Erinnert ihr euch an Juli 2018, als der Skandal um Valsartan begann? Noch heute erlebe ich seine Folgen im Gespräch mit wütenden Kunden.
Vor mir stehen ein wütender Mann und seine verzweifelt dreinblickende Frau. Grund ihrer Gefühlsausbrüche: Ich habe ihnen gerade erklärt, dass das Losartan, das sie auf Kassenrezept abholen wollten, auf dem „aut idem“ vermerkt wurde, zurzeit nicht lieferbar ist. Wurde zurückgerufen. Bei der Herstellung des Wirkstoffes seien sogenannte Azido-Verunreinigungen entstanden, die mutagen wirken könnten, steht im Rückruf des Herstellers, der uns vor Kurzem erreichte. Ich muss an den Valsartan-Skandal von 2018 denken. Die beiden Kunden, die vor mir stehen, erinnern sich daran genauso gut wie ich, denn sie waren damals selbst betroffen – wie jetzt auch.
Im Juli 2018 waren vermutlich krebserregende Verunreinigungen mit Nitrosaminen in den Sartanen verschiedener Hersteller gefunden worden. Wir wurden in der Apotheke quasi gleichzeitig mit unseren Kunden über die Medien informiert und wussten zunächst nicht, wie wir die Fragenden beruhigen sollten. Es folgten Rückrufe vieler Hersteller, während andere behaupteten, nitrosaminfreie Produkte herzustellen, die sich dann im Laufe der Zeit doch als belastet herausstellten. Es war schwierig, das den betroffenen Personen zu erklären, sie zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass sie nicht einfach alle Tabletten in den Hausmüll werfen, weil sie das Vertrauen in ihre Medikamente vollständig verloren hatten – ich übertreibe nicht.
Auch wenn von Behördenseite immer wieder betont wurde, dass vermutlich keine gesundheitlichen Konsequenzen drohten, hatte doch fast jeder der betroffenen Patienten die Vergleiche gehört, die in den Medien herangezogen wurden. Eine Tablette Valsartan sollte beispielsweise genauso viele Nitrosamine enthalten wie 20 Zigaretten oder 10 Kilo Räucherschinken. Bei solch eingängigen Vergleichen sorgen sich die Betroffenen natürlich.
Noch im Juli 2018 wurde durch die Europäische Kommission ein Risikobewertungsverfahren eingeleitet, in das im folgenden September weitere Sartane eingeschlossen wurden, die ebenfalls auf einem Tetrazolring aufbauen. Die Verunreinigungen kamen vermutlich zustande, weil das Lösungsmittel Dimethylformamid gemeinsam mit Natriumnitrit in Anwesenheit einer Säure das gefährliche N-Nitrosamin gebildet hatte. Diese Art Verunreinigungen können theoretisch auch durch Produktionsmaschinen oder kontaminierte Ausgangsstoffe in die Medikamente gelangen. Die Hersteller wurden daher dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass sie die Herstellungsprozesse für ihre Arzneimittel auf das potenzielle Risiko der Bildung von N-Nitrosaminen überprüfen und, falls nötig, abändern.
Der Grenzwert – für den eine Frist von zwei Jahren gewährt wurde – lag für NDMA und NDEA (das in Irbesartan nachgewiesen wurde) bei maximal 0,03 ppm. In der Folge wurde zuerst NDEA und dann NMBA (N-Nitroso-N-methyl-4-Aminobuttersäure) in vier Chargen Losartan der Firma Heumann gefunden. Sowohl NDEA als auch NMBA sind von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ beim Menschen eingestuft. Jedes Mal hatten wir in den Apotheken die Aufgabe, das den Kunden zu erklären und verständlich zu machen. Das war zeit- und nervenraubend für alle Beteiligten.
Die betroffenen Patienten fühlten und fühlen sich häufig hilflos den Pharmakonzernen und Überwachungsbehörden ausgesetzt, die bis heute behaupten, dass die Verunreinigungen so gut wie keinen Schaden angerichtet hätten und nur einer von etwa 8.000 betroffenen Menschen eine zusätzlich auftretende Krebserkrankung zu befürchten habe. Das könnte sich nun ändern, denn das Oberlandesgericht Frankfurt gab kürzlich der Klage einer betroffenen und an Krebs erkrankten Frau statt, die von einem Pharmahersteller Auskunft über die Wirkungen des Medikamentes verlangte. Dieser muss nun über die ihm bekannten Wirkungen des Medikamentes und die möglichen Schäden Farbe bekennen, soweit sie für diese Krebserkrankungen von Bedeutung sein können. Wir dürfen gespannt sein, was darüber noch berichtet wird.
Doch zurück zu meinen beiden verunsicherten Kunden. Die Arzneimittelkommission bittet in der Formulierung ihres Rückrufes die „Apotheker um angemessene Information besorgter Patienten“ und hat dabei zum wiederholten Mal kein Wort über die Berufsgruppe der PTA verloren, die ja ihre Patienten ganz genauso informieren sollte. Aber daran sind wir leider inzwischen gewöhnt – würde man sich hier etwas leichter tun mit der Formulierung „pharmazeutisches Personal“, würden sich vielleicht mal alle betroffenen Berufsgruppen angesprochen fühlen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Um die zukünftigen Kompetenzen der PTA wird zurzeit bereits heftig gestritten und die ABDA ist hier nicht wirklich ein Freund meiner Berufsgruppe.
Die Hauptsache ist im vorliegenden Fall, dass wir den Patienten mitgeben, dass sie ihre Medikamente nicht eigenmächtig absetzen, sondern Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten sollen. Es wird weiter darüber informiert, dass derzeit auf europäischer Ebene harmonisierte Grenzwerte für diese Verunreinigung festgelegt werden und die pharmazeutischen Unternehmen dazu aufgefordert wurden, geeignete Kontrollstrategien zu implementieren und, falls erforderlich, ihre Herstellprozesse zu verbessern. Auch das erinnert leider nur zu deutlich an die Probleme, die bei Valsartan aufgetreten waren.
Künftig werden vermutlich weitere Rückrufe losartanhaltiger Arzneimittel folgen, über die wir dann von der AMK informiert werden, wenn es die Medien nicht wieder einmal vor der Behörde tun. Das BfArM berichtet immerhin, dass die vorläufigen toxikologischen Bewertungen auf ein deutlich geringeres gesundheitliches Risiko im Vergleich zu Nitrosaminen hindeuten. Im Sinne der Gesundheit unserer Patienten und ihrer Compliance hoffe ich, dass das stimmt.
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