Eine etwas schräge Regelung für den Umgang mit Genesenen scheint in der Pipeline zu sein. Das Schöne: Ärzte können damit reich werden! Oder auch nicht.
Follow the Science! Dieser Schlachtruf begleitet die Corona-Pandemie seit Anbeginn. Dabei wird dann oft so getan, als ergäben sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem Virus und dessen Ausbreitung quasi zwangsläufig zwingende Konzepte für das Pandemiemanagement. Politik als angewandte Virologie, sozusagen. Dass dieser Nexus Käse ist, darauf wurde oft genug hingewiesen. Politische Entscheidungen sind gemeinsame Endstrecken multipler Anforderungen und Inputs. Wissenschaftliche Erkenntnis, stark unsicherheitsbehaftete zumal, ist eine davon, aber eben nur eine.
Dass diese Gesamtkonstellation zu einer skurrilen Gewichtung von Public Health Maßnahmen führen kann, haben wir in den vergangenen 18 Monaten gesehen, unter anderem am Beispiel des Umgangs mit Kindern einerseits und arbeitenden Erwachsenen andererseits, im ersten Pandemiejahr aber auch bei der Umsetzung von Maskenmandaten in öffentlichen versus semi-öffentlichen Räumen. Ein weiteres, jetzt neu zu Aktualität gelangendes Beispiel für skurrile Erlebnisse im Grenzgebiet zwischen Wissenschaft, Politik und Public Health ist die Definition des Genesenen-Status.
Deutschland definiert den Genesenen, das unbekannte Wesen, bekanntlich anhand eines positiven PCR-Tests, der maximal sechs Monate alt sein darf. Die Viruslast bei der Diagnose, also der Ct-Wert, ist dabei komplett egal. Gleichzeitig gilt ein Mensch, bei dem in einer modernen Laboruntersuchung hohe Level SARS-CoV-2-spezifischer und/oder neutralisierender Antikörper nachgewiesen werden, nicht automatisch als genesen, solange ihm die PCR-Quittung fehlt.
Verstanden hat das eigentlich noch nie jemand. Schon im Sommer hatte das Robert-Koch-Institut wiederholt betont, dass aus seiner Sicht Antikörper-Tests die Infektion hinreichend zuverlässig nachweisen. Jede andere Aussage wäre auch etwas peinlich gewesen. Denn immerhin macht man beim RKI und im Rest der Welt seit Pandemiebeginn auf genau dieser Basis Studien zur Bevölkerungsdurchseuchung.
Irgendwann scheint man im Hause Spahn auf diesen Widerspruch aufmerksam geworden zu sein. Zumindest kommunizierte man zuletzt die Auffassung, dass „nachgewiesene Antikörper nicht immer wirksam“ seien und die „Menge der Antikörper keinen sicheren Rückschluss auf den Schutz vor einer Infektion“ zulasse. Auf welchen Daten genau diese Auffassung beruht, blieb im Nebel der Berliner Friedrichstraße verborgen. Zumal die dabei implizierte These, wonach eine PCR mit riesigem Ct-Wert zwingenden Rückschluss auf einen sicheren Schutz vor Infektionen erlaube, gewisse Schwierigkeiten bekommen dürfte, das „We Follow the Science“-Label zu erhalten.
Das Ganze wird im Bundesgesundheitsministerium jetzt aber ohnehin ad acta gelegt. Gegenüber der BILD-Zeitung verkündete Jens Spahn am Samstag, dass die Wissenschaft „mit einem qualitativ hochwertigen Antikörpertest […] mittlerweile sicher nachweisen“ könne, wer in der Vergangenheit infiziert war. Gleichsam als sei ein paar Tage vorher irgendwie ein neuer Antikörpertest erfunden worden. Künftig sollen jedenfalls laut Spahn auch Antikörpertests in den Genesenen-Nachweis einfließen können. Die neue Regel soll in Kürze vom Paul-Ehrlich-Institut bekanntgegeben werden.
Aber ist doch toll, die Wissenschaft schreitet fort! Wir lernen ständig dazu! Hurra! Hurra? Vorsicht mit verfrühtem Jubel im Grenzgebiet zwischen Wissenschaft, Public Health und Politik. Zwar lassen sich SARS-CoV-2-Infektionen mit Antikörpern mittlerweile „sicher nachweisen“. Aber genesen ist man deswegen noch lange nicht. Jetzt kommt nämlich der Trick: Man kann dank Antikörpertest zwar sicher sein, dass man eine Infektion hatte. „Genesen“ im Sinne der 2G- oder 3G-Definition ist man jedoch erst, wenn man auf den Antikörpertest, mit dem man die Infektion „sicher nachweisen“ kann, noch eine einzelne Impfung draufsattelt. Vorher ist man quasi ungenesen, obwohl man qua Antikörper genesen ist.
Dass man als „nicht PCR-dokumentierter Genesener“ heute schon mit einer Einzelimpfung "2G-fit" werden kann, wenn man den Johnson & Johnson Impfstoff wählt, ist kein Geheimnis. Die neue Regel ist eine Lex mRNA. Die politische Intention dahinter ist klar: In Zeiten, in denen sich die Corona-Sirenen in den sozialen Medien und relevante Teile der Öffentlichkeit auf die Impfquote als mehr oder weniger alleinigen Maßstab für die Angemessenheit Corona-politischer Maßnahmen eingeschossen haben, bleibt kaum etwas anderes übrig, als den Genesenen-Status über die Impfung zu definieren, um die Impfquote zu maximieren. Mit dauerhaft "Antikörper-Genesenen" steigt die Impfquote nicht.
Das Schöne ist: Als Arzt könnt ihr mit diesem ganzen Quark auch noch Geld verdienen. Der Antikörpertest soll nämlich eine Selbstzahler-Leistung werden. Ja, ihr habt richtig gelesen. Ich habe das halbe Wochenende damit verbracht, mir die Situation in der Arztpraxis auszumalen. Die große Mehrheit der Genesenen lehnt die Impfung nicht ab und impft sich bei existierendem PCR-Nachweis nach Ablauf des 6-Monats-Fensters eh, entweder einmal mit Johnson & Johnson oder einmal mit mRNA-Impfstoff. Wenn die PCR fehlt und die Impfung nicht abgelehnt wird, kommt einmal Johnson & Johnson oder zweimal mRNA-Impfstoff zum Einsatz. Niemand in dieser Gruppe würde sich auf Antikörper testen lassen, um diese Gruppe geht es nicht.
Es geht um die Minderheit derer, die genesen sind, keine PCR oder nur eine abgelaufende PCR haben und sich eigentlich eher nicht impfen lassen wollen. Waldorf-Eltern und ihre Kinder. Denen müsst ihr in eurer Praxis künftig erklären, dass sie sich entweder neu infizieren müssen oder dass sie eine kostenlose Johnson & Johnson Impfung in Anspruch nehmen können oder dass sie zwei kostenlose mRNA-Impfungen bekommen können oder dass sie viel Geld für einen Antikörpertest auf den Tisch legen, um danach eine einzelne kostenlose mRNA-Impfung zu erhalten.
Da müsst ihr schon ziemlich überzeugend rüberkommen, zumal wenn man berücksichtigt, dass ihr auf die 20 bis 25 Euro für den Test noch die Stunde draufschlagen müsst, die ihr braucht, um das erst mal zu erklären. Vielleicht solltet ihr euch das alles einfach sparen und den Patienten doch lieber zur Impfwoche schicken. Da kriegt er die gleiche Impfung wie bei euch – und noch einen Döner dazu.
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