Fast überall das gleiche Problem: Die Impfquote stagniert in vielen Ländern. Ist Geld die Lösung, um Zögerliche zu motivieren?
Auch wenn es nach wie vor Unklarheiten um die tatsächlichen Zahlen gibt (DocCheck berichtete), ist deutlich, dass die Impfquote in Deutschland stagniert – allen Appellen an die Bevölkerung zum Trotz. Laut RKI sind zurzeit 69 % der Gesamtbevölkerung mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft, davon 66 % mit vollständigem Impfschutz (Stand 21.10.). Eine höhere Impfquote ist vonnöten, um Beschränkungen wieder aufheben zu können und Risikopatienten effektiv vor Ansteckung zu schützen. Daher wird nach Maßnahmen gesucht, um noch mehr Menschen zum Impfen zu bewegen.
In Deutschland setzt die Politik hier vor allem auf Zwänge und Druck: Beispielsweise schließt die 2G-Regel Ungeimpfte in vielen Bereichen aus dem öffentlichen Leben aus; Corona-Tests müssen sie aus eigener Tasche zahlen und ab November kommt Ungeimpfte auch eine vermeidbare Quarantäne teuer zu stehen, wenn Lohnausgleichszahlungen wegfallen.
In anderen Ländern wird hingegen auch ein anderer Ansatz ausprobiert: Belohnung mit Geld. So versucht die kanadische Stadt Vancouver, mit kleinen 5 $ Zahlungen Impfmuffel zu ermuntern; in Griechenland gibt es für die Impfung sogar 150 €. Der Ansatz ist jedoch umstritten: Geldzahlungen sind ethisch zumindest fragwürdig und sie können sogar kontraproduktiv wirken, wenn die Belohnung signalisiert, dass die Impfung nichts Wünschenswertes oder sogar etwas Gefährliches wäre.
Zum Start der allgemeinen Impfkampagne in Schweden im Mai dieses Jahres untersuchte daher ein Forscherteam in einer randomisierten und kontrollierten Studie, inwiefern sich eine Geldzahlung auf die Impfmotivation und das tatsächliche Impfverhalten auswirkt. Die Teilnehmer bekamen dabei eine garantierte Belohnung von 200 Schwedischen Kronen (entspricht etwa 20 €), wenn sie sich innerhalb von 30 Tage impfen ließen. Mit mehreren Kontrollgruppen wurde auch untersucht, inwiefern auch andere Anstöße, sogenannte „nudges“, sich im Vergleich dazu auswirkten.
Neben regelmäßigen Erinnerungen und Aufforderungen zum Impfen handelte es sich bei den „nudges“ um folgende Maßnahmen: Der Anstoß „Social Impact“ sollte den sozialen Aspekt der Impfung ins Gedächtnis rufen, indem die Probanden vier Menschen auflisteten, die von ihrer Impfung profitieren würden. Andere Teilnehmer absolvierten ein Quiz, das Informationen zu Sicherheit und Wirksamkeit der Impfungen lieferte. Zuletzt gab es noch den Anstoß „Argumente“, bei dem die Teilnehmer die besten Argumente auflisten sollten, um andere von einer Impfung zu überzeugen.
Die insgesamt 8.286 Teilnehmer im Alter von 18 – 49 Jahren wurden zufällig in 5 etwa gleich große Maßnahmen-Gruppen plus Kontrollgruppe eingeteilt: Gruppe 1 wurde eine Zahlung von 200 SEK bei Impfung innerhalb von 30 Tagen versprochen. Die Gruppen 2 – 4 bekamen lediglich einen der oben beschriebenen „nudges“. Gruppe 5 („No-Reminders“) erhielt keine Anreize irgendeiner Art. Abgesehen von Gruppe 5 erhielten alle Teilnehmer nach dem Ausfüllen des Fragebogens zusätzlich einen Hinweis und Erinnerungen, sich impfen zu lassen.
Der Online-Fragebogen, den die Probanden ausfüllten, erfasste dabei verschiedene soziodemographische Daten, ökonomische Präferenzen, Persönlichkeitsmerkmale und Wissen und Zweifel in Bezug auf COVID-Impfungen. Nach der Zuteilung in eine der Gruppen, wurde abgefragt, ob die Probanden planten, sich innerhalb von 30 Tagen ihre Erstimpfung zu holen. Ob – und wann – sich die Teilnehmer dann schlussendlich impfen ließen, konnte durch Abgleich mit dem nationalen Impfregister sicher nachvollzogen werden.
Dabei wurden die Fragebögen den Teilnehmern auch erst um den Zeitpunkt herum zugeschickt, zu dem die Impfung für ihre Altersgruppe auch verfügbar wurde. Ähnlich wie in Deutschland wurde nämlich auch in Schweden die Vergabe des Impfstoffes gestaffelt geregelt: Erst ab Mai wurde der Impfstoff für alle Erwachsenen ab 18 Jahren verfügbar. Die Vergabe der Impfungen wurde in 3 Wellen nach absteigendem Alter organisiert. Dementsprechend wurden die Probanden ihrer Impfgruppen-Zugehörigkeit nach sortiert und erhielten ihren Fragebogen, sobald ihre Altersgruppe drankam.
Als Hauptvariablen wurden in der Studie sowohl das erklärte Impfvorhaben als auch das tatsächliche Impfverhalten in Abhängigkeit der Motivations-Maßnahme betrachtet. Am erfolgreichsten: die Geld-Zahlung! Der monetäre Anreiz erhöhte die Impfquote immerhin um 4,2 %. Insgesamt 75,6 % ließen sich in dieser Gruppe impfen im Vergleich zu 71,6 % in der Kontrollgruppe. Dies ist zwar kein riesiger Unterschied, allerdings doch eine statistisch signifikante Erhöhung. Auch der Impfvorsatz war in dieser Gruppe mit 87,2 % am höchsten (Kontrollgruppe: 83,5 %). Das Ergebnis erwies sich auch über verschiedene statistische Modelle hinweg und unter Einbeziehung zusätzlicher Variablen als robust.
Auffällig war auch, dass der monetäre Anreiz unabhängig vom sozio-ökonomischen Hintergrund der Probanden funktionierte. Die Geldzahlung erhöhte die Impfquote in einem ähnlichen Maße über alle Gruppen hinweg.
Die anderen Verhaltensanstöße, die in der Studie erprobt wurden, konnten jedoch keine bedeutenden Effekte erzielen. Zwar erhöhten sie in einem statistisch signifikanten Maße den Vorsatz, sich impfen zu lassen; auf die tatsächliche Impfquote schlug sich dies aber nicht nieder. Alle Maßnahmen zusammengerechnet führten lediglich zu einem Anstieg der Impfquote um 1,2 % – statistisch nicht signifikant, wie die Forscher in ihrem Bericht feststellten.
Am wirksamsten waren dabei übrigens die Maßnahmen „Social Impact“ und „Argumente“: Diese erhöhten den erklärten Vorsatz, sich impfen zu lassen, um 2,2 %, respektive 2,7 % im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die zusätzlichen Informationen durch das Quiz hatten keinen nennenswerten Einfluss.
Durch Vergleich von Kontrollgruppe und der „No-Reminder“-Gruppe konnte auch gezeigt werden, dass die regelmäßigen Impfaufrufe und -erinnerungen keinen signifikanten Effekt auf Impfvorhaben oder Impfverhalten hatten.
Zusammenfassend konnte die Studie also demonstrieren, dass schon geringe Geldzahlungen das Potential haben, die Impfquote zu erhöhen, während andere Verhaltensanstöße nur minimalst helfen. Die Forscher weisen jedoch explizit darauf hin, dass ihre Ergebnisse nicht implizieren sollen, Menschen müssten für die Impfung bezahlt werden: „Unser Papier behandelt nicht die normative Frage, ob das Bezahlen von Impfungen ethisch vertretbar ist.“
Wie jede Studie unterliegt aber auch diese Limitationen: So wurde hier nur eine mögliche Geldsumme getestet. Daher kann nicht abgeschätzt werden, ob kleinere oder größere Geldbeträge andere Effekte hätten und eventuell hilfreicher wären. Auch wurde diese Studie zum Beginn der schwedischen Impfkampagne durchgeführt: Zu einem späteren Zeitpunkt könnte die Geldzahlung auch noch größere Effekte haben. Potentiell könnte ein solcher monetärer Anreiz auf zukünftige Impfungen auch einen kontraproduktiven Effekt haben, da die Bereitschaft zu beispielsweise einer Auffrischimpfung ohne Belohnung verringert werden könnte. Zuletzt gehen die Forscher davon aus, dass es in der Praxis einen Unterschied machen wird, von wem das Geld kommt. Hier kam es von einer Forschergruppe, aber bei Regierungen und Firmen könnte der Effekt – je nach Vertrauen der Bevölkerung in die entsprechende Institution – anders ausfallen.
Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Ibrahim Boran, unsplash.