Arzneimittel in der Umwelt werden zur immer größeren Gefahr. Es geht dabei nicht nur um falsch entsorgte Pillen, sondern um Metaboliten aus unserem Körper. Jetzt fordert die DBU, Präparate auch hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten. Eine eher langfristige Strategie.
Arzneimittel – über Wirkung und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen in der Natur erfahren Patienten nur wenig. Ein Forschungsprojekt des Umweltbundesamtes (UBA) zeigte das ganze Ausmaß der Belastung: Weltweit fanden Wissenschaftler 631 Pharmaka sowie deren Abbauprodukte in Gewässern. Davon sind nicht nur Entwicklungsländer, sondern auch Industrienationen betroffen. Besonders häufig kam Diclofenac vor, gefolgt von Carbamazepin, Ibuprofen, diversen Hormonen und Sulfamethoxazol. EU-Experten sind vor allem hinsichtlich der steigenden Mengen an 17-alpha-Ethinylestradiol, 17-beta-Estradiol und Diclofenac besorgt. Antiepileptika, Betablocker oder Ethinylestradiol haben negative Folgen auf verschiedene Organsysteme bei Fischen. Thomas Holzmann, Vizepräsident des Umweltbundesamtes, bewertet Arzneimittelrückstände in Gewässern deshalb als „relevantes Problem“.
Grund genug für Apotheker, aktiv zu werden. Zur Problematik: Nach wie vor kippen Laien ihre Restbestände in Toiletten oder Waschbecken. „Wir müssen hier Aufklärungsarbeit leisten und unsere Patienten darüber informieren, dass Medikamente über den Hausmüll entsorgt werden dürfen“, so Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Apotheken bieten in Zusammenarbeit mit lokalen Entsorgungsunternehmen ebenfalls an, Alt-Medikamente grundwasserneutral zu beseitigen. Reste werden zusammen mit dem üblichen Hausmüll verbrannt. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Zytostatika oder Laborchemikalien, sind spezielle Entsorgungswege vorgesehen. Gleichzeitig warnt Arnold vor einseitigen Betrachtungen des komplexen Themas – Gewässerbelastungen lassen sich nicht nur auf falsch entsorgte Pharmaka zurückführen. „Andere Verschmutzungswege sind unvermeidbar, etwa wenn Arzneimittelreste im Körper nicht abgebaut und mit dem Urin ausgeschieden werden“, so Arnold weiter. „Auch wenn Medikamente auf die Haut aufgebracht werden, gelangen die Arzneistoffe beim Duschen oder Baden zum Teil ins Abwasser.“
In diesem Kontext meldet sich jetzt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) zu Wort. Experten fordern, schon bei der Entwicklung neuer Substanzen Folgen für unseren Lebensraum zu untersuchen. DBU-Generalsekretär Dr. Heinrich Bottermann: „Es gibt eine ganze Reihe vielversprechender Ansätze, um Umweltbelastungen durch das Ausscheiden nicht abgebauter Wirkstoffe von Medikamenten bei Mensch und Tier deutlich zu verringern.“ Als mögliche Strategie sieht er Techniken wie das Drug Targeting: Wirksame Moleküle reichern sich am Ort des Geschehens an. Das führt zu niedrigeren Arzneistoffmengen, und die Gesamtbelastung verringert sich. Für Antibiotikatherapien eignet sich das Drug Targeting momentan aber nicht. Genau hier werden große Einträge über die Human- oder Tiermedizin zum Problem. Bottermann fordert von forschenden Herstellern deshalb „Arzneimittel, die bei gleicher Wirksamkeit bereits im Körper möglichst vollständig abgebaut und nicht mehr ausgeschieden werden.“ Bleiben dem DBU-Generalsekretär zufolge ein besseres und flächendeckendes Umweltmonitoring sowie eine stärkere Wirkungsforschung.
Damit werden kurzfristig keine Probleme zu lösen sein. Bleibt noch, moderne Kläranlagen einzusetzen. Mit chemischen und physikalischen Techniken gelingt es schon heute, bis zu 80 Prozent aller Mikroverunreinigungen zu eliminieren. Wissenschaftler der Universität Bremen experimentieren mit organischen Substraten für Kleinkläranlagen, um Arzneimittelrückstände zu beseitigen. In Pflanzenfilteranlagen werden Abwässer mithilfe von Rohrglanzgras, Blutweiderich und Iris gereinigt. Der neue Trick: „Pflanzenkohle – also verkohltes Holz – hält das Wasser beim Durchsickern durch das Substrat länger fest“, erklärt Dr. Ingo Dobner von der Universität Bremen. „Sie funktioniert im Grunde wie ein Schwamm und kann dadurch Schadstoffe besser aus dem Wasser herausfiltern.“ Bei großen Kläranlagen setzen Experten eher auf eine sogenannte vierte Reinigungsstufe. Bislang arbeiten manche Betriebe dreistufig: Mithilfe mechanischer Verfahren werden Schwimm- und Schwebstoffe abgetrennt. Dann folgen mikrobiologische Abbauprozesse und abiotisch-chemische Fällungsreaktionen. Gegen Arzneimittelrückstände kommen chemische beziehungsweise adsorptive Vorgänge hinzu. Doch wie finanzieren? Mit dieser Frage befasst sich eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes. Als Möglichkeit bringen Ökonomen Abwasserabgaben in das Gespräch. Sie schlagen vor, 75 Prozent der jährlichen Investitionskosten einer vierten Reinigungsstufe über 15 Jahre hinweg finanziell zu subventionieren.