Noch immer ist der Ursprung von SARS-CoV-2 nicht bekannt. Lasst euch auf eine Zeitreise ein, um die Anfänge der Pandemie besser zu verstehen.
Nach fast zwei Jahren Pandemie ist immer noch nicht bekannt, woher das SARS-CoV-2-Virus stammt. Zwei heiß diskutierte Theorien sind einerseits ein zoonotischer Urpsrung, an dem wahrscheinlich Hufeisennasen-Fledermäuse beteiligt waren (wir berichteten), und anderseits ein Ausbruch aus einem Labor (wir berichteten). Letztere Hypothese ist aus Sicht vieler Wissenschaftler unwahrscheinlicher. Mittlerweile ist auch bekannt, dass sich auch Säugetiere mit dem Virus infizieren können, wie Marderhunde (Nyctereutes procyonoides). Das sind Tiere, die ebenfalls vor Pandemie-Beginn auf dem Huanan-Markt sowie auf drei weiteren Tier-Märkten in Wuhan verkauft wurden. In den Marderhunden konnten bereits diverse SARS-verwandte Coronaviren (SARSr-CoV) nachgewiesen werden. Dennoch ist nicht bekannt, ob das entscheidende Ereignis auf diesem Markt durch diese Säugetiere stattgefunden hat, was nun zur Pandemie führte.
Die renommierte Fachzeitschrift Science veröffentlichte nun einen Artikel, der die Zeitachse der Geschehnisse im Dezember 2019 und Januar 2020 widerspiegelt. Erkenntnisse über die Ereignisse helfen dabei, den ungeklärten Ursprung des Virus besser zu verstehen. Also lasst uns die Zeitreise starten.
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Das erste Krankenhaus, das die öffentlichen Gesundheitsbehörden des Bezirks Jianghan über eine mysteriöse Lungenentzündung informierte, war das Hubei Provincial Hospital of Integrated Chinese and Western Medicine (HPHICWM). Zhang Jixian, Direktorin für Atemwegs- und Intensivmedizin erfasste am 27. Dezember das erste bekannte Infektions-Cluster: Eine kleine dreiköpfige Familie. Vorstellig wurde zunächst nur das ältere Ehepaar der Familie. Die CT-Bilder der Lunge des Ehepaares wiesen große Milchglastrübungen auf, die sich nochmals von gängigen viralen Lungenentzündungen unterschieden. Nach diesem Befund bestand Zhang darauf, dass der Sohn des Paares – der zu diesem Zeitpunkt weder Patient war, noch Symptome aufwies – sich auch einer CT-Untersuchung unterzieht. Dabei beobachtete die Medizinerin dieselben ungewöhnlichen Läsionen. Das Besondere daran: Keiner dieser Familienmitglieder hatte eine bekannte Verbindung zum Huanan-Markt.
Ein weiterer Patient mit ähnlichen CT-Befunden – ein Arbeiter auf dem Huanan-Markt – wurde ebenfalls am 27. Dezember aufgenommen. Zhang befürchtete schon eine neue ansteckende Viruserkrankung und meldete die vier Fälle, woraufhin die Seuchenschutzbehörde des Bezirks Jianghan alarmiert wurde. In den folgenden beiden Tagen wurden drei weitere Patienten aufgenommen – alle waren Arbeiter auf dem Huanan-Markt und wiesen dieselbe unbekannte Atemwegserkrankung auf. Xia Wenguang, Vizepräsident des HPHICWM, brachte am 29. Dezember 10 Experten des Krankenhauses zu einem Notfalltreffen zusammen, darunter auch Zhang. Als Xia über weitere Patienten mit ähnlichen Befunden und einem Zusammenhang zum Huanan-Markt in weiteren Krankenhäusern erfuhr, alarmierte er die Seuchenschutzbehörden in Wuhan und Hubei über die außergewöhnliche Situation.
Ähnliche Geschehnisse traten auch im Zentralkrankenhaus von Wuhan auf: Am 18. Dezember traf Ai Fen, Direktorin der Notaufnahme, auf ihr ihren ersten Patienten mit dieser ungeklärten Lungenentzündung. Es handelte sich um einen 65-Jährigen, der entweder 3 oder 5 Tage zuvor erkrankt war. Ali wusste jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es sich hierbei um einen Zusteller des Huanan-Markts handelte. Ein CT-Scan wies auf eine Lungeninfektion hin, doch der Patient reagierte weder auf Antibiotika noch auf Anti-Influenza-Medikamente.
Die Ärzte entnahmen ihm eine bronchoalveoläre Lavage-Probe, die am 24. Dezember an Vision Medicals, einem Unternehmen für die Sequenzierung von Metagenomik, geschickt wurde. Am 26. Dezember identifizierten sie es als ein neues SARSr-CoV und teilten den Befund einen Tag später dem Krankenhaus mit. Bis zum 28. Dezember hatte das Zentralkrankenhaus von Wuhan sieben Fälle identifiziert, von denen vier mit dem Huanan-Markt in Verbindung standen. Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass diese Fälle sowie die Berichte des HPHICWM vor Beginn der epidemiologischen Untersuchungen zum Huanan-Markt am 29. Dezember festgestellt wurden.
Am 30. Dezember gab die Wuhan Municipal Health Commission (WHC) eine Notfallmitteilung an örtliche Krankenhäuser heraus: Darin warnte sie vor Patienten mit ungeklärter Lungenentzündung, von denen mehrere auf dem Huanan-Markt arbeiteten. Ein Tag später folgte dann der erste offizielle öffentliche Bericht – eine retrospektive Untersuchung und Fallrecherche, die 27 Patienten im Zusammenhang mit dem Huanan-Markt gefunden hatte. Die erste aufschlussreiche Studie erfolgte anhand von den ersten 41 bekannten Patienten, doch nur etwa 66 Prozent dieser Personen hatten überhaupt einen Bezug zu dem Markt.
China hatte schon öfters mit epidemischen Ausbrüchen zu kämpfen – so wurde im Zuge der ersten SARS-Welle Chinas Ciral Pneumonia of Unknown Etiology (VPUE) gegründet. Dabei handelt es sich um ein Frühwarnsystem zur Erkennung unbekannter Viruserkrankungen. Das wiederum wird von Chinas Center for Disease Control and Prevention (CCDC) überwacht. Krankenhäuser haben dadurch die Möglichkeit, unbekannte und meldepflichtige Krankheiten zu melden. Offensichtlich ist dies im Dezember in Wuhan nicht geschehen. Erst am 3. Januar soll das System aktiv gewesen sein. Hinzu kommt, dass die Berichterstattung erst erfolgte, nachdem die 41 ersten Patienten aus den verschiedenen Krankenhäusern in das Jinyintan-Krankenhaus verlegt wurden. Auch wenn die VPUE zur Aufdeckung der Pandemie beigetragen hat, war es das HPHICWM, das sowohl den Ausbruch als auch die Verbindung zum Huanan-Markt bis zum 29. Dezember identifizierte.
Am 31. Dezember, etwa 15 km entfernt vom Huanan-Markt, im Zhongnan-Krankenhaus im Bezirk Wuchang bat die Vizepräsidentin Yuan Yufeng die Einheiten nach unerklärten pneumologischen Fällen zu suchen. Die Abteilung für respiratorische Medizin meldete daraufhin zwei – beide hatten eine Verbindung zu dem Huanan Markt. Am 3. Januar wurden dann drei weitere Fälle identifiziert: Ein Familien-Cluster, das keinen Zusammenhang zum Huanan Markt hatte.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Krankenhäuser in Wuhan nocht nicht überschwemmt mit Fällen des neuartigen SARS-CoV-2 – das kam erst später. Ende Ende Dezember umfasste lediglich die ersten Wochen des Ausbruchs, in denen viele Fälle identifiziert wurden. Nennenswert ist jedoch, dass nicht jeder Fall eine Verbindung zum Huanan-Markt hatte – dem angeblichen Ursprungsort des Virus.
Lediglich 53 Prozent der ersten 19 COVID-19-Fälle wurden mit dem Markt in Wuhan in Verbindung gebracht – etwa vergleichbar mit den 66 Prozent der 41 Fälle aus Jinyintan oder mit den 33 Prozent der 168 Fälle des WHO-China-Berichts, die rückwirkend für den Dezember 2019 identifiziert wurden. Erst als der Huanan-Markt als epidemiologischer Risikofaktor identifiziert wurde, erkannte man auch einen Zusammenhang zwischen den meisten frühen COVID-19-Fällen und dem Markt.
Wenn die Quelle nun der Huanan-Markt war, warum standen dann nur etwa ein bis zwei Drittel der frühen Fälle mit dem Markt in Zusammenhang? Oder anders gesagt: Wieso sollte man die Fälle des Ausbruchs nur auf eben diesen Markt beschränken? „Angesichts der hohen Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 und der hohen asymptomatischen Ausbreitungsrate würde vielen symptomatischen Fällen zwangsläufig bald ein direkter Bezug zum Ort des Ursprungs der Pandemie fehlen“, schreibt Prof. Michael Worobey, Leiter des Institus für Ökologie und Evolutionsbiologie der University of Arizona, in seinem Artikel.
Der Autor verweist aber in diesem Zusammenhang darauf, dass Fälle, die als „nicht verknüpft“ gelten, möglicherweise nur ein oder zwei Übertragungen entfernt waren und hebt dabei den zweiten Patienten im Zhongnan-Krankenhaus hervor. Dieser hatte lediglich Besuch von Freunden, die zuvor auf dem Markt waren. „Dass so viele der > 100 COVID-19-Fälle vom Dezember ohne identifizierte epidemiologische Verbindung zum Huanan-Markt, dennoch in seiner direkten Umgebung lebten, ist bemerkenswert und liefert zwingende Beweise dafür, dass die Übertragung durch die Gemeinschaft auf dem Markt begann“, erklärt Worobey.
Hinzu komme auch noch, dass Patient Zero wahrscheinlich gar nicht erfasst wurde und vermutlich zu den Betroffenen gehört, die nicht ins Krankenhaus mussten. Bei dem „frühsten“ COVID-19-Fall, handelt es sich um einen 41-jährigen Buchhalter, der 30 km südlich des Huanan-Marktes lebte und keine Verbindung dazu hatte. Er kam am 8. Dezember wegen eines zahnärztlichen Notfalls ins Krankenhaus – steckte sich dort vermutlich mit COVID-19 an, denn die typischen Symptome begannen erst am 16. Dezember. Fälschlicherweise wurde der 8. Dezember aber als COVID-19-Fall erfasst. Bei dem tatsächlich „frühsten“ Fall, handelt es sich um eine Meeresfruchtverkäuferin des Huanan-Marktes, deren Krankheitsbeginn für den 11. Dezember dokumentiert wurde.
Nach der Sequenzierung von Proben der frühsten COVID-19-Patienten in Wuhan, konnten 2 verschiedene SARS-CoV-2-Linien identifiziert werden, A und B. Möglicherweise habe sich also ein separates Tier-Spillover ereignet, erklärt Worobey. Dafür spreche, dass es beim Menschen keine Zwischenprodukte der A- oder B-Linien gibt. Die frühsten bekannten Genome der A-Linie haben zumindest eine nähere geographische Verbindung zum Huanan-Markt. Dies lasse wiederum vermuten, dass beide Linien einen getrennten Ursprung auf dem Markt hatten und es zu Übertragungen durch die Gemeinden kam, die den Huanan-Markt umgeben, schreibt Worobey. So könnte wohlmöglich das erste bekannte Cluster entstanden sein, dass gar keinen direkten Kontakt zu dem Markt hatte.
„Ich wiederspreche der Analyse nicht“, sagte Jesse Bloom, Virologe am Fred Hutchinson Cancer Research Center. „Aber ich stimme nicht zu, dass irgendwelche der Daten stark oder vollständig genug sind, um etwas sehr zuversichtlich zu sagen, abgesehen davon, dass der Huanan Seafood Market eindeutig ein Super-Spread-Event war.“
Aktuell ist es schwierig diese Hypothese zu beweisen, denn der Verkauf der lebendigen Tiere wurde am 1. Januar gestoppt und der Markt geschlossen. Keines der Säugetiere, die auf dem Huanan-Markt oder einem anderen Tiermarkt der Region lebten, wurden auf SARS-CoV-2-verwandte Viren untersucht. Ob das Virus auf dem Markt entstanden ist oder woher das Virus überhaupt stammt, ist weiterhin nicht klar. Ein Verständnis über die Anfänge der pandemischen Entwicklung kann dabei helfen, diese ungeklärten Fragen in Zukunft zu beantworten – oder auch nicht. Aber es hilft dabei, zukünftige Pandemien abzuwenden, schneller zu reagieren oder besser mit ihnen umzugehen.
Bildquelle: Marek Piwnicki, Pexels