Häufig wird es schon genutzt: Oxytocin-Nasenspray soll Menschen mit Autismus soziale Interaktionen erleichtern. Doch die Datenlage ist unklar – hilft es nun oder nicht?
Oxytocin ist ein kleines Hormon aus nur neun Aminosäuren – und dennoch sehr komplex. Es wird etwa bei Geburten ausgeschüttet und sorgt für die Bindung zwischen Mutter und Kind. Gleichzeitig kann es aber auch Aggressionen gegenüber Fremden fördern. Dazu kommen immer mehr Anhaltspunkte, dass Oxytocin einen Einfluss auf viele verschiedene Funktionen hat, wie etwa für Sprache, Kognition, Sicherheitsempfinden und sogar die Anatomie des Gehirns.
Vor allem wird es im Zusammenhang mit dem Sozialverhalten untersucht. Intranasal angewendet scheint Oxytocin die Empathie zu steigern, ebenso wie es andere Aspekte des sozialen Umgangs zu beeinflussen scheint. Gleichzeitig finden sich bei Menschen mit Autismus – die oft Schwierigkeiten mit sozialen Interaktionen und Empathie haben – Veränderungen der Oxytocin-Mengen im Blutplasma und der Oxytocin-Andockstellen im Gehirn.
Es ist also naheliegend, zu untersuchen, wie sich intranasales Oxytocin bei Menschen mit Autismus auswirkt. Genau das haben bereits viele Studien getan, allerdings mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Manchmal verbesserte die Behandlung tatsächlich die sozialen Fähigkeiten, andere Gruppen fanden hingegen keinen Effekt, selbst mithilfe von Meta-Analysen.
Trotz der wenig eindeutigen Erkenntnisse nehmen bereits viele Kinder und Jugendliche im Autismus-Spektrum Oxytocin-Nasenspray als eine Art alternative Behandlung ein. Amerikanische Wissenschaftler untersuchten nun, welchen Effekt intranasales Oxytocin bei autistischen Kindern und Jugendlichen über einen längeren Zeitraum hat. In der Phase-II-Untersuchung nahmen die insgesamt 277 Testpersonen zwischen drei und 17 Jahren täglich Oxytocin oder ein Placebo ein. Zu Beginn und nach 24 Wochen kontrollierten die Forscher die Autismus-Symptome anhand verschiedener Skalen und befragten auch die Erziehungsberechtigten. Das Ergebnis: Sie reihen sich bei den Studien ein, die keine Auswirkungen von Oxytocin auf das Sozialverhalten feststellen können.
Allerdings hat die ansonsten gut durchdachte Studie eine große Schwäche, sagt Dr. Luise Poustka, Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit dem Schwerpunkt Autismusforschung an der Universitätsmedizin Göttingen: „Oxytocin wurde hier isoliert angewendet, als einzige Intervention. Das ist in etwa so, als würde man Anabolika zum Muskelaufbau ohne begleitendes körperliches Training einnehmen.“ Um tatsächliche Effekte aussagekräftig zu untersuchen, müsste das Oxytocin-Spray beispielsweise begleitend zu einer konkreten Verhaltensintervention eingenommen werden. Etwa ein wöchentliches Gruppen-Training zur Verbesserung von sozialen Kompetenzen, bei der jeweils vor der Sitzung Oxytocin verabreicht wird. So könne das Medikament direkt bei der Übung den Therapieeffekt steigern.
Insgesamt ist es schwierig, die einzelnen Studien sinnvoll miteinander zu vergleichen. Sie unterscheiden sich teils stark in Bezug auf das Alter der Teilnehmer, die Dauer der Behandlung, die Dosis und die Analysemethoden. Zudem lassen sich Untersuchungen von Menschen ohne Autismus nicht einfach verallgemeinern. In einer deutschen Studie fanden zwei Forscherinnen etwa, dass Oxytocin bestimmte soziale Fähigkeiten verbesserte – allerdings gerade nicht bei Menschen im Autismus-Spektrum.
Dass intranasales Oxytocin autistischen Menschen helfen könnte, ist damit weder ausgeschlossen noch bewiesen. „Wir müssen noch mehr über die neurobiologischen Grundlagen des komplexen Sozialverhaltens bei Autismus lernen und verschiedene Subgruppen genauer charakterisieren“, sagt Poustka. Wichtig sei es auch, sensitivere Messinstrumente zu finden, um die unterschiedlichen Komponenten sozialen Verhaltens besser erfassen zu können.
Die Hoffnung, dass Oxytocin vor allem als hilfreicher Zusatz die Therapie bei Autismus-Spektrum-Störungen unterstützen könnte, bleibt. Weitere Studien müssen zeigen, ob und in welcher Form das Oxytocin-Nasenspray eingesetzt werden sollte.
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