Neugeborene als Organspender sind selten und das Vorgehen in solchen Situationen ist nicht einfach. Hier ein bewegender Fallbericht.
Der Tod eines Neugeborenen berührt auf besondere Weise. Genauso wie die verzweifelte Situation, wenn ein Neugeborenes um sein Leben ringt und nur eine Organspende Rettung bringen kann.
Insgesamt stellt sich in der Neonatologie sehr selten die Frage einer Organspende. Das ist zunächst überraschend, da etwa 63 % aller Todesfälle von Kindern und Jugendlichen im ersten Lebensjahr auftreten, davon wiederum 71 % in der Neugeborenenperiode. Die Gründe hierfür sind meist angeborene Fehlbildungen (68 %), Sepsis/nekrotisierende Enterokolitis (22 %), extreme Frühgeburtlichkeit (17 %) und Asphyxie (14 %).
Nach Daten von Eurotransplant waren in Deutschland zwischen 2016 und 2019 bei nur sieben Neugeborenen die formalen Voraussetzungen und das Einverständnis zur Organentnahme gegeben. Auch im internationalen Vergleich sind die Zahlen niedrig. In einem binationalen Programm aus Australien und Neuseeland wurden innerhalb von 18 Jahren nur zwei solche Organspenden durchgeführt. Aus einem Transplantationsprogramm in den USA wird von nur vier Organspenden in der Neonatologie innerhalb von 3,5 Jahren berichtet.
Aus der Klinik für Neonatologie der Berliner Charité wurde zum ersten Mal von der Organspende eines Neugeborenen mit perinataler Asphyxie und irreversiblem Hirnfunktionsausfall berichtet.
Die Mutter wurde vier Tage über dem errechneten Entbindungstermin in einem externen Krankenhaus spontan entbunden. Es ging keine Schwangerschaftsvorsorge voraus und die Patientin bat direkt nach Aufnahme um eine anonyme Geburt. Das kleine Mädchen war postpartal stark deprimiert und musste reanimiert werden. Danach wurde es mit dem Neugeborenen-Notarztdienst auf die Neonatologie der Charité gebracht. Trotz umfassender intensivmedizinischer Betreuung kam es zum irreversiblen Hirnfunktionsausfall, bei nur geringer Schädigung anderer Organsysteme. Am zweiten Lebenstag ordnete das Amtsgericht die Vormundschaft an, die per einstweiliger Verfügung wegen Dringlichkeit an das Jugendamt übertragen wurde. Die Eltern konnten trotz intensiver Recherche nicht ermittelt werden.
In der interdisziplinären Fallbesprechung fiel die Entscheidung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen und die Prüfung einer möglichen Organspende.
Am vierten Lebenstag besuchte der vom Jugendamt benannte gesetzliche Vormund das Baby und wurde ausführlich über den Verlauf informiert. Ein Konsilar-Team der Deutschen Stiftung Organtransplantation stellte die Ausfallssymptome und das Fehlen hirnelektrischer Aktivität fest. 72 Stunden später fand die zweite vorgeschriebene Prüfung statt.
Am sechsten Lebenstag wurde das Totenfürsorgerecht vom Vormund auf zwei Mitarbeiterinnen der Klinik übertragen, um später eine individuelle, würdige Bestattung zu ermöglichen.
Am 7. Lebenstag und neun Stunden nach der zweiten Hirntoddiagnostik wurde das Herz durch den eingeflogenen Kardiochirurgen der Transplantationsklinik entnommen. Es konnte einem wenige Wochen alten Säugling mit hypoplastischem Linksherz und Zustand nach Norwood-1-Operation erfolgreich transplantiert werden. Der langfristige Verlauf gestaltete sich unkompliziert.
Für das kleine Mädchen fand eine individuelle Trauerfeier statt, Fotos und Erinnerungsgegenstände wurden stellvertretend aufbewahrt.
„Die Herausforderungen unseres Falles waren vor allem deshalb so ungewöhnlich und vielschichtig, weil wir nicht mit den betroffenen Eltern der Patientin agieren konnten und in einer Stellvertreter-Situation unerwartete und heikle Fragestellungen klären mussten“, so das Team der Berliner Neonatologie.
Die Organspende wurde unabhängig von der Sondersituation einer anonymen Geburt vorgeschlagen. Der Grund war die erhebliche Diskrepanz zwischen dem frühzeitigen, irreversiblen Ausfall der gesamten Hirnfunktion und der nur geringen Schädigung anderer Organsysteme.
Ein wichtiges Signal an das Team sei die Rückmeldung über die erfolgreiche Transplantation mit rascher Erholung des Empfängers gewesen.
Der Tod, aber auch die Not eines kranken Neugeborenen lassen niemanden kalt. Gerade hier sind ethische Aspekte besonders wichtig. Dr. Katharina Woellert, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg-Eppendorf, hat den Fallbericht aus der Charité dahingehend analysiert.
Es werde hier ein sensibler Grenzbereich des Lebens berührt, denn das Personsein stelle auch postmortal eine maßgebliche ethische Kategorie dar. Der Betroffene darf nicht zum „Organlieferanten“ werden. Voraussetzung ist eine aufwendige Hirndiagnostik, für die bei einem Neugeborenen ein besonders strenges Protokoll angelegt wird. In dem geschilderten Fall sei dabei sehr sorgsam vorgegangen worden und es ist aus ihrer Sicht keine ethische Pflichtverletzung erfolgt.
Im bundesdeutschen Kontext muss der Spender zu Lebzeiten in eine Organspende eingewilligt haben oder die Angehörigen müssen dies im Sinne des Verstorbenen stellvertretend tun. Schwierig wird es bei Neugeborenen, da hier weder eine persönliche Zustimmung zu Lebzeiten, noch eine Einschätzung des Spenderwillens durch die Angehörigen möglich ist. Sind keine Angehörigen vorhanden, wird die Angelegenheit auch juristisch brisant, wie im geschilderten Fall. Das Sorgerecht wird hier durch Dritte ausgeübt, die dem Kind primär auf professioneller Ebene verbunden sind.
„Ein Verzicht auf den Spendeakt wäre ethisch somit gut zu begründen gewesen, nur hätte dies mit Blick auf die Gruppe der Organbedürftigen zugleich eine weitere Pflicht tangiert (Leben zu bewahren). Was wiegt in einer solchen Situation schwerer … ?“, so Woellert.
Wichtig ist immer, so die Ethikerin, dass die spendende Person über den Tod hinaus mit Würde behandelt wird. Das sei im geschilderten Fall erfolgt. Wer allerdings das Selbstbestimmungsrecht über das Gebot, Leben zu bewahren stellt, müsse in einem solchen Fall auf eine Organspende verzichten.
Das Thema Organspende bleibt ein brisantes Thema. Gerade in der Neonatologie ist die vorausgehende Selbstbestimmung nicht möglich. Den mutmaßlichen Spenderwillen können selbst die Angehörigen nicht ausmachen. Noch komplizierter wird es bei einer anonymen Geburt.
Das Team in der Klinik für Neonatologie der Charité hatte damit keine leichte Aufgabe. Sorgfalt und würdiges Handeln waren offensichtlich. Der Gedanke an das gerettete Leben durch die Transplantation macht froh. Für die zukünftige Bundesregierung ergibt sich hier ein weites Feld mit viel Entscheidungsbedarf in der Gesetzgebung.
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