Die Faltenbehandlung mit Botulinumtoxin („Botox“) erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Über 6 Mio. Mal wurde Botox im Jahr 2019 weltweit für kosmetische Zwecke gespritzt, davon rund 400 Tsd. Mal in Deutschland.[1]
In der Regel sind Patienten mit der Botox-Behandlung zufrieden, das haben Studien mehrfach gezeigt. Aber was passiert, wenn sie es nicht sind? Wenn die glatte Stirn künstlich wirkt oder überkorrigierte Krähenfüße das Lachen unecht aussehen lassen? Wenn sich der Therapeut in der Dosis verschätzt hat und die Augenbrauen herabsinken? Oder wenn das Toxin migriert und ernstere Nebenwirkungen auftreten, wie etwa Doppelsehen (Diplopie) nach einer Botox-Behandlung von Zornesfalte oder Augenfalten?
Als Arzt bleiben einem dann oft nur Worte der Beruhigung: die Wirkung von Botox ist temporär, in 3–4 Monaten ist der unerwünschte Effekt verschwunden. Gegen herabhängende Augenlider gibt es in schweren Fällen Augentropfen mit Apraclonidin und in leichteren hilft vielleicht auch Massieren der Lider mit der Rückseite einer elektrischen Zahnbürste.
Eventuell lassen sich partielle Fehlunterspritzungen eines Muskels auch dadurch abschwächen, dass man zum Ausgleich seinen mimischen Antagonisten ebenfalls mit Botox injiziert. Dadurch lässt sich eine gestörte Balance im Gesicht vielleicht verbessern. Aber damit sind gegenwärtig verfügbare Möglichkeiten an Gegenmaßnahmen erschöpft. Botox ist, anders als zum Beispiel Hyaluron durch Gabe des Enzyms Hyaluronidase, in seiner Wirkung nicht gezielt umkehrbar. Die toxische und kosmetische Wirkung von Botox wird nur im Zeitablauf schwächer, bis sie nach 4–6 Monaten ganz verschwindet.
Denn ein wirksames Gegenmittel gegen Botulinumtoxin gibt es derzeit nicht. Es existieren zwar modifizierte, antikörperproduzierende Formen von Botulinumtoxin. Sie werden aus enzymatisch gereinigtem Immunserum von Pferden gewonnen.
Doch erstens sind diese Präparate aufgrund der möglichen Verunreinigung mit Pferdeeiweiß problematisch, denn sie können allergische Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock verursachen. Daher muss ihre Gabe (bei Botulismus) unter intensivmedizinischer Überwachung erfolgen.
Und zweitens kann bis dato verfügbares Antitoxin nur die weitere Aufnahme von Botulinumtoxin in die Körperzellen verhindern, aber nicht bereits aufgenommenes und gebundenes Toxin neutralisieren. Dafür gibt es bei Botulismus durchaus Anwendungsfälle, etwa wenn 1 bis 2 Tage nach ersten Symptomen noch Verdacht auf eine weitere Toxinaufnahme aus dem Darm besteht.[2]
Aber in der kosmetischen Botox-Therapie ist eine solche Konstellation in der Regel nicht gegeben. Denn die unerwünschten Folgen können ja erst dann beobachtet werden, wenn das Toxin in die Neuronen aufgenommen wurde und bereits begonnen hat, seine Wirkung zu entfalten. Indem es die injizierten Muskeln entspannt – und damit genau die unerwünschten Folgen für das Erscheinungsbild zeigt, die man jetzt gerne behoben wüsste.
Nun aber haben Forscher am Bosten Children’s Hospital ein neues Antitoxin entwickelt. Und im Unterschied zu aktuellen Varianten scheint dieses Antitoxin dazu in der Lage zu sein, Botulinumtoxin zu neutralisieren, auch wenn es bereits durch die Neuronen aufgenommen wurde.
Zumindest im Tierversuch zeigte sich das neue Antitoxin dazu in der Lage: Bei Mäusen drang es in die Neuronen ein und hob eine bestehende Muskellähmung binnen weniger Stunden auf. Außerdem konnten die Mäuse nach Behandlung mit dem Antitoxin Botulinumtoxin in Dosen widerstehen, die andernfalls tödlich gewesen wären.
Sollten sich diese Ergebnisse auch beim Menschen bewahrheiten, dann wäre dies einerseits ein Durchbruch in der Behandlung von Botulismus. Andererseits würde der ästhetischen Medizin damit erstmals ein Gegenmittel zu Botox an die Hand gegeben. Damit könnten unangenehme Nebenwirkungen aufgehoben und missliche kosmetische „Botox-Unfälle“ korrigiert werden. Noch steht die Forschung zwar am Anfang, doch die ersten Ergebnisse sind ermutigend. Und nimmt man die mittlerweile doch recht zahlreichen Hyaluronunterspritzungen als Anhaltspunkt, die kurze Zeit später wieder mit Hyaluronidase aufgelöst werden, weil die Lippen zu prall oder die Wangen zu markant geworden sind, dann sollte man auch bei Botox-Behandlungen von einem nicht unerheblichen Bedarf an nachträglichen Korrekturen ausgehen.
Quellen:
[1] ISAPS Global Survey Results (https://www.isaps.org/wp-content/uploads/2020/12/Global-Survey-2019.pdf)
[2] RKI Ratgeber Botulismus (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Botulismus.html)
[3] Botulism breakthrough? Taming botulinum toxin to deliver therapeutics (https://answers.childrenshospital.org/botulism-treatment-delivery-platform/)