Als erstes Land erlaubt Großbritannien Reproduktionskliniken ab Oktober die IVF mit drei Spendern. Ein Segen für Frauen mit mitochondrialen Krankheiten und Kinderwunsch. Kritiker fürchten, die Entscheidung könne den Weg zum Designer-Baby ebnen.
Nachdem bereits am 3. Februar das britische Unterhaus der Gesetzesänderung zugestimmt hatte, folgte das Oberhaus am 24. Februar 2015. Bisher war es in Großbritannien verboten, genetisch modifizierte Embryos zu implantieren. Bereits im Herbst könnten nun die ersten In-Vitro-Fertilisationen (IVF) durchgeführt werden. Der Abstimmung waren eine langjährige Debatte und zahlreiche Studien zur Sicherheit der Technik vorausgegangen. „Dieses Abstimmungsergebnis wird das Leben vieler Frauen verändern, die mit einer mitochondrialen Erkrankung leben, indem es ihnen die wertvolle Chance gibt, gesunde Kinder zur Welt zu bringen, die Erkrankung aus dem Familienstammbaum zu tilgen und die Zahl derer zu reduzieren, die mit den verheerenden Folgen der Erkrankung konfrontiert sind“, erklärt Robert Meadowcroft, Geschäftsführer von Muscular Dystrophy UK, einer britischen Wohltätigkeitsorganisation. Im Vorfeld der Abstimmung hatten Kritiker davor gewarnt, dass die Technik eine Form der Eugenik darstelle und unkontrollierbare Konsequenzen haben könnte. Das Schreckenswort „Designer-Baby“ machte unweigerlich die Runde. „Wir öffnen eine Büchse der Pandora“, warnt auch Fiona Bruce, konservative Abgeordnete des Unterhauses und Vorsitzende der parlamentarischen „Pro-Life“ Gruppe. Dr. Robert Winston, Fertilitätsexperte der Labour-Partei und Mitglied des Oberhauses, äußerte sich dagegen folgendermaßen zu der Anschuldigung, Ärzte würden sich in die Natur einmischen: „Wir werden manchmal beschuldigt, Gott zu spielen […] Wir versuchen nicht, Gott zu ersetzen, sondern wir versuchen, sein Werk zu verbessern.“
Mitochondriale DNA (mtDNA) wird nur über die Mutter weitervererbt – die wenigen Mitochondrien, die im Spermium vorhanden sind, werden dagegen nach der Befruchtung abgebaut. Bisher standen betroffenen Eltern nur wenige Möglichkeiten offen, um zu verhindern, dass ihr Kind mit einer Mutation in der mtDNA geboren wird:
Ein von der britischen Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) berufenes Expertengremium hatte 2014 die Sicherheit von Mitochondrienaustausch-Methoden untersucht und war zum Schluss gekommen, dass maternaler Spindel-Transfer (MST) und pronukleärer Transfer (PNT) potenziell hilfreich für solche Patienten sind, die sich ein genetisch verwandtes Kind wünschen, bei deren Nachkommen aber die Gefahr besteht, dass sie aufgrund von Mutationen in der mtDNA der Mutter schwere oder tödlich verlaufende Krankheiten entwickeln. Das Expertengremium konnte zudem keine Hinweise darauf finden, dass die Methoden unsicher sind. Als Vorsichtsmaßnahme empfiehlt sie jedoch, dass bei der IVF der Mitochondrien-Spender aus derselben Haplogruppe stammt wie der Eizell-Spender, das heißt, dass sich die mtDNAs so ähnlich wie möglich sind.
Die beiden Methoden unterscheiden sich in dem Zeitpunkt, zu dem die defekte mtDNA ausgetauscht wird: Beim MST wird die Spindel mitsamt der assoziierten Chromosomen aus der mütterlichen Eizelle entnommen und mit einer entkernten Spender-Eizelle mit intakten Mitochondrien fusioniert, anschließend findet die IVF durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) statt. Beim PNT dagegen werden nach einer IVF die elterlichen Pronuklei aus der befruchteten Eizelle entnommen und in eine entkernte befruchtete Spender-Eizelle übertragen. Die Experten sind der Meinung, dass bisher keine der beiden Techniken als der anderen überlegen gelten kann. Aus diesem Grund sollen erst einmal beide Techniken weiterverfolgt werden. Eine weitere, erst letztes Jahr beschriebene Technik, um genetisch defekte Mitochondrien zu ersetzen, ist der Polkörper-Transfer (polar body transfer, PBT). Polkörper entstehen im Zuge der Meiose und enthalten neben einem vollständigen haploiden Chromosomensatz deutlich weniger Zytoplasma als die Eizelle. Dieser Chromosomensatz kann wie der mütterliche Ei-Zellkern bei der MST entnommen und in eine entkernte Spender-Eizelle eingepflanzt werden. Das britische Expertengremium ist allerdings der Meinung, dass diese Methode noch nicht eingehend genug untersucht worden ist, um Aussagen über deren Effizienz oder Sicherheit zu machen. Die Methode sollte aber unbedingt näher erforscht werden, da sie gegenüber MST und PNT einige potenzielle Vorteile mit sich bringt. Beispielsweise könnte durch PBT die Zahl der beim Transfer verschleppten Mitochondrien reduziert werden.
Die DNA der Mitochondrien kodiert nur 37 Gene – die chromosomale DNA dagegen etwa 25.000. Zudem ist die mtDNA völlig anders organisiert – laut Endosymbiontentheorie eine direkte Folge ihres bakteriellen Ursprungs. Alle 13 proteinkodierenden Gene sind dafür zuständig, Elemente der mitochondrialen Atmungskette herzustellen. Obwohl die Gene der mtDNA nur einen Bruchteil (0,2 %) aller Gene ausmachen, gibt es zahlreiche Erkrankungen, die auf Defekte in mitochondrialen Genen zurückzuführen sind. Schätzungen zufolge treten bei einem von 200 Neugeborenen pathogene Mutationen in der mtDNA auf, aufgrund epidemiologischer Studien wird die Prävalenz von mtDNA-bedingten Mitochondriopathien dagegen „nur“ mit 1:5.000-1:10.000 beziffert. Da es sich bei den von der mtDNA kodierten Proteinen um essentielle Bestandteile der Atmungskette handelt, die durch oxidative Phosphorylierung Energie in Form von ATP bereitstellt, sind meist mehrere Gewebe und Organe betroffen. Besonders häufig sind das Nervensystem, die Muskeln und die Augen geschädigt. Beispiele für mtDNA-bedingte Mitochondriopathien sind das Leigh-Syndrom, NARP-Syndrom, MERRF-Syndrom, MELAS-Syndrom, MIDD-Syndrom und die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON). Das Ausmaß und die Schwere der Erkrankung hängt sowohl von der Penetranz der Mutation ab als auch davon, wie hoch der Anteil mutierter mtDNA im Vergleich zu unmutierter mtDNA ist (Ausmaß der Heteroplasmie) – eine reife Eizelle kann nämlich bis zu 100.000 Kopien mtDNA enthalten, verteilt auf 1-2 Kopien pro Organelle. Der Zufall entscheidet, wie hoch der Anteil der defekten Mitochondrien ist, der weitervererbt wird. Aus diesem Grund fällt eine familiäre Mitochondriopathie häufig erst auf, wenn ein Kind, das einen hohen Anteil mutierter mtDNA erhalten hat, klinische Symptome zeigt, während die Mutter aufgrund eines geringen Anteils mutierter mtDNA asymptomatisch ist.
Ein weiteres Charakteristikum von mtDNA ist, dass sie schneller mutiert als chromosomale DNA. Den Mitochondrien fehlt nämlich ein Reparatursystem, um Replikationsfehler auszumerzen – mit der Zeit akkumulieren dann die Mutationen. Es ist daher wahrscheinlich, dass spontane und vererbte Mutationen sowie epigenetische Modifikationen der mtDNA die Pathogenese altersbedingter Krankheiten wie Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Diabetes mellitus und Atherosklerose beeinflussen. Die Frage, ob durch Mitochondrienaustausch-Techniken wie MST, PNT und PBT gezeugte Kinder beispielsweise ein höheres Risiko für Chromosomenaberrationen haben, kann erst beurteilt werden, wenn genügend Daten vorliegen. Interessant ist jedoch, dass es bereits Kinder mit drei Eltern gibt: Zwischen 1997 und 2002 wurde in den USA eine Technik namens Zytoplasmatransfer praktiziert. Mithilfe dieser Technik sollten insbesondere ältere Frauen, die trotz IVF kinderlos blieben, doch noch die Möglichkeit haben, ein Kind zu bekommen. Die Idee, dass gealterte Oozyten durch die Injektion von frischem Zytoplasma (und darin enthaltenen Mitochondrien) aus einer Spender-Eizelle „verjüngt“ werden könnten, erwies sich als richtig. Es wurden etwa 30 Kinder auf diese Weise gezeugt, bevor die Technik aufgrund von Sicherheitsbedenken von der FDA auf Eis gelegt wurde. In Anbetracht der neuen Gesetzeslage in Großbritannien ist das Interesse am Schicksal dieser Kinder nun wieder erwacht: In einer Nachfolgestudie soll ihr Gesundheits- und Entwicklungszustand untersucht werden.