Als Notarzt bin ich oft in der Situation, über lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden zu müssen. Momentan leider öfter. Es gibt aber Möglichkeiten, meinen Kollegen und mir diese Momente zu erleichtern. Ein Überblick.
Ein regnerischer Nachmittag, die Pandemie rollt. Es gab schon bessere Zeiten. Den Tag kann man mal nutzen, um ein paar Dinge anzugehen, die schon lange auf dem Küchentisch liegen. Patientenverfügung (PV), Vorsorgevollmacht (VV) oder Betreuungsverfügung (BV) und Sorgerechtsverfügung (SV).
Es klingt nach einem unüberwindbaren, urlaubsfüllenden, bürokratischen Akt. Aber das ist es nicht.
Die uralte Regel der Intensivmedizin lautet: Man kann nicht keine Entscheidung treffen. Das gilt auch für die Patienten. Wenn die Patienten nichts geregelt haben, regeln wir das. Natürlich versuchen wir, das in ihrem Sinne zu machen, aber wie sollen wir das machen, wenn wir nichts über sie wissen? Patienten, die zu uns kommen, sind meist in einem solch schlechten Zustand, dass es zu spät ist, irgendwas zu regeln. Also beauftragen wir ein Betreuungsverfahren beim Amtsgericht. Dieses wird einen hauptberuflichen Betreuer mit der gesetzlichen Betreuung beauftragen. Es mag dort engagierte Menschen geben – meine Erfahrung ist, dass in 9 von 10 Fällen eine Aufklärung irgendwohin gefaxt wird und unterschrieben zurückkommt. Ich habe nie Nachfragen bezüglich der Sinnhaftigkeit einer Maßnahme bekommen.
Wenn ihr also nicht wollt, dass ein Fremder über euch bestimmt und ihr gegen euren Willen beatmet oder dialysiert werdet, dann solltet ihr das jetzt regeln.
Weil es morgen zu spät sein könnte. Verkehrsunfälle, Hirnblutungen, Herzinfarkte – das alles kann sehr plötzlich und auch bei jungen Menschen auftreten. Es gibt Krebserkrankungen, die sich als erstes über einen schweren Schlaganfall manifestieren. Bevor man von der Diagnose weiß, ist es vielleicht schon zu spät, irgendwas zu regeln.
Weil auch Eltern mal was zusammen ohne ihre Kinder machen, verunfallen können und dann geregelt sein sollte, was mit den Kindern passiert.
Am einfachsten und schnellsten ist es, eine Sorgerechtsverfügung erstellt. Für den unwahrscheinlichen, aber möglichen Fall, dass beide Elternteile versterben oder in Folge eines Unfalls oder einer Erkrankung dauerhaft geschäftsunfähig bleiben und nicht mehr für die eigenen Kinder sorgen können, sollte eine Sorgerechtsverfügung verfasst werden. Eltern können damit Anweisungen machen, wer sich um die Kinder kümmern soll, wenn sie selber dazu nicht mehr in der Lage sein sollten. Recht gut erklärt ist das hier, inklusive vorformulierter Hilfsdokumente.
Der naheliegende Gedanke, die Kinder bei den Großeltern unterzubringen, ist erst mal nicht gänzlich verkehrt. Je nachdem, wie der Gesundheitszustand der Großeltern ist und je nachdem, wie groß der Altersabstand ist, kann es sinnvoll sein, die Kinder bei Familien im Freundeskreis oder bei den Geschwistern der Eltern großwerden zu lassen.
Eine Sorgerechtsverfügung muss also ggf. im Laufe der Zeit angepasst werden. Ein komplexes und unangenehmes Thema, aber die Sorgerechtsverfügung hilft den Familiengerichten, die richtige Entscheidung zu treffen.
Als nächstes braucht ihr eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung. Was ist der Unterschied? Ganz grob gesagt ist eine Betreuungsverfügung eine Anleitung für das Amtsgericht, nach welchen Kriterien ein Betreuer ausgesucht werden soll. Das macht dann Sinn, wenn man im Umkreis niemanden hat, dem man zu 100 % vertraut. Mit einer Vorsorgevollmacht hingegen kann jeder selbst Personen seiner Wahl direkt bevollmächtigen. Wichtig – beide Dokumente sind wirkungslos, solange man selbst in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen.
Formulierungshilfen für eine Vorsorgevollmacht gibt es viele, eine Möglichkeit findet ihr hier. Für eine Betreuungsverfügung gibt es auch verschiedene Vorlagen, eine Möglichkeit wäre diese hier.
Und dann wäre da noch die Patientenverfügung. Die gängigen Patientenverfügungen, die man so im Netz findet, sind meist unbrauchbar. Sie beginnen mit vorformulierten Eingangsbedingungen, die eine konkrete Anwendung auf den klinischen Fall meist ausschließen.
Diese Patientenverfügungen werden meist für viel Geld bei Notaren ausgestellt und beginnen so oder ähnlich:
„Wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass meine Erkrankung unweigerlich zum Tod führt, wünsche ich …“. Solche Situationen gibt es nicht. Juristen haben sich das sicher fein überlegt, die klinische Praxis sieht aber anders aus. Wir bekommen Patienten beatmet und komatös vom Rettungsdienst, manchmal nach einer Reanimation, manchmal nach einem Verkehrsunfall oder ähnlichen Schicksalsschlägen. Es gibt wenige Situationen, in denen eine Erkrankung unweigerlich zum Tod führt und genau das stellt das Dilemma der Intensivmedizin dar. Wir können fast immer noch irgendetwas machen.
Nur – die wenigsten Patienten wünschen das. Wie verhindert man also, dass man gegen seinen Willen „an Maschinen hängt“?
Ich würde grundsätzlich zwischen zwei Lebenssituationen unterscheiden. Ist man sonst jung und gesund und mit eher noch ausgeprägtem Lebenswillen, aber möchte verhindern, in Folge einer plötzlichen Erkrankung als Wachkomapatient zu enden, empfiehlt sich eine zeitliche Limitierung der Maximaltherapie. Explizit erläutert habe ich das sinnvolle Vorgehen für eine Patientenverfügung für junge Menschen, Studenten, Schüler und Jugendliche hier.
Anders gelagert ist der Fall bei Menschen, die eine intensivmedizinische Therapie kategorisch ablehnen. Manche wünschen unter keinen Umständen eine künstliche Beatmung, eine Dialyse oder andere lebensverlängernde Maßnahmen. Trotzdem kann es sein, dass auch sie im Supermarkt einkaufen, plötzlich reanimationspflichtig werden und dann natürlich auch durch den Rettungsdienst entsprechend versorgt werden. Spätestens in der Klinik sollten dann die Wünsche des Patienten reevaluiert werden.
Hierfür empfiehlt sich eine möglichst klare Formulierung, die eine Limitierung der Therapie auch unter Inkaufnahme einer Lebenszeitverkürzung fordert. Den Text findet ihr hier.
Ich wurde mal gefragt: „Macht es Sinn, sich so etwas wie ‚DNR’ oder ‚Nicht reanimieren’ auf die Haut tätowieren zu lassen?“ Auch wenn das wie eine klare Anweisung erscheint, kann es nicht dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen. Vielleicht hat der Patient nämlich nur eine Wette verloren.
Dokumente sind gut und wichtig, aber vor allem solltet ihr – wenn möglich – mit ein oder zwei ausgewählten Freunden/Verwandten über eigene Werte und Wünsche reden.
Das sind sicher keine bequemen, aber sehr wichtige Themen.
Ich wünsche euch guten Mut, das mal anzupacken – und auch euren Patienten zu raten, das anzugehen. Ihr helft den behandelnden Ärzten und Kollegen. Und vor allem tut ihr euch selbst den größten Gefallen. Denn nur wenn wir wissen, was ihr wünscht, können wir euch so behandeln, wie ihr es gewollt hättet.
Vor allem aber gilt: Bleibt oder werdet gesund und passt auf euch auf!
Bildquelle: Olga Kononenko, Unsplash