Können gesetzliche Krankenkassen ihre Patienten zwingen, Zytostatika über bestimmte Apotheken zu beziehen? Nein, sagen Juristen und Apotheker. Die AOK Hessen geht jetzt bis zum Äußersten und strebt eine Entscheidung des Bundessozialgerichts an.
Eine unendliche Geschichte: Nachdem die AOK Hessen beschlossen hatte, ihre Zytostatika-Versorgung auszuschreiben, blieben einige Kollegen auf teils sechsstelligen Summen sitzen. Sie hatten Patienten beliefert, obwohl es keinen Vertrag mit besagter AOK gab – ein existenzbedrohendes Problem. Ende 2013 zweifelte der Hessische Apothekerverband (HAV) entsprechende Ansichten der Krankenversicherung an. Ein zäher Rechtsstreit begann.
Im Herbst 2014 konnten Apotheker erste Erfolge für sich verbuchen, und zwar vor dem Sozialgericht Darmstadt. Der vorsitzende Richter erklärte, es gelte die freie Apothekenwahl. Dieses Recht lasse sich nicht einschränken; hierzu fehlten gesetzliche Grundlagen. Zu einem ähnlichen Fazit kam das Sozialgericht in Marburg. Der Verband Zytostatika herstellender Apothekerinnen und Apotheker (VZA) sprach von einem „Meilenstein“ und kritisierte Ausschreibungen in der Onkologie als „völlig verfehlt“. Damit sei der Versuch gescheitert, das Wahlrecht der Patienten auszuhebeln und alle Apotheken mit Ausnahme einiger Ausschreibungsgewinner von der Versorgung auszuschließen.
Doch der Frieden währte nicht lange. Wie jetzt bekannt wurde, hat die AOK Sprungrevision gegen das Urteil aus Darmstadt eingelegt. Apotheker sehen den Gang zum Bundessozialgericht Kassel durchaus optimistisch. VZA-Präsident Dr. Klaus Peterseim erwartet, die letztinstanzliche Entscheidung werde bestehende Urteile bestätigen. Schon jetzt sieht er einen Kontrahierungszwang, sollten Patienten Rezepte vorlegen. „Gegen den Willen des Patienten geht im Sozialgesetzbuch V nichts. Und das ist gut so, dabei muss es bleiben“, sagte Peterseim.
Bis zum höchstrichterlichen Urteil bleibt für Apotheker dennoch Rechtsunsicherheit. Grund genug für den VZA, ein Retax-Verbot zu fordern. Das Thema steht beim Bundesgesundheitsministerium ohnehin auf der Agenda. Hermann Gröhe (CDU) sieht jedoch Verbände der Selbstverwaltung in der Pflicht. Sein GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wird von Apothekern und Kassenvertretern äußerst kontrovers diskutiert.