Ob Muskatnuss, Salbei oder Safran – Drogen müssen nicht immer illegal sein. Welche Alltagsdrogen ihr auf dem Schirm haben solltet und wie ihr bei der Intoxikation eines Patienten vorgeht.
Hasch und Heroin, Pillen und Pilze, Kokain und Kath – dass diese Substanzen eine Fahrkarte für eine Reise in die Welt des Rausches sein können, ist bekannt. Nicht jedem ist aber bewusst, dass auch legale Gewürze, Kräuter und Spirituosen zu einem Rausch führen können. Legal heißt nicht ungefährlich; auch Drogen aus Bar und Küche haben es in sich.
Das Wort „Droge“ stammt vom Mittelhochdeutschen „dröge“ ab, was so viel wie getrocknet bedeutet. Gemeint waren damit getrocknete Heilpflanzen. Und eben diese können in der Tat als berauschende Droge verwendet werden. Die Verfügbarkeit von Drogen in Europa wird durch die derzeitige Pandemie nicht ernsthaft beeinträchtigt. Vielmehr beobachten wir weiterhin Risiken für die öffentliche Gesundheit, die sich aus der Verfügbarkeit und Verwendung eines breiten Spektrums von Substanzen ergeben, die häufig von hohem Wirkstoffgehalt oder Reinheit sind, so der aktuelle europäische Drogenbericht.
Online-Quellen und Zustelldienste haben unbewusst die Rolle des Dealers übernommen, die Pandemie hat den Drogenmarkt noch stärker digitalisiert. Meist jugendliche Konsumenten probieren viele Substanzen, die sich im Haushalt finden. Neugier wecken auch Berichte über Rauschzustände durch Kräuter und Gewürze, wie sie teilweise in den sozialen Medien zu finden sind.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde aus Muskatnuss der Inhaltsstoff MDMA, besser bekannt als Ecstasy, isoliert. Die Muskatnuss enthält weitere Halluzinogene wie Myristicin, Safrol und Elemicin. Der Hauptbestandteil ist Myristicin. Er hat Aktivität an serotonergen Rezeptoren und kann nach Exposition zu psychomimetischen Symptomen führen.
Myristicin ist ein Monoaminooxidase-Hemmer, der auch in Antidepressiva vorkommt. Durch einen Überschuss des Neurotransmitters Serotonin kann die Aufmerksamkeit nachlassen. Es kann zudem zu Vergesslichkeit und Verhaltensveränderungen wie Ruhelosigkeit und Muskelzuckungen kommen.
Insgesamt führt der Missbrauch häufig zu leichten bis mittelschweren Symptomen, die keine medizinische Intervention erfordern, obwohl schwerere Vergiftungen einen Krankenhausaufenthalt zur Folge haben können.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden Muskatnüsse als Haschisch-Ersatz gegessen. Als Erster erkannte der Physiologe Purkinje die halluzinogene Wirkung der Muskatnuss. Er berichtete über einen Selbstversuch:
„Über die narkotische Wirkung der Muskatnuß. […] Ich nahm erst eines Morgens eine ganze Nuss, stückweise mit Zucker, was eben nicht unangenehm war. Die Wirkung […] war unbedeutend; etwas Trägheit in den äußeren Sinnen und im Bewegungssystem, ziemlich nachhaltend.“
Er erhöhte die Dosis auf drei Muskatnüsse und verspürte eine unwiderstehliche Schläfrigkeit und angenehme, ruhige Träume. Bei einer Dosis von 7–12 Gramm sind Delirien beschrieben worden, außerdem wirken hohe Dosen abortiv. Toxische Wirkungen sind Halluzinationen, Euphorie, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Tachykardie und Mydriasis.
Der Grund, warum das Gewürz nicht noch stärker als Rauschdroge verbreitet ist, ist die magenreizende Wirkung. „Bevor du berauscht bist, musst du kotzen“, so ein treffendes Zitat aus einem Anwenderbericht.
Vor etwa einem Jahr macht die #NutmegChallenge auf der Unterhaltungsplattform TikTok die Runde, bei der sich User ein Getränk aus Wasser und Muskatnuss-Pulver zusammenmischen. Damit könne man ein halluzinogenes High erzeugen, ähnlich wie bei LSD oder psychedelischen Pilzen, berichten Anwender. Die Erfahrungen von TikTok-Nutzern, die die Muskatnuss-Challenge ausprobierten, reichten vom „Schmelzen“ von Wänden bis hin zu einem Marihuana-ähnlichen High. Zahlreiche Fallberichte über Vergiftungen mit Muskatnusssamen finden sich in der Literatur.
Ein weiteres Gewürz, dass als Rauschmittel angewendet wird, ist der Rauschsalbei; der Name ist Programm. Die psychoaktive Salbeiart Salvia divinorum wird auch als Wahrsagesalbei bezeichnet. Die psychotropen Inhaltsstoffe Salvinorin A und B sind nicht wasserlöslich, was die Applikation erschwert.
Für die halluzinogene Wirkung des Arzneistoffs ist hauptsächlich die starke und selektive agonistische Aktivität an Subtypen der κ-Opioidrezeptoren (KOR) und eine Bindung an den Cannabinoid-Typ-1-Rezeptoren verantwortlich. Bei Menschen führt Salvinorin A zu kurzzeitigen, tiefgreifenden Halluzinationen. Die Inhalation führt zu einem Verlust der Kontrolle, unkontrollierbarem Gelächter, lebhaften, farbenfrohen und oft bizarren traum- oder filmartigen Halluzinationen, so die Berichte.
Es kann zu „Raum-Zeit-Veränderung“ kommen, wobei sich der Konsument an verschiedenen Orten gleichzeitig wahrnimmt. Der Trip kann bei höheren Dosen beängstigend wirken und zu psychotischen Störungen führen. In Notfallberichten sind andauernde Psychosen bei dafür empfänglichen Personen beschrieben, warnt das European Monitoring Centre for Drugs and Addiction im Drogenprofil von Saliva divinorum.
Die Resorption muss über die Mundschleimhaut oder die Lunge erfolgen. Die Konsumenten praktizieren verschiedene Anwendungsformen:
Bei Aufnahme aus der Mundschleimhaut tritt der Rausch nach etwa 10 Minuten ein und hält 45 Minuten an. Geraucht wirkt Salvia deutlich stärker, jedoch kürzer.
„Nach dem ersten Glas siehst Du die Dinge, wie Du wünschst, dass sie wären. Nach dem zweiten siehst Du die Dinge, wie sie nicht sind. Zum Schluss siehst Du die Dinge, wie sie wirklich sind und dies ist das schrecklichste auf der Welt.“
So beschreibt der Dichter Oscar Wilde die ihm bekannte Wirkung des Absinths. Picasso, Toulouse-Lautrec, Gauguin, Baudelaire, Rimbaud und Hemingway waren ebenfalls Anhänger des grünen Schnapses. Der Maler Vincent van Gogh soll sein Ohr im Absinth-Rausch abgeschnitten haben.
Absinth war in Deutschland 75 Jahre lang verboten. Seit 1998 ist er wieder zugelassen und avanciert zum Modegetränk. Die Konsumenten freuen sich, vielen Toxikologen graust es. Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine neuro-, nephro- und gastrotoxische Wirksamkeit des im Absinth enthaltenen Thujons. Zur Herstellung des alkoholischen Getränkes wird die Heilpflanze Wermut, Arthemisia absinthium, verwendet.
Das Produkt ist smaragd-grün, klebrig, schmeckt bitter und hat 50–80 (!) Prozent Alkohol. Chlorophyll gibt dem Getränk seine Farbe. Häufig wird es mit Wasser oder Zucker verdünnt. Bei der Verdünnung kommt es zu einer opaleszierenden Weißfärbung, die auch bei Pernod und Pastis auftritt. Hierfür sind die enthaltenen ätherischen Öle verantwortlich, die wasserunlöslich sind und ausfallen. Die Thujonkonzentration im Absinth ist sehr unterschiedlich. Sie liegt zwischen 0 und 53,2 mg/l. Werte um 50 mg/l übersteigen die Höchstgrenze um 50 Prozent.
Wer „in“ sein möchte, konsumiert seinen Absinth auf besondere, als klassisch empfundene Weise: Ein Stück Würfelzucker wird mit einem Löffel in den Absinth getaucht und über dem Glas angezündet. Der Alkohol verbrennt, und der Zucker tropft ins Glas. Wenn die Flamme erloschen ist, wird der restliche Zucker ins Glas gerührt und der Absinth rasch ausgetrunken. Vermutlich kann auf diese Weise wesentlich mehr Thujon aufgenommen werden.
Absinth ist nicht nur einfach ein alkoholisches Getränk mit Wermutextrakten. Der Inhaltsstoff Thujon führt dazu, dass Absinth eine Klasse für sich darstellt. Im Gegensatz zu allen anderen Spirituosen wirkt nicht nur der Alkohol berauschend, sondern angeblich auch noch weitere Substanzen. Bei Tequila, Vodka, Rum und Konsorten ist es egal, wie 2 Promille erreicht worden sind, der Rausch ist vergleichbar. Beim Absinth kommt eine leichte halluzinogene Wirkung hinzu, so zumindest in zahlreichen Berichten propagiert.
Thujon weist Ähnlichkeiten mit THC, dem Inhaltsstoff von Cannabisprodukten, auf. Es bindet sogar an diesem Rezeptor. Eine daraus resultierende biologische Wirksamkeit konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Thujon wirkt außerdem an GABA-Rezeptoren als Antagonist. Die pharmakologische Bewertung von Extrakten zeigte cholinesterasehemmende und anxiolytische Effekte.
Während einer akuten Episode kommt es zu einem Anstieg von Porphyrinen im Körper. Die Symptome sind Abdominalschmerzen, zerebrale Krampfanfälle, Extremitätenschmerzen und Tachykardie. Sowohl Porphyrie als auch eine Thujonintoxikation können eine neuropsychiatrische Symptomatik auslösen. Besonders exogene Psychosen und Krampfanfälle können auftreten.
Die Meinungen über die Gefährlichkeit der in Deutschland legal erhältlichen Absinth-Produkte sind kontrovers. Der Gehalt an Thujon war früher sicherlich deutlich höher. Bedenklich ist jedoch der teilweise extrem hohe Alkoholgehalt. Illegal vertriebene Produkte, gerade aus den Ostblockstaaten, können erheblich größere Mengen des Toxins beinhalten und sind deshalb toxikologisch als deutlich bedenklicher einzustufen. Eine französische Studie von Chapuis et al. stellt die psychotrope Wirkung von Thujon in Frage und sieht den Alkohol als verantwortliche Substanz.
Auch andere Wissenschaftler sind skeptisch. In der Diskussion um Thujon als möglichen toxischen Bestandteil des Absinth wird die Dosis-Wirkungs-Beziehung häufig vernachlässigt. In kommerziellen Absinthen ist Thujon in so geringen Mengen enthalten, dass eine pharmakologische Wirkung ausgeschlossen werden kann. Diese Ansicht vertreten Lachenmeier et al. in einer Studie. Die Autoren sehen den Hype um den Wermutschnaps als urbane Legende.
Derselbe Autor untersuchte antike Absinthproben, die vor einer Illegalisierung hergestellt und abgefüllt wurden. Nicht selten wurde die Aussage propagiert, der klassische Absinth enthielt 200 Milligramm Thujon pro Liter oder sogar mehr. Tatsächlich jedoch, so fanden Lachenmeier und Kollegen durch Analyse der Proben und Nachvollziehen historischer Rezepturen heraus, wurde schon vor rund 100 Jahren der heutige EU-Grenzwert kaum überschritten. Im Durchschnitt enthielten die Proben lediglich 25,4 Milligramm Thujon pro Liter.
Bereits 2.600 vor Christus war in chinesischen Medizinbüchern die Rede von Safran. Dort wurde die Pflanze (lat. Crocus Sativus) als potenzsteigerndes Mittel angepriesen. Der hohe Preis des Gewürzes – bis zu 30.000 Euro pro Kilogramm – liegt auch in dessen aufwändiger Herstellung begründet. Für die Herstellung von 1 kg Safran müssen 150.000 bis 200.000 Blüten des Safran-Krokus von Hand geerntet werden
Die Wirkungen von Safran sind denen der Opiate nicht unähnlich: krampflösend in Lunge und Darm, schmerzstillend und stimmungsaufhellend. Auch Heiler vergangener Jahrhunderte bezeichneten Safran als Ersatz für Opium oder als „Opium für Kinder“. Nach einer kurzen anfänglichen Phase der Erregung, die auf Crocin zurückzuführen ist, folgen Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, blutige Durchfälle, Haut- und Schleimhautblutungen und Delirien. Schließlich kommt es zum Kollaps und es tritt der Tod ein. Als letale Dosis gelten bei Erwachsenen 20 Gramm.
Die phytochemische Zusammensetzung von Safran ist gut untersucht. Inhaltsstoffe sind Crocetin und Picrocrocin. Aus Rezeptorbindungsstudien ist bekannt, dass Safranextrakt eine antagonistische Wirkung am NMDA-Rezeptor hat. Außerdem greift Crocetin an der PCP-Bindungsstelle des Rezeptors. Der NMDA-Rezeptor ist auch die Bindungsstelle für das Narkoanalgetikum Ketamin und über den PCP-Kanal wirkt das starke Halluzinogen Angeldust. In zahlreichen Studien wurde der Stimmungsaufhellende und antidepressive Effekt von Safran belegt. Sein typisches Aroma erzeugt das Apocaretenoid Safranal.
Diese Liste der berauschenden Kräuter und Gewürze ließe sich fortsetzen. Auch Tonkabohnen, Vanille, Gelbwurz, Galgant und weitere Naturprodukte der Küche lassen sich als berauschende Stoffe nutzen. „Ärzte sollten sich der potenziellen Gefahren des Missbrauchs von Haushaltsgewürzen bewusst sein und Behandlungsstrategien für diese Expositionen verstehen“, so der Ratschlag in der oben zitierten Studie von Johnson-Arbor et al.
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