Wer an Neurodermitis leidet, entwickelt oft auch weitere atopische Erkrankungen. Folgende Hypothese wurde jetzt belegt: Das Risiko für Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma wird gemeinsam vererbt. Neue Therapeutika richten sich gegen alle drei Krankheiten.
Neurodermitis (atopische Dermatitis), Heuschnupfen (allergische Rhinokonjunktivitis) und Asthma bronchiale gehören zu der Familie der sogenannten „atopischen Erkrankungen“. Dies sind Erkrankungen, die bei Kontakt mit ansonsten harmlosen Stoffen aus der Umwelt mit der erhöhten Bildung von allergenspezifischen Immunglobulin E(IgE)-Antikörpern einhergehen. Die Entstehung atopischer Erkrankungen ist ein komplexer Prozess. Ihnen liegt meist eine genetische Komponente zugrunde. Ob ein Patient schließlich an Neurodermitis, Heuschnupfen und/oder Asthma leidet, wird jedoch auch durch teilweise unbekannte Auslöser entschieden. Wie lässt sich erklären, dass einige Personen besonders anfällig für Allergien sind und wie häufig haben Mediziner tatsächlich mit Patienten zu tun, die an einer Kombination aus mehreren atopischen Erkrankungen leiden?
Bekannt ist, dass bestimmte Genveränderungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine atopische Erkrankung zu entwickeln. Bisher hatten genetische Studien allerdings allergische Erkrankungen separat untersucht. Für die SHARE-Studie [Paywall] dagegen waren Daten von etwa 180.000 Patienten mit Neurodermitis, Heuschnupfen oder Asthma bzw. einer Kombination aus diesen analysiert worden. Die Kontrollgruppe umfasste nochmals etwa 180.000 Menschen. Bei diesen Analysen wurden 136 unabhängige Allel-Risiko-Varianten ermittelt, von denen 73 bisher noch nicht beschrieben worden waren. Wissenschaftler aus aller Welt konnten anschließend 244 potenzielle Krankheitsgene zuordnen, von denen die meisten an der Regulation des Immunsystems beteiligt sind. Dies deutet darauf hin, dass allergische Erkrankungen eine gemeinsame genetische Prädisposition für die Überreaktion des Immunsystems haben. „Die Ergebnisse dieser Studie liefern eine Erklärung dafür, warum bestimmte Personen besonders anfällig für Allergien sind“, erklärt Prof. Dr. Young-Ae Lee, Wissenschaftlerin am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin und Leiterin der ECRC-Hochschulambulanz für Pädiatrische Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ob es allerdings zu einer atopischen Erkrankung kommt, hängt vermutlich von weiteren genetischen Faktoren sowie Umwelteinflüssen ab. „Für 16 der identifizierten Gene sind Veränderungen der DNA durch Methylierungen bekannt, die durch Umweltfaktoren ausgelöst werden und zur Genregulierung beitragen“, heißt es in der Pressemitteilung des Max-Delbrück-Centrums.
„Die Ergebnisse sind nicht überraschend, aber hoch spannend“, meint Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Chefärztin der Ambulanz für Umweltmedizin am Klinikum Augsburg. „Die Hypothese, dass unterschiedliche allergische Erkrankungen eine gemeinsame genetische Determinierung besitzen, war zu beweisen. Diese sehr umfassende Studie bewerkstelligt dies sehr überzeugend. Insofern beweist die Studie das, was seit langem in der Luft lag“, so die Dermatologin weiter.
Der ärztliche Leiter des Allergiezentrums Wien West, Prim. Priv.-Doz. Dr. Fritz Horak © Fritz Horak Ähnlich sieht das auch Dr. Fritz Horak, ärztlicher Leiter des Allergiezentrums Wien West. Laut ihm gibt die SHARE-Studie „zusätzlich Hinweise darauf, dass dem Phänotyp der ‚schweren Atopie‘ mit einem erhöhten Risiko für alle drei Erkrankungen aus dem atopischen Formenkreis auch ein spezifischer Genotyp zugrunde liegt.“ Dieser Phänotyp sei charakterisiert durch eine sehr frühe Sensibilisierung gegen saisonale Allergene in der Kindheit (v. a. auch schon vor dem 4.-5. Lebensjahr), einer Co-Sensibilisierung gegen Nahrungsmittelallergene und auch zu einem geringeren Ausmaß durch eine Sensibilisierung gegen Hausstaubmilben (im Alter von 6 Jahren). Für die weltweit größte Allergie-Studie seien genomweite Assoziationsstudien durchgeführt worden, bei denen über acht Millionen genetische Varianten auf ähnliche Expression in den Gruppen untersucht worden sind. „Das ist vor allem auch eine statistische Herausforderung, die immer kritisch interpretiert und in anderen Studien bestätigt werden muss,“ sagt Fritz Horak und verweist auf frühere Studien.
Die Studie der Wissenschaftler um Danielle Belgrave von der University of Manchester beispielsweise zeigt, dass der „allergische Marsch“ – also eine Abfolge von Neurodermitis im Kindesalter, gefolgt von Asthma und allergischer Rhinitis – nur für die wenigsten Patienten (etwa 7 %) wirklich zutrifft. Bei den meisten anderen verläuft der Prozess sehr heterogen. Einer anderen älteren epidemiologischen Studie zufolge, sollen nur etwa 1 % der 13–14-jährigen Kinder alle drei atopischen Erkrankungen gleichzeitig haben. Dagegen würden etwa 20 % der Kinder in diesem Alter an einer und etwa 6 % an zwei Erkrankungen leiden.
Dass es vermutlich einen gemeinsamen Phänotyp der „schweren Atopie“ gibt, so Fritz Horak, zeige eine Analyse [Paywall] zweier großer Geburtskohorten der MAS- und der PASTURE-Studie. Der Untersuchung zufolge würden etwa 4 – 5 % der Kinder an einer solchen „schweren Atopie“ leiden, die wiederum ein hohes Risiko hatten, an Heuschnupfen, Neurodermitis und Asthma zu erkranken.
Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin, Institut für Umweltmedizin, Technische Universität München © Andreas Heddergott Unterschiedlich häufig scheinen dagegen Mediziner mit Patienten, die an einer Kombination aus Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma leiden, zu tun zu haben. So schätzt Claudia Traidl-Hoffmann die Patienten ihrer Spezialambulanz für atopisches Ekzem so ein, dass ein sehr hoher Anteil der Neurodermitis-Patienten auch an Heuschnupfen und einige auch zeitgleich an Asthma leiden. Um diese Fragen allerdings wissenschaftlich fundiert beantworten zu können, wird derzeit ein internationales Neurodermitisregister im Rahmen der ProRaD-Studie aufgebaut, in das 5000 Neurodermitispatienten aufgenommen werden sollen. Fritz Horak hat sich auf die Untersuchung und Behandlung von Familien und Kindern mit Allergien spezialisiert. Er beantwortet die Frage, wie häufig er mit Patienten, die an allen drei Erkrankungen leiden, zu tun hat, wie folgt: „Das kommt gar nicht so oft vor. Bei Erwachsenen ist die Kombination einer Neurodermitis mit anderen atopischen Erkrankungen sehr selten. Ein Teil der Rhinitis-Patienten – geschätzt weniger als 20 % – leidet auch an Asthma. Bei manchen geht auch Rhinitis in Asthma über oder es besteht ein Asthma ohne eine Rhinitis. Letzteres ist jedoch zum Beispiel bei Pollenallergikern eher seltener.“
Behandelt werden die Krankheitsbilder zunächst getrennt. „Leidet ein Patient an einer allergischen Rhinitis mit Asthma, müssen beide Erkrankungen behandelt werden,“ erklärt Fritz Horak. „Auf der anderen Seite kann eine korrekte Behandlung der Rhinitis auch das Asthma positiv beeinflussen“. Heuschnupfen wird normalerweise mit Antihistaminika oder lokalen Glukokortikoiden (siehe: ARIA Guidlines), Asthma mit einer Kombination aus entzündungshemmenden Controllern (z. B. inhalative Glukokortikoide) und bedarfsmäßig inhalierten, bronchienerweiternden Medikamenten (z. B. Beta-2-Sympathomimetika; siehe GINA Guidlines) behandelt. Eine gemeinsame Therapiesäule stellt die spezifische Immuntherapie dar, die bei richtiger Indikationsstellung und Anwendung für beide Erkrankungsbilder eine kausale Therapie darstellt. Neurodermitis-Patienten erhalten gegen ihre Erkrankung eine Basis-Hautpflege und entzündungshemmende Salben (Glukokortikoide oder Calcineurin-Hemmer) als Schubtherapie. „Relativ neu bei der Therapie von Asthma und atopischer Dermatitis ist der Einsatz von Biologicals, die schon auf verschiedene Phänotypen, aber noch nicht auf Genotypen Rücksicht nimmt“, sagt Fritz Horak. Ist es aber sinnvoll, einen Patienten, der beispielsweise nur an Neurodermitis leidet, vorbeugend auch gegen Heuschnupfen und Asthma zu behandeln? Claudia Traidl-Hoffmann bejaht das. Denn Neurodermitis würde ja bekanntermaßen „das Fenster“ für weitere Allergien öffnen. „Man gibt zwar keine Medikamente gegen Asthma, wenn keines vorliegt, aber man versucht, die Neurodermitis so effektiv zu behandeln, dass die Patienten keine Allergien entwickeln“, erklärt die Dermatologin. Bereits heute seien auch Medikamente verfügbar, die gegen zwei bzw. drei der atopischen Erkrankungen helfen. Ein Beispiel hierfür sei der monoklonale Interleukin-4-Antikörper Dupilumab, der bei Neurodermitis und Asthma eingesetzt werden kann.
Neue gezielte therapeutische Ansätze, so Prof. Dr. Young-Ae Lee vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin, würden sich gegen alle drei Erkrankungen richten. Sie erklärt: „Neu und zumindest das Ausmaß der Überlappung betreffend war der Befund, dass diese drei allergischen Erkrankungen so viele erbliche Risikofaktoren teilen. Insofern ist es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass Medikamente alle drei Erkrankungen günstig beeinflussen können. Das ist ja bei gängigen Medikamenten, wie den Antihistaminika, auch so.“ Die Identifizierung neuer Risikovarianten, so Young-Ae Lee, soll jedoch auch dabei helfen, neue Therapiemöglichkeiten zu entdecken. „In der Studie wurde daher mit großen Datenbanken abgeglichen, ob es bereits Medikamente gibt, die die Funktion der identifizierten Gene beeinflussen. Solche Gen-/ Medikamentenpaare kann man als Kandidaten für weitere Untersuchungen ansehen,“ sagt Young-Ae Lee. Eine interessante Fragestellung sei jetzt, ob sich durch diese Studien Medikamente finden lassen, die z. B. für eine andere Indikation zugelassen sind, aufgrund der genetischen Studien aber auch für die Behandlung von Asthma bronchiale geeignet sind. Als Beispiel führt Young-Ae Lee Tocilizumab an. Dieser monoklonale Interleukin-6-Antikörper ist für die Behandlung der rheumatischen Arthritis zugelassen, jedoch in Einzelfällen auch bei der Behandlung des atopischen Ekzems beim Menschen wirksam. Im Mausmodell konnte zudem eine Wirksamkeit bei Asthma bronchiale nachgewiesen werden.