Es gibt den Muttertag, den Welttag der Architektur und – kein Scherz – den Tag der Jogginghose. Heute ist Weltschlaganfalltag und eine neue Leitlinie gibt's noch dazu. Grund genug für einen Deep Dive.
In der ersten Corona-Welle 2020 sank in Deutschland die Zahl der behandelten akuten ischämischen Schlaganfälle um 17 Prozent. Hilft COVID-19 also gegen cerebrale Gefäßverschlüsse? Natürlich nicht, die betroffenen Patienten sind aus Furcht vor Ansteckung weniger zum Arzt oder die Klinik gegangen. Zu den genauen Zahlen – und den Auswirkungen von COVID-19 – gibt es nun einige Studien. Eine neue Leitlinie wurde ebenfalls präsentiert, die ich hier mal genauer unter die Lupe nehme. Vorher aber nochmal ein flotter Überblick zu Schlaganfällen.
Bei einem Schlaganfall handelt es sich um ein akut einsetzendes cerebrovaskuläres Ereignis unterschiedlicher Genese. Am häufigsten handelt es sich um einen ischämischen Hirninfarkt, gefolgt von cerebralen Blutungen. Zerebrovaskuläre Erkrankungen sind die dritthäufigste Todesursache und nehmen mit steigendem Lebensalter zu.
Beim Gefäßverschluss als häufigster Ursache des Schlaganfalls wird das direkt nachgeschaltete Hirngewebe durch Minderversorgung mit Energie und Sauerstoff schnell irreversibel geschädigt. Im angrenzenden Gebiet ist durch Kollateralen jedoch ein reduzierter Blutfluss möglich, dieses Areal wird als Penumbra bezeichnetz. Gelingt die Stabilisierung des cerebralen Blutflusses in diesem Areal nicht, dehnt sich die Ischämie weiter aus.
Die Symptome eines Schlaganfalls sind so vielfältig wie die Areale unseres Gehirns. Für das medizinische Vorgehen ist die transitorische ischämische Attacke (TIA) mit einem vollständigen Rückgang der neurologischen Symptome innerhalb 24 Stunden und dem Schlaganfall gleichzusetzen. Folgende Symptome sind Warnzeichen eines Schlaganfalles, obwohl sie auch verschiedene andere Ursachen haben können:
Hinter einem scheinbaren Schlaganfall kann sich eine Hypoglykämie verbergen. Eine der Ursachen ist die Hypercholesterinämie. Bei der familiären Hypercholesterinämie (FH) liegt eine erbliche, heterozygote Stoffwechselstörung vor. Hierbei kann die LDL-Cholesterin-Konzentration im Blut weitgehend unabhängig vom Lebensstil und der Ernährung auf sehr hohe Werte ansteigen.
Der FH-Score kann als Risikoanalyse-Tool die Diagnosestellung unterstützen. Er wird von der Atherosklerose-Gesellschaft (EAS) und der Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen. Jeder Score wird in eine Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer FH umgerechnet: unwahrscheinlich, möglich, wahrscheinlich oder definitiv.
Seit mehreren Jahrzehnten ist bekannt, dass schwere Infektionen der Atemwege wie Influenza, Pneumonie oder eine akute Bronchitis zu einem vorübergehenden Anstieg von Herzinfarkten und Schlaganfällen führen.
Eine schwedische, in Lancet publizierte Studie von Katsoularis et al. untersuchte, ob auch zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und cerebralen oder kardialen Ereignissen ein Zusammenhang besteht. In die Studie wurden 86.742 Patienten mit COVID-19 eingeschlossen. Das Risiko eines akuten Myokardinfarkts und eines ischämischen Schlaganfalls war bei Patienten mit COVID-19 durchgängig und signifikant erhöht.
„Zusammenfassend deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass COVID-19 ein unabhängiger Risikofaktor für akute Myokardinfarkte und ischämische Schlaganfälle ist.“ Ein Schlaganfall ist immer noch die häufigste Ursache für eine dauerhafte Behinderung.
Schon früh in der Pandemie gab es auch in Deutschland Hinweise darauf, dass es gravierende Auswirkungen auf die Schlaganfallversorgung gibt, so eine Studie von Neumann-Haefelin et al., Klinik für Neurologie aus Fulda. Vom Erstautor der Studie wurden auch Zertifizierungskritrien für Stroke Units für das Jahr 2022 beschrieben.
In einer retrospektiven Analyse von Daten der Barmer-Krankenkasse fanden Seiffert et al. einen signifikanten Rückgang der Krankenhausbehandlungen wegen eines Schlaganfalls im Corona-Lockdown. 8,9 Prozent wurden wegen eines Insultes und 14,6 Prozent wegen einer TIA in den Monaten Januar bis Mai 2020 gegenüber dem Vorjahr weniger behandelt.
Vermutlich steigt die Zahl der Schlaganfälle in der nächsten Generation um 25 Prozent an. Deshalb hat die European Stroke Organization (ESO) und die Stroke Alliance for Europe (SAFE) einen europäischen Aktionsplan ausgerufen. Der Stroke Action Plan for Europe beschreibt Versorgungsziele bis zum Jahr 2030.
Schon jetzt betragen die gesellschaftlichen Kosten des Schlaganfalls in der EU geschätzte 60 Milliarden Euro. Die Kosten werden bis 2040 vermutlich auf 86 Milliarden steigen. „Wir brauchen einen einheitlichen Ansatz für die Schlaganfall-Behandlung und das Schlaganfall-Management, um Ungleichheiten zwischen den europäischen Ländern, die sich durch die Pandemie verstärkt haben, zu überwinden“, so Prof. Martin Dichgans, Präsident der ESO.
Die Vereinigungen ESO und SAFE fordern, die Präventionsbemühungen deutlich zu erhöhen, um die Zahl der Schlaganfälle um 10 Prozent zu senken. Ziel ist es, 90 Prozent der Patienten auf Stroke Units zu versorgen. Diesem Ziel kommt Deutschland heute schon nahe: Die DSG und die Schlaganfall-Hilfe haben in den vergangenen Jahren mehr als 330 Stroke Units zertifiziert. Einige andere Länder verfügen über nicht einmal zehn solcher Stationen.
Ein weiterer zentraler Bestandteil einer verbesserten Struktur könnten Schlaganfall-Lotsen werden. Sie werden bereits bei zahlreichen Projekten in verschiedenen Städten Deutschlands eingesetzt. Mehr als 1.600 Patienten wurden beispielsweise in Ostwestfalen-Lippe in den vergangenen vier Jahren von 17 Schlaganfall-Lotsen betreut.
Eine evidenzbasierte Basis für alle Empfehlungen und Änderungen schafft die neue Leitlinie zur Therapie des Schlaganfalls. Sie ist eine komplette Überarbeitung der bisherigen S1-Leitlinie aus dem Jahr 2012 und der im Jahr 2015 publizierten Ergänzung zu den Rekanalisationstherapien auf S2k-Niveau. Das Werk enthält 116 Empfehlungen und 28 Statements. Im Vergleich zu den vorigen Arbeitshilfen haben sich die Aussagen umfassend geändert.
Hier einige Beispiele:
Eine weitere Therapieoption zur medikmentösen Lyse ist die Thrombektomie. Hierzu müssen Patienten von etwa 35 Prozent der Kliniken verlegt und mehr als 50 km Transportweg überwunden werden, so eine Studie von Schroetter et al.
Nicht immer ist eine Stroke Unit in unmittelbarer Nähe. Hilfreich sind Telekonsile. Gegründet wurde deshalb die Kommission „Telemedizinsche Schlaganfallversorgung“. Unter Leitung von Dr. Christoph Gumbinger, Neurologische Universitätsklinik Heidelberg, wurden klare Strukturen für ein Schlaganfallnetzwerk geschaffen.
In Deutschland agieren über 20 telemedizinische Schlaganfallnetzwerke. Ein Neurologe schaltet sich per Videoverbindung zum Netzwerk zu und hilft so, eine hochwertige Behandlung von Schlaganfallpatienten sicher zu stellen. „Die telemedizinische Schlaganfallbehandlung in Deutschland ist mit über 35.000 Telekonsilen pro Jahr von großer Bedeutung – nahezu jeder zehnte Schlaganfallpatient wird telemedizinisch mitbehandelt,“ so Gumbinger.
Bildquelle: Cassi Josh, unsplash.