Überraschung: Das vollmundig angekündigte E-Rezept braucht noch etwas, bis es in Apotheken und Praxen zum Alltag wird. Ich frage mich – muss die Einarbeitung gerade in die Vorweihnachtszeit fallen?
Irgendwie hatten wir es doch alle geahnt, oder? Der bundesweit geplante Roll-out für das E-Rezept war ursprünglich der 1. Juli 2021. Dieses Datum konnte nicht eingehalten werden und die deutschlandweite Einführung des E-Rezeptes neben dem Papierrezept wurde auf den 1. Oktober 2021 verschoben. Der ist nun verstrichen und mit ihm auch die Hoffnung auf eine entspannte Einarbeitungszeit von etwa drei Monaten. Die Ärzte und Apotheker müssen sich nun bis in den Dezember hinein gedulden, bis sie das erste E-Rezept ausstellen beziehungsweise beliefern können und es bleiben nur vier kurze Wochen zum Üben und Testen, bevor es ernst wird und das E-Rezept verpflichtend für alle eingeführt wird.
Und diese Einarbeitungszeit ist ausgerechnet im Dezember, in der Vorweihnachtszeit, in der man sowieso schon oft nicht weiß, wo man in der Apotheke zuerst mit anpacken soll. Ich denke, ich bin nicht die Einzige, die mit Bauchschmerzen an das kommende Jahr denkt und sich wünscht, vier Wochen ihres Jahresurlaubs in den Januar zu verlegen.
Sehr kurzfristig kam die Meldung, dass die Gematik-Gesellschaftsversammlung den bundesweiten Roll-out verschoben hat, nämlich nur einen Tag bevor er hätte starten sollen. In der Pressemitteilung erklärt Gematik-CEO Dr. Markus Leyck Dieken: „Die Gematik hat die technischen Voraussetzungen für das E-Rezept fristgerecht umgesetzt und bereitgestellt und die bisherige Testphase zeigt: Das E-Rezept funktioniert. Die Einführung ist ein anspruchsvolles Vorhaben mit vielen Beteiligten. Je nach technischer Ausstattung werden Praxen und Apotheken nach und nach in der Lage sein, E-Rezepte auszustellen bzw. einzulösen.“
Der Grund für die Nichteinführung liegt also in seinen Augen nicht in Versäumnissen der Gematik; es sei stattdessen so, dass bisher noch nicht alle Anbieter der Praxis- bzw. Apothekenverwaltungssysteme das für das E-Rezept notwendige Update bereitstellen konnten. Zudem hätten viele Versicherte noch nicht die neueste Generation der elektronischen Gesundheitskarte mit NFC-Schnittstelle und dazugehöriger PIN von ihren Krankenkassen erhalten, was die zwingende Voraussetzungen dafür ist, um E-Rezepte in der App zu empfangen und zu verwalten.
Die Gematik sieht also die Softwaresysteme insbesondere der Ärztesoftware, die Gesundheitskartenproblematik und die Trägheit vieler Ärzte, die teilweise noch immer keinen Heilberufsausweis beantragt hätten – ohne den aber kein E- Rezept ausgestellt werden kann – als Sand im Getriebe des reibungslosen Ablaufes. Das hatte Leyck Dieken bereits in einer Diskussionsrunde Mitte September bei der expopharm-Impuls angedeutet.
Verärgert quittieren zudem viele Apotheker die Aussage der ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening, man hätte trotz der kurzen Einführungssphase in den Apotheken „genügend Zeit“ sich mit dem E-Rezept zu befassen. Wenn ich da an die letzte Einführung einer technischen Neuerung bei der Abrechnung von Rezepten denke, fällt mir der Hash-Code für cannabishaltige Produkte ein und dessen Einführung war verheerend. Einige mir bekannte Apotheken erhielten teilweise im August über hundert Rezepte zur Nachbearbeitung zurückübersandt, da der Code fehlerhaft aufgebracht war. Die Gründe dafür waren laut Aussage der Softwarehäuser die unpräzisen und missverständlichen Vorgaben in der Technischen Anlage 1, die sogar nach ihrem Inkrafttreten noch verändert wurden. Das führte zu Fehlinterpretationen beim Einrechnen der BtM-Gebühr in den Tax-Preis, weshalb die Rezepte nicht abgerechnet werden konnten. Droht uns ähnliches beim E-Rezept? Mir schwant Übles.
Gegenüber der Deutschen Apothekerzeitung (DAZ) zeigten sich viele Anbieter der Praxisverwaltungssysteme verärgert über den Schwarzen Peter, der ihnen durch Gematik und KBV zugeschoben wird. Sie haben vielmehr den Eindruck, dass es die Ärzteschaft sei, die im Grunde kein Interesse für die neue Art der Rezeptausstellung habe. Zudem sei nicht die Software das Problem, vielmehr seien die Prozesse nicht aufeinander abgestimmt, die bei der Gematik und der KBV durchlaufen werden müssen. Auch hier ist man sich aber sicher, das Stichdatum halten zu können.
Grundsätzlich stellen sich viele die Frage, wie sinnvoll es ist, ein System zu implementieren, das bereits bei seinem Start als überholt gilt. Die Gematik selbst hat im Januar dieses Jahres bereits den Entwurf einer Telematikinfrastruktur 2.0 präsentiert, der durch ein Plattform-Prinzip komplett ohne all die Konnektoren, Heilberufsausweise und Institutionskarten auskommt. Man fragt sich hier schon, warum man diesen teuren und offenbar schwer gangbaren Zwischenstopp mit der TI 1.0 wählte.
Welche Wünsche habe ich also noch bis zur Einführung des E-Rezeptes? Im Grunde habe ich nur die leise Hoffnung, dass die Gültigkeit des Muster-16-Rezeptes wenigstens noch ein paar Wochen oder Monate länger bestehen bleibt, damit plötzlich auftretende technische Schwierigkeiten, mit denen im Vorfeld niemand gerechnet hat, abgefedert werden können. Ob mein frommer Vor-Weihnachtswusch nach einem Netz und doppelten Boden für die verpflichtende Einführung des E-Rezeptes erhört wird? Ich bin gespannt …
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