Am Freitag eilen die Menschen ins Wochenende. Auch in Kliniken, wo Patienten immer eine hochwertige Versorgung benötigen, kehrt das Personal größtenteils am Montag zurück. Erhöhte Sterblichkeit und Behandlungsfehler sind die Folge. Warum?
Dass es in Kliniken und anderen Heilstätten abseits der Werktage etwas gemächlicher zugeht, kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich behandlungsbedürftige Erkrankungen und Notfälle nicht an Zeitpläne halten. Die Pädiaterin und Journalistin Dr. Perri Klass gewann durch den Leidensweg ihrer Mutter die Perspektive der Angehörigen und der Patienten hinzu und schilderte ihre Erkenntnisse eindringlich in einem kürzlich veröffentlichten Artikel des New England Journal of Medicine: „Ich habe es erst spät im Leben begriffen, aber Biologie, Leben und Krankheit nehmen keine Rücksicht auf den Kalender. Wenn man krank und verängstigt ist, gibt es keinen Unterschied zwischen Sonntag und Dienstag.“ Aus ärztlicher Sicht sei es für sie immer offensichtlich gewesen, dass das personelle Defizit in der Nacht und an Wochenenden die Abläufe zwar verlangsame und dass die Patienten am besten versorgt seien, wenn die vollständige Belegschaft anwesend ist, aber schließlich täten alle ihr Bestes. Doch aus Sicht der Patienten bestehe eine erhebliche Diskrepanz zu dieser Auffassung: „Wenn das Wochenende naht, wird einem stattdessen immer wieder deutlich, dass in einem Krankenhaus nicht wirklich die Patienten der Dreh- und Angelpunkt sind“, konstatiert Dr. Klass. „Im Mittelpunkt stehen Ärzte, Schwestern, Physiotherapeuten und Ernährungswissenschaftler“, erklärt sie. Selbst in ausgezeichneten Krankenhäusern wirke am Wochenende vieles behelfsmäßig und mit Verweisen auf die schmale Personaldecke und die fehlenden Befugnisse werde man meist darauf vertröstet, dass die entscheidenden Personen erst am Montag wieder da seien.
Bei der klinisch spürbaren Entschleunigung zwischen Freitag und Montag handelt es sich um ein vielfach kritisch beäugtes und eingehend untersuchtes Phänomen – den sogenannten Wochenendeffekt. In den meisten Fällen wird die Mortalität als wesentliches Kriterium im Vergleich zwischen Werk- und Wochenendtag herangezogen. Und tatsächlich konnten zahlreiche Studien bezüglich diverser Indikationen, wie zum Beispiel des Herzinfarkts, des Schlaganfalls, des reanimationspflichtigen Kreislaufstillstands, der Lungenembolie und fortgeschrittener Krebserkrankungen, eine erhöhte Sterblichkeit an Wochenenden verzeichnen. Wenn auch meist nur gering ausgeprägt, waren die Unterschiede überwiegend signifikant. In einer unlängst erschienenen Retrospektive sammelten amerikanische Wissenschaftler die Daten von über 400.000 Kindern und Jugendlichen, die zwischen 1988 und 2010 einer chirurgischen Standardprozedur unterzogen wurden. Die Zahlen offenbarten den Forschern, dass auch die chirurgischen Disziplinen nicht vor dem Wochenendeffekt gefeit sind: „Numerisch ausgedrückt war die Zahl der Tode ziemlich gering, aber bloß ein einziger vermeidbarer Tod ist einer zu viel“, mahnt Fizan Abdullah, einer der Hauptverantwortlichen der Studie. Insgesamt lag das Risiko für intraoperative Komplikationen und Todesfälle am Wochenende knapp eineinhalb Mal höher als unter der Woche. „Das sind alarmierende Ergebnisse und wir hoffen, dass dadurch eine wissenschaftliche Diskussion angeregt wird“, sagt Erstautor Seth Goldstein.
Da insbesondere Notfälle sehr empfindlich auf Schwankungen in der Qualität der medizinischen Versorgung reagieren, ist ein geringfügiger Unterschied zwischen den Werktagen und dem Wochenende in der Größenordnung des Wochenendeffekts zwar unbefriedigend, aber kaum überraschend. Allerdings scheint die Tragweite dieses Problems noch weitaus umfangreicher zu sein. Britische Forscher konzentrierten sich vor rund zwei Jahren in ihrer Analyse ausschließlich auf elektive Eingriffe und überblickten dabei ein Datenvolumen von über 4.000.000 Operationen aus den Jahren 2008 bis 2011. Trotz des geplanten Vorgehens lag die 30-Tages-Sterblichkeit von Samstags- oder Sonntagseingriffen um 82 Prozent höher als bei den Montagspatienten. Allein die Tatsache, dass für das Wochenende anberaumte Operationen auch in Großbritannien eher die Ausnahme sind, schränkt die Aussagekraft dieses Werts ein. Doch selbst freitags durchgeführte Operationen trugen bereits ein um 44 Prozent höheres Risiko mit sich. Erstautor Dr. Paul Aylin vom Londoner Imperial College erklärt: „Wenn die Behandlungsqualität am Wochenende geringer ist, erwartet man nicht nur für am Wochenende operierte Patienten höhere Sterberaten, sondern auch für jene, die zum Ende der Woche hin operiert werden, deren postoperative Behandlung sich mit dem Wochenende überschneidet. Und genau das haben wir herausgefunden.“ Das Wochenende stellt demnach für sämtliche chirurgische Patienten eine erhebliche Versorgungslücke dar. Mit jedem zusätzlichen Wochentag stieg die 30-Tage-Sterblichkeit der betreffenden OP-Patienten. Während Dienstagsoperationen das Sterberisiko um 7 Prozent erhöhten, waren es am Mittwoch bereits 15 Prozent und am Donnerstag 21 Prozent im Vergleich zu Montagen.
In Anbetracht der besorgniserregenden Hinweise, dass Wochenenden einen mitunter tödlichen Stolperstein für den Behandlungserfolg darstellen, fordert Katherine Murphy, die Hauptgeschäftsführerin der britischen Patients Association, dass den vielfach bestätigten Forschungsergebnissen endlich Taten folgen: „Es ist eine Schande, dass trotz der Veröffentlichung hunderter Seiten von Berichten und Empfehlungen so wenig unternommen wurde, um die Probleme tatsächlich in Angriff zu nehmen.“ Ihre Erfahrungen als Angehörige hatten für Dr. Perri Klass die Konsequenz, dass sie ab Donnerstagnachmittag zunehmend hektischer wurde und versuchte, vor dem Wochenende noch sämtliche Konsile einzuholen, Anordnungen zu schreiben und auf diese Weise ärztliche Kollegen und Pflegekräfte unter Druck setzte: „Ich wurde eine dieser Personen, denen man am Freitagnachmittag nicht begegnen möchte.“ Wirklich erreicht hat sie mit dieser verkrampften Attitüde wenig.
Wesentlich effizienter scheint eine Optimierung der strukturellen Voraussetzungen für eine adäquate medizinische Behandlung zu sein, durch die sich insgesamt das Behandlungsergebnis verbessern und im Zuge dessen auch die Diskrepanzen zwischen Wochenenden und Werktagen beseitigen lassen. In manchen Bereichen ließen sich auf diese Weise schon bemerkenswerte Erfolge verbuchen. Im französischen Dijon untersuchten Forscher die Sterblichkeit innerhalb eines Monats nach einem Schlaganfall, der sich am Wochenende oder unter der Woche ereignete. In der Phase der Jahre 1985 bis 2003 offenbarte sich das bekannte Bild vom Wochenendeffekt. Mit der Einrichtung einer Stroke Unit verschwand der schädliche Effekt ab dem Jahr 2004. Auch bei einer weiteren kardiovaskulären Notfallindikation, dem akuten Myokardinfarkt, geht der Trend in den letzten Jahren hin zum Risikoausgleich zwischen Werk- und Wochenendtagen. In einer landesweiten Analyse beobachteten amerikanische Forscher, dass der Wochenendeffekt mit den Jahren allmählich verschwand, bis in der Phase zwischen 2006 und 2008 kein signifikanter Unterschied mehr bezüglich der Mortalität bestand. Ursächlich sei laut den Experten der den Leitlinien entsprechende, häufigere Einsatz des Herzkatheters samt Koronarintervention, der im gleichen Zeitraum stetig zunahm und zuletzt ebenfalls keine signifikanten Unterschiede mehr zeigte, nachdem zu Beginn der Beobachtung im Jahr 2000 Herzinfarkt-Patienten unter der Woche noch weitaus häufiger katheterisiert wurden als an Wochenenden. Trotz der positiven Entwicklung mahnen die Autoren jedoch, dass bei anderen Indikationen, beispielsweise der akuten Lungenembolie, ähnliche Konzepte für eine einheitliche Verbesserung des klinischen Managements noch auf sich warten ließen. Originapublikation: Death Takes a Weekend Perri Klass, M.D.; N Engl J Med, doi: 10.1056/NEJMp1413363; 2015