschnitts-DID in allen Bundesländern signifikant reduzierte, war dies bei Chinolonen nur zwischen 2017 und 2019 der Fall. Die Forscher bemerken teilweise große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, die sie sich allerdings nicht genau erklären können. Sie verweisen hier lediglich auf eine Arbeit von 2006, in der bereits festgehalten wurde, dass der westliche Teil Deutschlands mehr Antibiotika verbrauche als der Rest des Landes.
Abschließend halten die Wissenschaftler fest, dass Chinolone und Cephalosporine durchaus ihre Berechtigung haben. Als limitierenden Faktor ihrer Studie geben sie daher auch an, dass keine Daten zur Schwere der behandelten Erkrankungen verfügbar waren. Es sei dennoch festzuhalten, dass die Medikamente nur in klar abzugrenzenden Fällen eingesetzt werden sollten. Am Beispiel Deutschland lasse sich gut darstellen, dass die Orientierung an Qualitätsindikatoren hilfreich sein kann, Benchmarks für den Einsatz der Wirkstoffe zu bestimmen und den Gebrauch so weiter zu reduzieren.
Wie relevant das ist, zeigt ganz konkret das Beispiel einer Patientin, die DocCheck ihre persönliche Geschichte anvertraut hat.
Natürlich sind diese Antibiosen für schwere Erkrankungen legitim, aber werden die Patienten über die möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt? Ich hatte nur einen langwierigen Husten, als ich Levofloxacin verordnet bekam. Hätte mein Arzt mich aufgeklärt, ich hätte es niemals genommen. Mittlerweile kenne ich leider eine Vielzahl weiterer Betroffener. Da es bisher keine Heilung gibt, auch nicht daran geforscht wird, fühlen wir alle uns sehr alleine gelassen.
Mein verordnender Hausarzt hatte aber auch noch nie von schwerwiegenden Nebenwirkungen gehört. Das wundert mich nicht – mein erstes Symptom waren Sehstörungen, danach folgten Schultersehnenanrisse. Beides erfolgte zeitversetzt, während der Einnahme hatte ich keine Probleme. Also ging ich zuerst zum Augenarzt, dann zum Orthopäden. Überweisungen brauchte ich dafür keine, also bekam mein Hausarzt auch erst mal nichts davon mit.
Wie ich heute weiß, ist das bei vielen Betroffenen das Gleiche. Ich denke, das trägt wesentlich dazu bei, warum bis heute kaum ein Hausarzt weiß, was er seinen Patienten unter Umständen antut.“
Dass es so nicht sein muss, macht Dr. Tim Knoop deutlich: „Schrott! Die Medikamente haben keine Berechtigung im Alltag mehr. Es sind noch genug Alternativen da.“ So reagiert der Kölner Hausarzt auf unsere Anfrage, ob und wie oft er in seiner Praxis Fluorchinolone verschreibt. Auch er räumt allerdings ein, dass das nicht immer so war. „Früher haben wir das oft selber auch verschrieben, auf jeden Fall war es unter unseren Top 10 Verordnungen von Antibiotika; jetzt höchstens noch einmal pro Quartal, nach maximaler Abwägung.“
Besonders bei der Behandlung von Harnwegsinfekten fehlen sie ihm aber manchmal doch. „Wenn die First-Line-Antibiose nicht greift, haben wir früher gerne Fluorchinolone eingesetzt. Das fällt jetzt weg, und wir haben noch nicht wirklich eine schlüssige und wirksame Alternative gefunden“, so Knoop. Und auch bei Weiterverordnungen nach Krankenhausentlassungen falle immer wieder auf, dass die Wirkstoffe dort auch weiterhin häufig eingesetzt werden. Was bleibt also? Die allgegenwärtige und leider nach wie vor notwendige Mahnung, jegliche Antibiotika nicht leichtfertig zu verschreiben – aber auch der tröstliche Gedanke, dass Deutschland vielerorts auf einem guten Weg zu diesem Ziel ist.
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