Immer mehr Betten auf deutschen Intensivstationen sind gesperrt und stehen nicht mehr zur Verfügung. Der Grund: Das Pflegepersonal kündigt reihenweise. Was ist zu tun?
Laut der Initiatoren einer Umfrage unter 643 Intensivmedizinern der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DGIIN) stehen immer weniger Intensivbetten zur Verfügung.
„Dahinter steckt keine böse Absicht – es fehlt schlicht das geschulte Pflegepersonal!“, erklärt der Past Präsident der DIVI, Professor Uwe Janssens, Chefarzt Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin St.-Antonius-Hospital. Die schon vor der Pandemie nachweisbaren Probleme in der Intensivmedizin haben sich verstärkt.
„Die zurückliegenden, zermürbenden Monate haben zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften geführt!“ So ist in der kommenden Zeit ist mit einer spürbaren Einschränkung in der Versorgung der Bevölkerung zu rechnen.
Bereits heute sind – vor den anstehenden Herbst- und Wintermonaten – 20 Prozent der maximal betreibbaren High-Care-Betten, in denen Patienten invasiv beatmet werden können, wie sogar 35 Prozent der Low-Care-Betten auf Intensivstationen gesperrt. „Konkret können wir einen Negativ-Trend auch anhand der gemeldeten freien und belegten Betten im DIVI-Intensivregister verfolgen“, sagt Professor Christian Karagiannidis, med.-wiss. Leiter des DIVI-Intensivregisters und Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim. Die Zahlen belegen die Ergebnisse der Umfrage: „Gestern (Stichtag 20. Oktober 2021) wurden uns 22.207 betreibbare Intensivbetten gemeldet. Am 01. Januar dieses Jahres waren es noch 26.475 Betten, also 4.268 mehr – und das war im Hochpunkt der zweiten Corona-Welle in der zahlreiche Pflegekräfte selbst erkrankt waren und ausgefallen sind.“
Die aktuelle Umfrage unterstreicht daher die generelle zunehmende Verschlechterung der Situation in der Intensivmedizin. Denn bereits 2018 führten die Autoren eine Umfrage mit gleicher Fragestellung unter Intensivmedizinern durch. Damals hatten noch 44 Prozent der Befragten berichtet, Bettensperrungen seien nicht erforderlich.
„So sind wir derzeit in der absurden Situation, dass wir zwar glücklicherweise nur rund 1.500 COVID-19-Patientenauf den Intensivstationen behandeln müssen, gleichzeitig fehlen uns aber mehr als 4.000 Betten“, sagt DIVI-Präsident Professor Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen. „So verzeichnen wir wieder eine Einschränkung der Notfallversorgung und müssen geplante, schwere Operationen von Patienten verschieben – eine dauerhaft nicht vertretbare Situation mit Blick auf die uns anvertrauten Patienten“, mahnt der Präsident.
Mitautor Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, spricht deshalb aus, was direkt aus der Erkenntnis immer weniger betreibbarer Betten folgen kann: Eine absehbar schwere Herbst- und Winterwelle mit vielen COVID-19-Patienten, aber auch weiteren respiratorischen Infektionen, wie zum Beispiel Influenza oder RSV, könne die Intensivmedizin in Deutschland erneut an und über ihre Grenzen bringen. „Der Beatmungsanteil von Intensivpatienten wird voraussichtlich deutlich steigen und mit ihr auch die Arbeitsbelastung des Personals“, so Kluge.
Was also tun? Es gilt das vorhandene Pflegepersonal zu halten, also die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte auf den Intensivstationen spürbar zu verbessern. „Für eine erfolgreiche Bewältigung der Coronapandemie – wie auch dauerhafte Etablierung einer qualitativ hochwertigen Intensiv- und Notfallmedizin – ist es jetzt unbedingt erforderlich, das System grundlegend zu reformieren“, fordert Professor Felix Walcher, Präsident elect der DIVI und Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg.
Vorschläge hierzu hat die DIVI gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege (DGF) bereits im März in der „Stellungnahme zur Stärkung und Zukunft der Intensivpflege in Deutschland“ veröffentlicht. Darin werden konkret z.B. der Aufbau psychosozialer Unterstützungsangebote aufgezeigt, die Einführung eines verbindlichen Personalbemessungsinstruments wie auch moderne Arbeitszeitmodelle vorgeschlagen. „Es gilt unbedingt berufliche Perspektiven für die Pflege zu schaffen“, resümiert Walcher. „Das Fortschreiten der aktuellen Situation, eine weiterhin eingeschränkte Notfallversorgung und Intensivmedizin ist nicht hinnehmbar. Das haben uns die vergangenen Monate gelehrt!“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.
Bildquelle: Ante Samarzija, unsplash.