Wie kommt es eigentlich zu Long Covid? Das war eines der Themen beim diesjährigen DGN-Kongress. Die DocCheck News waren für euch dabei.
Viele Wissenschaftler und Mediziner nahmen zu Beginn der COVID-19-Pandemie an, dass die Krankheit lediglich die Lunge betrifft. Mittlerweile ist bekannt, dass eine SARS-CoV-2-Infektion viel weitreichendere Folgen mit sich trägt. Daher ist ein „interdisziplinäres Team gefragt“, sagte Dr. Christiana Franke, Leiterin der Post-Covid-Amulanz an der Charité Berlin. Dazu zählen Internisten, Pulmologen, Kardiologen, aber auch Dermatologen und „wir Neurologen“, erklärt die Medizinerin auf der diesjährigen Pressekonferenz des 94. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Die Doccheck News Redaktion war für euch dabei.
Hauptsächlich ging es in ihrem Vortrag um Post- und Long-Covid. Ende letzten Jahres wurde Long Covid erstmals in den NICE-Leitlinien definiert: Anhaltende COVID-19-Syptome über 4 bis 12 Wochen nach der Erkrankung, sowie Post Covid, was Symptome erfasst, die während der COVID-19-Erkrankung auftreten, mehr als 12 Wochen anhalten und nicht durch eine andere Diagnose erklärbar sind.
Die Falldefinition der WHO vom 6. Oktober weitete das Ganze noch etwas aus. Dabei wird für Post Covid eine vorausgegangene und bestätigte bzw. möglicherweise bestandene SARS-CoV-2-Infektion vorausgesetzt. Die Akutinfektion muss 3 Monate zurückliegen und seitdem müssen für mindestens 2 Monate persistierende oder neue Symptome bestehen bzw. fluktuierend auftreten. Unter den Symptomen sind Fatigue, Kurzatmigkeit, Kognitionsstörung und 25 weitere Symptome erfasst.
Franke bezeichnete die NICE-Guideline als sehr „künstlich“, da sie sich an „zeitlichen Kriterien“ orientiere und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass häufig auf eine akute COVID-19-Erkrankung eine verlängerte Phase der Rekonvaleszenz folgt. Die Definition der WHO integriere hingegen auch klinische Symptome und lege sich nicht nur zeitlich fest.
Zahlen neuster Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass die Neurologie bei Post Covid gefragt ist. Das liege unter anderem an den Symptomen wie Fatigue, kognitiver Einschränkungen, aber auch neurologischer Auswirkungen wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen- und schwäche und die anhaltende Geruchs- und Geschmacksstörung.
„Also wirklich Dinge, die die Patienten im Alltag beeinträchtigen und das sieben Monate nach der Akut-Infektion“, erklärte die Medizinerin. Sie verwies dabei auf eine umfangreiche Studie, die im JAMA veröffentlicht wurde. Diese umfasst 750 COVID-19-Genesene, die differenziert neurologisch getestet wurden. Und das in einem Zeitraum von 7 Monaten nach abgeschlossener Infektion. Dabei wiesen die Betroffenen Gedächtnis- und Sprachstörungen sowie Beeinträchtigungen der kognitiven und exekutiven Fähigkeiten auf. Insbesondere hospitalisierte Patienten waren häufiger von der kognitiven Dysfunktion betroffen als nicht-hospitalisierte Patienten. Hinzu kommt, dass die Betroffenen mit einem durchschnittlichen Alter von etwa 49 Jahren recht jung waren.
Deutschlandweit gibt es mittlerweile etwa 70 Post-Covid-Ambulanzen, die Betroffene behandeln. Die Daten der ersten 100 Patienten aus der Berliner COVID-19-Ambulanz bestätigen die berichteten neurologischen Symptome: „Sie zeigen, dass wir es fast immer mit jungen Leuten zu tun haben. Also Patienten, die im Mittel 45 Jahre alt sind, mitten im Leben stehen, Familie haben, im Job sind, also eigentlich auf der Schnellstraße des Lebens sind. Und zum Teil jetzt aus diesem Alltag ausfallen“, sagte Dr. Franke zu ihrer Studie. Am häufigsten berichteten die Patienten von kognitiven Beeinträchtigungen, dicht gefolgt von der Fatigue. Darunter seien viele Frauen die vorstellig wurden – etwa zwei Drittel. Anders als in der Studie zuvor, hatten etwa 90 Prozent einen milden Verlauf und waren nicht hospitalisiert.
Zwar stünden viele Aufgaben noch bevor, jedoch hat Frau Dr. Franke auf Anfrage auch erste Vorschläge zur Diagnostik, Behandlung und Therapie von Betroffenen gegeben. So empfiehlt sie, den aktuellen DGN-Leitlinien zur Behandlung zu folgen. In ihrer Ambulanz an der Charité wird zunächst eine ausführliche Anamnese der Patienten gemacht und anschließend eine Diagnostik. Dabei achten die Behandelnden darauf, ob sich doch etwas Anderes hinter den Symptomen verbirgt, bevor sie dann auf Post Covid schließen. Dann starten sie in der Regel die dementsprechende symptomatische Behandlung. Bisher wurden laut Dr. Frauke auch eher Ungeimpfte vorstellig, da diese ihre Erkrankung noch aus der 1. Und 2. Pandemiewelle tragen. Denn damals gab es noch kein entsprechendes Impfangebot.
Die Frage nach der pathophysiologischen Ursache kann anhand der derzeitigen Datenlage noch nicht beantwortet werden. „Wir können aktuell nur sagen, was es nicht ist und woran es nicht liegt“, sagte Dr. Franke. Es handele sich nicht um einen Nervenzelluntergang bzw. ein anhaltender Nervenschaden liege nicht vor. Eine intrathekale Antikörperproduktion gegen SARS-CoV-2 sei nicht vorhanden und somit sei auch nicht von einem anhaltenden Schaden durch COVID-Antikörper auszugehen, erklärte die Medizinerin.
Tatsächlich kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie im Fachmagazin Cell zu ähnlichen Ergebnissen: Darin haben Forscher das Auftreten der Anosmie im Zusammenhang mit COVID-19 betrachtet. Die Untersuchung umfasste 85 COVID-19-Patienten, die kurz nach ihrer Infektion verstarben. Dabei erkannten die Forscher, dass Sustentakularzellen die Hauptzielzellen des Virus in der olfaktorischen Schleimhaut sind. Sie fanden dabei keine Hinweise einer Infektion von olfaktorischen sensorischen Neuronen oder des Parenchyms des Bulbus olfactorius. Daraus schlossen sie, dass SARS-CoV-2 wahrscheinlich kein neurotroper Erreger ist. Die Autoren nehmen daher an, dass die transiente unzureichende Unterstützung durch Sustentakularzellen eine vorübergehende olfaktorische Dysfunktion auslöst. D.h. olfaktorische sensorische Neuronen würden davon betroffen werden ohne selbst infiziert zu sein oder einfacher ausgedrückt: SARS-CoV-2 befällt wahrscheinlich nicht das Gehirn.
„Die Zeit und die wissenschaftlichen Untersuchungen werden zeigen, was pathophysiologisch hinter Post-Covid-Syndrom steckt. Da gibt es viele Ansätze und ich denke, es wird nicht nur einen Schlüssel zur Lösung geben. Sind es die endothelialen-mikrozirkulatorischen Dysfunktionen oder das Virus selbst, was eine anhaltende Entzündung bei den Patienten verursacht? Also eine virale Persistenz oder führt es zu einer unspezifischen Inflammation des Zentralen Nervensystems?“, sagte Dr. Franke abschließend. „Unsere eigenen Arbeiten gehen in Richtung Autoantikörper-vermittelte pathomechanistischer Ursachen, dass diese eventuell Virus-getriggert sind.“
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