Liebe Ärzte, habt ihr euch das mit dem Dispensierrecht gut überlegt? Ich habe mal aufgelistet, was damit alles auf euch zukommen würde – ständige Updates, riesige Medikamentenlager und Retax-Ärger. Na, noch Bock?
Das Dispensierrecht, um das es hier geht, ist das, was wir in der Schweiz Selbstdispensation nennen: Ärzte geben Medikamente selber ab bzw. verkaufen sie. Das haben wir in der Schweiz in manchen Kantonen schon. Aber die Bedingungen sind anders. Ob die deutschen Ärzte sich das gut überlegt haben? Oder soll das nur so eine Retourkutsche sein, da die Grippe-Impfung in der Apotheke ja auch in Deutschland immer mehr erlaubt wird?
Hier in der Schweiz werden den Apotheken unter anderem deshalb immer mehr Dienstleistungen und Kompetenzen zugestanden, weil es immer weniger Hausarztpraxen gibt. Die Gesundheitsversorgung könnte sonst schlechter werden. Ich denke, das Ziel war, mehr Orte zu schaffen, wo Zugang zu medizinischer Versorgung gewährleistet ist. Das Problem, dass diese Orte nicht zwingend auf dem Land und in kleinen Ortschaften entstehen, wird dadurch aber auch hier nicht gelöst.
Dennoch dürfen wir per Gesetz (siehe neues Heilmittelgesetz) in der Schweiz eine Menge mehr als deutsche Apotheken. Bei uns gibt es Vorbezüge (Abgabe von Rezeptpflichtigem, wo das Rezept nachgeliefert wird), es gibt Dauerrezepte, wir dürfen Dauerrezepte selbstständig verlängern, wir dürfen (in bestimmten Situationen) Rezeptpflichtiges ohne Rezept abgeben, wir dürfen Wunden versorgen, triagieren (ja, diagnostizieren) und impfen, nicht nur gegen Grippe.
Anderes gibt es bei uns im Gegensatz zu Deutschland nicht – und das ist der Grund, weshalb ein Arzt in Deutschland nicht so einfach Medikamente selber abgeben/verkaufen kann, wie die Ärzte hier in der Schweiz. Falls das Dispensierrecht in Deutschland kommt, wäre zu erwarten, dass das unter den selben Voraussetzungen geschieht, die auch für Apotheken gelten.
Dazu ein kurzer Exkurs: Die Medikamente, die die Krankenkasse bezahlt, unterstehen Rabattverträgen. Die Krankenkasse macht Verträge mit den herstellenden Pharmafirmen, faktisch schreibt sie damit vor, von welcher Firma man das Medikament abgeben muss. Wird nicht das richtige Medikament abgegeben, wird der Apotheke der komplette Preis des Medikamentes nicht zurückerstattet: Retaxation, ihr kennt es. Da diese Rabattverträge von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich sind und gelegentlich wechseln, müsste der Arzt dann auch ein riesiges Medikamentenlager unterhalten oder genauso rasch bestellen können, wie es die Apotheke kann.
Bei uns gibt es keine Rabattverträge, die Krankenkassen haben viel weniger Macht, was die Auswahl der Medikamente angeht. Ich hoffe, das bleibt so. Denn ich gehe davon aus, dass Rabattverträge nur nach monetären Kriterien ausgewählt werden und der Rest außen vor bleibt (Galenik, schlechtere Adhärenz und mehr Medikationsfehler bei ständig wechselndem Medikamentennamen und -aussehen).
Damit man bei den Rabattverträgen up to date bleibt, müssen das Computersystem und die Programme/Daten ständig aktuell gehalten werden. Ich muss in der Schweizer Apotheke schon 3x wöchentlich Updates zum Medikamentenstamm einspielen – das dürfte in Deutschland noch viel extremer sein.
Auch das mit der Fälschungsschutzrichtlinie Securpharm gibt es bei uns nicht. Sie schreibt vor, dass Medikamente bei Ein- und Ausgang auf Fälschungen kontrolliert werden und auch das alles mit speziellen Geräten und Programmen. Auch die müssten dann durch die Ärzte angeschafft werden.
Leider scheint es bei uns so zu sein, dass die Ärzte nicht denselben Vorschriften entsprechen müssen, was die Lagerung der Medikamente angeht (QMS Lagerhaltung, Temperaturüberwachung, Verfalldatenkontrolle), jedenfalls habe ich bei Patienten schon Sachen gesehen, die abgelaufen sind. Und ich habe den Medikamentenschrank meines Hausarztes gesehen. Er hat die für ihn gängigsten Sachen (in Form eines Generikums einer Firma) am Lager.
Wenn etwas Außerordentliches gebraucht wird, hat der Arzt es auch nicht da – dann braucht es die Apotheke doch wieder. Wenn es die Apotheke nebenan dann noch hat. Nur als Lückenbüßer kann sie nicht überleben. Dann würden noch mehr Apotheken sterben (auf dem Land meistens) und sich die Versorgung noch weiter verschlechtern. Dazu kommt noch, dass selbstdispensierende Ärzte die Apotheke als neue Konkurrenz empfinden. Das verschlechtert allgemein die Zusammenarbeit, nicht zum Wohl des Patienten.
Auch zu bedenken: Wenn der Arzt nicht da ist (in den Ferien, Feierabend, selber krank) gibt es auch keine Abgabe. Bei uns gibt es für so Fälle die Möglichkeit, in der Apotheke trotzdem abzugeben – als Vorbezug mit Nachliefern des Rezeptes oder als Rx-Abgabe im Ausnahmefall. Das ist beides in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht möglich, da ist der Patient in so einem Fall wirklich gestrandet.
Also: Ist das Dispensierrecht wirklich so erstrebenswert, wie die Ärzte in Deutschland sich das vorstellen? Das Argument mit der Konkurrenz der Apotheken wegen der Grippe-Impfungen zieht in meinen Augen auch nicht unbedingt. Wir dürfen nur gesunde Personen impfen, das sind meist die, die nicht so oft zum Arzt gehen und sonst kaum erreicht werden.
Bildquelle: Usman Yousaf, Unsplash