Seit 10 Jahren gibt es immer wieder Meldungen über die Gefahr durch Brustimplantate. Jetzt schlägt die FDA erneut Alarm, während Europa zögert.
Ein Jahrzehnt, nachdem Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen bestimmten Brustimplantaten und einer seltenen Lymphom-Erkrankung sahen, warnt die FDA erneut. Die New York Times berichtet von einer Anordnung sogenannter Black-Box-Warnungen auf den Verpackungen von Brustimplantaten. Außerdem sollen die Hersteller nur noch an Abnehmer liefern, die die potenziellen Risiken mit ihren Patientinnen ausführlich besprechen. All das ist nicht neu, aber warum jetzt so drastisch und was geht dem Ganzen voraus?
Was das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bisher chronologisch dazu veröffentlich hat, liest sich wie ein Krimi:
„Die US-amerikanische Behörde FDA hat über einen möglichen Zusammenhang zwischen mit Kochsalzlösung bzw. mit Silikongel gefüllten Brustimplantaten und der Entstehung eines anaplastischen großzelligen Non-Hodgkin-Lymphoms (ALCL) berichtet. Sie ist der Meinung, dass Frauen mit Brustimplantaten möglicherweise ein sehr gering erhöhtes Risiko für ein ALC-Lymphom aufweisen. Weltweit seien bei geschätzten 5–10 Millionen Frauen mit Brustimplantaten etwa 60 Fälle verzeichnet worden.“
Es wird empfohlen, bei Patientinnen mit einem späten postoperativem Serom, an ein ALC-Lymphom zu denken. Es gäbe keine Empfehlung für eine vorsorgliche Entfernung. In Deutschland werden zu diesem Zeitpunkt keine entsprechenden Vorkommnisse gemeldet.
Die Hälfte aller in Europa bisher gemeldeten Fälle von implantatassoziierten sind in Frankreich aufgetreten. In den meisten anderen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland, werden keine Erkrankungen bekannt gegeben.
„Die Europäische Kommission hat im letzten Jahr ihren wissenschaftlichen Ausschuss SCHEER (Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks) mit einer Analyse der vorhandenen wissenschaftlichen Informationen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Brustimplantaten und anaplastischen großzelligen Lymphomen (ALCL) beauftragt. Laut SCHEER deuten die verfügbaren Informationen darauf hin, dass Frauen mit Brustimplantaten ein sehr geringes, aber erhöhtes Risiko für ein ALCL haben.“
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benennt das Brustimplantat-assoziierte anaplastische großzellige Lymphom (BIA-ALCL) als neues vorläufiges Krankheitsbild. Für Deutschland werden 7 Fälle von ALCL im Zusammenhang von Brustimplantaten gemeldet.
„Das Brustimplantat-assoziierte anaplastische Großzell-Lymphom (BIA-ALCL) ist eine seltene Form des Non-Hodgkin-Lymphoms.“
Die Mehrheit der bekannten Fälle wird bei Patientinnen mit texturierten Implantaten beobachtet. Dennoch sind bisher keine kontrollierten klinischen Studien durchgeführt worden, worin Patientengruppen mit glatten und texturierten Implantaten verglichen werden. Aus Deutschland liegen 10 Meldungen zu BIA-ALCL vor.
„Dieses spezielle Lymphom, welches in der implantierten Brust als T-Zelllymphom entstehen kann, ist bisher weitgehend unerforscht. Weltweit wurden bisher ca. 800 Fälle bei etwa 35 Millionen Implantierten dokumentiert […].“
Symptome eines ALCL im Zusammenhang mit Brustimplantaten sind entweder ein spätes Serom, frühestens 1 Jahr nach Implantation, oder eine Knotenbildung an der Gewebekapsel. Als therapeutische Maßnahme wird die Entnahme des Implantats und der Kapsel als ausreichend angesehen. Zur Diagnostik wird eine jährliche Nachsorgeuntersuchung mit Ultraschall empfohlen. Die französische Gesundheitsbehörde fordert verschiedene Hersteller von Brustimplantaten auf, bestimmte Modelle texturierter Brustimplantate in Frankreich vom Markt zu nehmen. Es gibt 12 gemeldete Fälle in Deutschland.
„Das BfArM macht darauf aufmerksam, dass der im Juli 2019 von der Firma Allergan durchgeführte weltweite Rückruf bestimmter texturierter Brustimplantate bereits im Dezember 2018 in der EU und damit auch in Deutschland stattfand.“
Mittlerweile liegen 15 Meldungen von BIA-ALCL vor.
In Australien wird ein Vertriebsstopp für Brustimplantate verschiedener Hersteller verhängt. Die zuständigen EU-Behörden sind mehrheitlich der Ansicht, dass aktuell keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die eine Änderung der bisherigen Bewertung und Entscheidungen rechtfertigen würden. Das BfArM schließt sich dieser Einschätzung auf Basis der aktuellen Datenlage an.
Es sind 22 Fälle von BIA-ALCL in Deutschland gemeldet.
Die Fallzahl erhöht sich auf 35 Patientinnen mit einem BIA-ALCL.
Dem BfArM werden 30 histologisch bestätigte Erkrankungen mit einem BIA-ALCL übermittelt. Es gibt Meldungen zu 27 Verdachtsfällen, der histologische Nachweis steht aus.
2019 meldete die FDA, dass bei jährlich 1,5 Millionen Brustimplantaten ein BIA-ALCL zwar eine äußerst seltene Komplikation sei, man aber von einer höheren Dunkelziffer ausginge, da längst nicht alle Fälle gemeldet würden. Die wahrscheinliche Häufigkeit eines BIA-ALCL beträgt 1:3.817 bis 1:30.000 Eingriffen. Mehrheitlich betroffen seien texturierte Implantate, es gäbe aber mittlerweile auch Berichte bei glatten Oberflächenimplantaten. In Europa wurde das Krankheitsbild lange infrage gestellt und bekam erst mit der Tumorklassifikation durch die WHO einen gewissen Stellenwert.
Zu den Black-Box-Warnungen auf der Verpackung wird den Implantaten auch eine neue Checkliste beigefügt. Neben dem Hinweis auf ein BIA-ALCL sind dort auch mögliche andere Beeinträchtigungen wie Autoimmunerkrankungen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie chronische Müdigkeit aufgezählt. Man spricht mittlerweile auch von einer „Brustimplantat-Krankheit“. Die FDA verlangt von den Herstellern die Offenlegung der Inhaltsstoffe, was von Patientenvertretern schon lange gefordert wird.
In diesem Zusammenhang gab die FDA Aktualisierungen zu laufenden Studien heraus, zu deren Durchführung die Hersteller verpflichtet sind. Vier von fünf Post-Marketing-Studien verliefen laut der US-Behörde mit einem „unzureichendem Fortschritt“. Explizit ausgenommen für Implantate seien Frauen mit aktiven Infektionen, Brustkrebsvorstufen und während Schwangerschaft und Stillzeit. Bei Diabetikerinnen, Frauen mit Blutgerinnungsstörungen und Raucherinnen bestehe ein erhöhtes Risiko für einen erschwerten Heilungsprozess.
Ein Drittel der Frauen, die sich für ein Implantat entscheiden, haben nachfolgende Schmerzen, Sensitivitätsverluste und Asymmetrien. Implantate können reißen, auslaufen und eine erneute Operation erfordern. „Brustimplantate gelten nicht als lebenslanges Produkt“, so der neue Warnhinweis. Je länger sie eingesetzt sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen.
Warnhinweise bei Brustimplantaten sind nicht neu. Seit einem Jahrzehnt rücken sie immer wieder in den Fokus. Australien und Frankreich haben restriktiver reagiert, andere EU-Länder eher abwartend. Nun verstärkt die FDA den Druck auf die Hersteller. Sie verhängt neue Warnhinweise, fordert mehr Aufklärung und weiterführende wissenschaftliche Studien.
Ein Apell, dem ich mich nur anschließen kann.
Bildquelle: Philippe spitalier, unsplash