Mundatmung, Schlafapnoe und zu enge Nasenhöhlen – alles mögliche Folgen von Zahn- und Kieferfehlstellungen. Aber wie kann es sein, dass so viele Patienten betroffen sind? Die Antwort könnte auf unseren Tellern liegen.
Für mich war ein riesiger Vorteil der Allgemein- bzw. Hausarztmedizin immer seine fachliche Breite. Es gab jedoch einen Bereich, aus dem ich mich immer rausgehalten habe – bis jetzt. Und das ist die Zahnmedizin. Hier erkläre ich euch, warum: Ich glaube, dass Kieferfehlstellungen und Schlafapnoe eine gemeinsame Ursache haben, der wir Ärzte bisher viel zu wenig Beachtung schenken.
Dazu ein bisschen persönlicher Hintergrund von mir: Ich habe eine wirklich extensive kieferorthopädische Vorgeschichte – 10 Jahre Behandlung, diverse gesund gezogene Zähne (Milchzähne, bleibende Prämolare, Weisheitszähne sowieso), drei feste und diverse lose Spangen, Ober- und Unterkieferumstellungsosteotomien und eine Nasenscheidewandkorrektur.
Für mich das Bitterste: NACH all diesen Therapien wurde mir mit Anfang 20 mitgeteilt, dass diese ganzen Probleme daran gelegen hätten, dass ich „falsch schlucke“, indem ich mit der Zunge zwischen die Zähne stoße und, solange ich das nicht abstelle, es immer wieder Probleme geben werde.
Nach kurzer Logopädie war der Zungenstoß weg, seitdem werden die Zähne auch nicht mehr schlechter. Ich habe dann nach Rücksprache mit der Kieferorthopädin von einer weiteren Behandlung abgesehen, weil sie meinte, dass sie mir langsam nicht mehr garantieren könne, dass von der ganzen Verschieberei nicht die Zähne permanent locker würden.
Als Ursache der „Schluckstörung“ wurde mir damals gesagt, ich habe „schlechte Gene“ (Größe von Kiefer und Zähnen) und zu lange einen Schnuller gehabt. Selbstverständlich habe ich dann bei den eigenen Kindern sehr darauf geachtet, dass sie nicht zu lange und zu häufig einen Schnuller benutzen.
Trotz aller guten Vorsätze zeigte sich bei den beiden großen aber schnell, dass es doch schwierig werden würde, vor allem bei meinem mittleren Kind. Woher kam das? „Das liegt an den Genen, Sie haben ihrem Kind die Neigung zu großen Zähnen und kleinem Kiefer vererbt“. Nachfragen, ob bei ihm auch eine Schluckproblematik vorliege, wurden verneint und/oder belächelt.
Vor zwei Jahren wurde mir dann auch bei meinem Kind geraten, mit dem Zähne-Ziehen anzufangen, um „Platz zu schaffen“. Das kam mir doch sehr bekannt vor von meiner eigenen (nur begrenzt erfolgreichen) Behandlung und ich fing an, mich mit dem Thema „wo kommen eigentlich die ganzen Zahn- und Kieferfehlstellungen her“ zu beschäftigen. Und stellte sehr schnell fest, dass die vielen kieferorthopädischen Behandlungen zwar vom Bundesrechnungshof bemängelt werden, aber letztlich die Ursache nicht wirklich klar ist.
Bei meinen weiteren Recherchen stieß ich auf eine Theorie, die für mich deutlich plausibler klingt, weshalb ich sie hier vorstellen möchte: Hintergrund ist, dass Zahn- und Kieferfehlstellungen bei den Schädeln in archäologischen Ausgrabungen in größerem Ausmaß eine relativ „neue“ Erscheinung sind – nämlich ca. 300 Jahre. Davor haben zwar die Zähne gefundener Schädel oft deutlich ausgeprägtere Abnutzungserscheinungen, aber die Position der Zähne zueinander und die Kieferstellung ist meistens normal. Das wird auch von Anthropolgen bestätigt.
Die vermutete Ursache: Früher mussten wir unser Essen einfach viel mehr kauen, weshalb eine deutlich ausgeprägtere Muskulatur im Mund- und Kieferbereich vorlag. Dadurch hatte die Zunge einen höheren Grundtonus, lag konstant am Oberkiefer an und formte diesen somit von innen aus.
Von außen schlossen die Lippen ab, sodass für den Oberkiefer eine „biologische Form“ vorlag, die für eine optimale Zahnstellung sorgte. Der Unterkiefer wurde von der Zunge gegen den Oberkiefer gezogen, so dass die Unterkieferzähne eine Referenzposition hatten, in die sie „reinwachsen“ konnten.
Heutzutage wird zunehmend (bzw. fast ausschließlich) weiche Kost verzehrt. Es fehlt der Muskeltonus, häufig steht der Mund offen, die Zunge liegt im Unterkiefer und somit fehlt jeglicher Orientierungspunkt für die Zähne, wie sie wachsen sollen. Da der Oberkiefer aber auch die Basis der Nasenhöhle darstellt, bleibt auch die Nasenhöhle schmal – und die daraus resultierende Mundatmung, damit man besser Luft bekommt, verschärft die Problematik weiter. Da die Zunge bei der Mundatmung ja unten liegen MUSS, damit Luft durchkommt. Ein Teufelskreis.
In Großbritannien scheint diese Theorie schon seit Jahren immer mal wieder diskutiert zu werden, v.a. durch einen Kieferorthopäden namens John Mew und seinen Sohn Mike. Die beiden werden durchaus nicht unkritisch gesehen, besonders, weil sie Ikonen der Incel-Bewegung geworden sind. Aber es geht mir gar nicht um die beiden Personen an sich, sondern um die Erklärung der „Klammern-Epidemie“, die sie – wie auch andere Wissenschaftler – liefern.
Kann es wirklich sein, dass die Konsistenz unserer Ernährung die Basis der vielen kieferorthopädischen Probleme ist? Welche Hinweise haben wir? Es gibt diverse Tier-Experimente und Studien, die darauf hindeuten. In dem Buch „Breath – Atem“ von James Nestor, wird ein Versuch geschildert, der ein überaus interessantes Ergebnis liefert. Dafür wurden Tieren dieselben Nährstoffe entweder als harte Pellets oder eingeweichte Pellets verabreicht. Das Resultat: Die Tiere, die die harten Pellets bekamen, hatten gerade Zähne und gut ausgebildete Kiefer, die Tiere der Weich-Nahrungsgruppe nicht.
Ok, jetzt mögen einige einwenden, dass das ja alles interessant ist, aber der Bezug zur Allgemeinmedizin nicht so richtig klar. Als Hausärztin erlebe ich aber genau das: Eine verstärkte Mundatmung scheint ein wichtiger Risikofaktor für Atemwegsinfekte, Heiserkeit oder Halsschmerzen zu sein – ein häufiger Vorstellungsgrund in unserer Praxis. Außerdem sind Kieferfehlstellungen und ein geringer Muskeltonus im Rachenbereich ein Risikofaktor für Schlafapnoe – einem ebenfalls aus bislang nicht geklärter Ursache zunehmendem Krankheitsbild, das mit Bluthochdruck, Schlaganfällen, etc. in Verbindung gebracht wird.
Mit der obigen Erklärung wird auch sehr schnell klar, warum: Einerseits haben sowohl die Kieferfehlstellungen als auch die Schlafapnoe eine gemeinsame Ursache (zu wenig Muskulatur, Mundatmung), andererseits sind schmale Kiefer (die durch das oben erwähnte Zähne-Ziehen sicherlich auch nicht breiter werden) auch leichter zu verlegen. Auch Nasenscheidewand-Probleme könnten damit erklärt werden – eine schmale Nasenhöhle ist auch schneller verlegt als eine breite und führt wiederum zu vermehrter Mundatmung.
Um so schlimmer finde ich, dass man zu diesem Thema kaum deutschsprachige evidenzbasierte Informationen findet. Denn ich gehe davon aus, dass die Theorie richtig ist. Nicht nur aufgrund der theoretisch plausiblen Grundlage, sondern weil ich auch erste Versuche im persönlichen Umfeld gestartet habe, um diesem Problem zu begegnen. Davon werde ich in einem zweiten Artikel berichten.
Bildquelle: Pawel Czerwinski, unsplash