Forscher aus Tübingen und Heidelberg analysierten die Kollateralschäden von Antibiotika in der Darmflora nun genau. Gibt es Gegenmittel, die nützliche Bakterien besser schützen und Nebenwirkungen verhindern könnten?
Antibiotika helfen bei der Behandlung bakterieller Infektionen und retten jedes Jahr Millionen von Leben. Sie können aber auch die hilfreichen Mikroben in unserem Darm schädigen, eine der ersten Verteidigungslinien unseres Körpers gegen Krankheitserreger schwächen und die positiven Auswirkungen körpereigener Mikrobiota auf unsere Gesundheit beeinträchtigen. Häufige Nebenwirkungen dieser „Kollateralschäden“ von Antibiotika sind Magen-Darm-Beschwerden und wiederkehrende Clostridioides-difficile-Infektionen, aber auch die Entwicklung von allergischen, metabolischen, immunologischen oder entzündlichen Krankheiten.
Ein internationales Forschungsteam hat systematisch die Auswirkungen von 144 Antibiotika auf unsere häufigsten Darmbakterien untersucht. Die Arbeitsgruppen um Lisa Maier aus dem Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) der Universität Tübingen und um Nassos Typas am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, schlagen Strategien vor, um die negativen Auswirkungen auf das Darmmikrobiom abzuschwächen. Mit der in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Studie lassen sich die Auswirkungen von Antibiotika auf Darmbakterien erheblich besser verstehen.
Aufbauend auf einer früheren Studie untersuchten die Forscherteams, wie sich jedes der 144 Antibiotika auf Wachstum und Überleben von bis zu 27 Bakterienstämmen auswirkt, die üblicherweise im Darm vorkommen. Sie bestimmten die Konzentrationen, bei denen sich ein bestimmtes Antibiotikum auf diese Bakterienstämme auswirkt, für mehr als 800 Antibiotika-Stamm-Kombinationen. So konnten sie bestehende Datensätze zu Antibiotika-Spektren in Darmbakterienarten um 75 Prozent erweitern.
Die Experimente zeigen, dass Tetracycline und Makrolide nicht nur das Wachstum der Bakterien stoppen, sondern auch zu deren Absterben führen. Etwa die Hälfte der getesteten Darmbakterienstämme überlebte die Behandlung mit diesen Antibiotikaklassen nicht. „Wir hatten diesen Effekt nicht erwartet. Bisher ging man davon aus, dass diese Antibiotikaklassen nur das Bakterienwachstum stoppen, aber die Bakterien nicht abtöten", so Camille Goemans, eine der Erstautorinnen.
„Die Experimente zeigen, dass diese Annahme für etwa die Hälfte der von uns untersuchten Darmmikroben nicht zutrifft. Doxycyclin, Erythromycin und Azithromycin beispielsweise töteten mehrere häufig vorkommende Darmbakterienarten ab, während sie andere nur in ihrem Wachstum hemmten.“ Die selektive Abtötung bestimmter Bakterien könnte dazu führen, dass diese Bakterien unbeabsichtigt viel schneller aus dem Darmmikrobiom verschwinden als solche, deren Wachstum nur gehemmt wird, wie die Autoren mit synthetischen Bakteriengemeinschaften zeigten. Dies könnte die starken Veränderungen des Darmmikrobioms erklären, die bei einigen Patienten nach der Antibiotika-Behandlung auftreten.
Es gibt jedoch eine Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen. „In früheren Studien konnten wir nachweisen, dass Medikamenten-Kombinationen bei verschiedenen Bakterienarten unterschiedlich wirken. Daher haben wir nun untersucht, ob ein zweites Medikament die schädlichen Auswirkungen auf die Darmmikroben verhindern kann, während die Antibiotika gleichzeitig ihre Wirkung gegen Krankheitserreger beibehalten“, erklärt Nassos Typas, Gruppenleiter am EMBL Heidelberg. „Das zusätzliche Medikament könnte als eine Art Gegenmittel eingesetzt werden, das Kollateralschäden von Antibiotika auf Darmbakterien verringert.“
Die Forschenden kombinierten die Antibiotika Erythromycin oder Doxycyclin mit fast 1.200 Arzneimitteln, um Medikamente zu finden, die zwei häufig vorkommende Darmbakterienarten vor dem Antibiotikum schützen, ohne dessen Wirkung zu beeinträchtigen. Tatsächlich fanden sie mehrere nicht-antibiotische Arzneimittel, die diese Darmbakterien und verwandte Arten retten könnten.
Folgeexperimente zeigten, dass dieser Ansatz auch im Kontext eines natürlichen Mikrobioms funktionieren könnte. Mit Hilfe von Kooperationspartnern ließ sich zeigen, dass die Kombination von Erythromycin mit einem Gegenmittel den Verlust bestimmter Darmbakterienarten aus dem Mäusedarm abschwächte. In ähnlicher Weise schützten die Gegenmittel die menschlichen Darmbakterien vor Erythromycin in komplexen Bakteriengemeinschaften, die aus Stuhlproben gewonnen wurden.
„Unser Ansatz, Antibiotika mit einem schützenden Gegenmittel zu kombinieren, könnte Möglichkeiten eröffnen, die schädlichen Nebenwirkungen von Antibiotika auf unser Darmmikrobiom zu reduzieren“, hält Hauptautorin Lisa Maier fest. „Kein einzelnes Gegenmittel wird in der Lage sein, alle Bakterien in unserem Darm zu schützen, vor allem, weil sie sich von Mensch zu Mensch so stark unterscheiden. Aber dieses Konzept öffnet die Tür für die Entwicklung neuer personalisierter Strategien, um Darmbakterien zu schützen.“
Weitere Forschung ist erforderlich, um die optimalen Kombinationen, Dosierungen und Rezepturen der Gegenmittel zu ermitteln und mögliche langfristige Auswirkungen auf das Darmmikrobiom auszuschließen. In Zukunft könnte der neue Ansatz aber dazu beitragen, das Darmmikrobiom gesund zu halten und die Nebenwirkungen von Antibiotika bei Patienten zu verringern, ohne die Effizienz von Antibiotika als Lebensretter zu beeinträchtigen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
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