Die Modulation der inneren Uhr durch kleine synthetische Moleküle soll sich sowohl auf den Schlaf und den Wachzustand als auch die Psyche auswirken. Welche therapeutische Relevanz haben die gewonnenen Erkenntnisse für die Behandlung von Schlaf- oder Angststörungen?
Jeder Organismus wird von einem zirkadianen Rhythmus, umgangssprachlich auch als „innere Uhr“ bezeichnet, beeinflusst. Dieser Tag-Nacht-Rhythmus dauert etwa 24 Stunden an und sagt dem Lebewesen, wann es Zeit zum Essen, Schlafen oder zum Aufstehen ist und zwar unabhängig davon, ob diesem bewusst ist, ob es gerade Tag oder Nacht ist. Geregelt wird der zirkadiane Rhythmus durch Schwankungen der biologischen Funktionen wie der Nierenfunktion beziehungsweise deren Parametern wie Körpertemperatur, Blutdruck oder Cortisol-Ausschüttung. Exogene Zeitgeber, zu denen auch die herrschenden Lichtverhältnisse zählen, synchronisieren die innere Uhr auf 24 Stunden. Aber auch die wechselnden Tageslängen, Sommer- und Winterzeit oder Transatlantikflüge erfordern eine Anpassung.
Die Synchronisation durch endogene und exogene Schrittmacher findet im Nucleus suprachiasmaticus, einem Bestandteil des Hypothalamus, statt. Er beeinflusst zahlreiche Hirnregionen sowie das periphere Nervensystem und wird aufgrund seiner Synchronisationsfunktion häufig als „Orchesterleiter der inneren Uhr“ oder „Hauptuhr“ bezeichnet. Innerhalb dieser Hirnregion findet man zwei verschiedene Zellpopulationen. Die sogenannten „gate cells“ synchronisieren den Nucleus suprachiasmaticus mit der Außenwelt. Die Informationen über die herrschenden Lichtverhältnisse erhalten sie über den Sehnerv. Die zweite Zellpopulation generiert den inneren zirkadianen Rhythmus und wird deshalb „oscillator cells“ genannt. Hier findet die Synthese der sogenannten Clock-Gene statt, die über positive und negative Rückkopplungsschleifen miteinander wechselwirken und so tagesrhythmisch die gegenseitige Genexpression beeinflussen. Die wichtigsten Clock-Gene sind CLOCK (circadian locomotor output cycles kaput), BMAL (brain and muscle, ARNT-like), CRY und PER. REV-ERB ist ein nuklearer Rezeptor, der neben den Clock-Genen auch von Häm und kleinen zweiatomigen Substanzen wie Stickstoffmonoxid reguliert wird. Seit 2008 existieren auch synthetisch hergestellte Liganden.
In 2008 präsentierte ein Forscherteam um Meng den ersten REV-ERB-Agonisten. Obwohl diese Verbindung sehr schlechte pharmakokinetische Eigenschaften besaß und deshalb nur in vitro getestet wurde, diente sie anderen Forschergruppen als Vorlage. Vier Jahre später, im Jahr 2012, veröffentlichten Burris und Kollegen eine Studie, in der sie zwei neue REV-ERB-Agonisten mit den Namen SR9009 und SR9011 vorstellten. Verglichen mit dem Ursprungsmolekül zeigten diese Verbindungen deutlich verbesserte pharmakokinetische Eigenschaften, so dass sie auch in vivo getestet werden konnten. SR9009 und SR9011 aktivierten den Rezeptor REV-ERB. In der Folge wurde die Expression der Zielgene CLOCK und BMAL unterdrückt. In Tierversuchen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass SR9009 und SR9011 die Funktionen der zentralen endogenen Uhr wie die nächtliche Bewegungsaktivität um mehrere Stunden verschoben. Wurden die REV-ERB-Agonisten den Mäusen über einen längeren Zeitraum injiziert, verloren diese Körpergewicht und reduzierten ihre Fettmasse, ohne dass jedoch die Nahrungsaufnahme verändert wurde. Des Weiteren nahm in der Leber die Lipogenese und Cholesterolsynthese ab, im Muskel wurden mehr Glukose und Fettsäuren oxidiert und im Fettgewebe reduzierte sich die Synthese sowie Speicherung der Triglyzeride. Auch andere Forschergruppen und Unternehmen haben an der Entwicklung potenzieller REV-ERB-Agonisten gearbeitet, jedoch wurden diese bisher nicht in vivo getestet.
In der aktuellen Studie widmete sich das Forscherteam um Burris der Frage, wie REV-ERB-Agonisten den Schlaf und Wachzustand beeinflussen. Denn bisher konnten sie zwar eine Veränderung nachweisen. Was genau sich veränderte, blieb jedoch unklar. Hierfür verabreichten die Wissenschaftler acht Mäusen die Verbindung SR9011 intraperitoneal zu einem Zeitpunkt, zu dem die REV-ERB-Expression maximal war. Zwei Stunden später zeigten die Nager der SR9011-Gruppe einen im Vergleich zu der Kontrollgruppe erhöhten Wachzustand, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich schliefen. Als nächstes untersuchte das Team um Burris die Schlafarchitektur. Das Ergebnis: Bei Mäusen, denen der REV-ERB-Agonist SR9011 verabreicht worden war, erhöhte sich die Anzahl der Tiefschlafphasen (Slow-wave Sleep oder NREM), deren Dauer verkürzte sich jedoch. Der Traumschlaf (Rapid Eye Movement, REM) dagegen wurde für drei Stunden fast komplett unterdrückt. Zwölf Stunden später hatte sich das Schlafverhalten der Nager normalisiert. Wurde SR9011 zu einem Zeitpunkt injiziert, zu dem die Mäuse wach waren, änderte sich der Schlaf- und Wachzustand nicht.
Verschiedene Varianten der Clock-Gene werden mit dem Auftreten von Depressionen und Angststörungen in Verbindung gebracht. Da sich die Genexpression dieser Proteine durch die Aktivierung des REV-ERB-Rezeptors beeinflussen lässt, vermuteten die Forscher, dass sich die Verabreichung des Agonisten SR9011 positiv auf Angststörungen auswirken könnte. Um ihre Annahme zu untersuchen, verabreichten sie Mäusen drei bis zehn Tage lang den Wirkstoff SR9011. In einem anschließenden Open-Field-Test verbrachten die behandelten Nager deutlich mehr Zeit in dem Zentrum des Feldes als ihre Artgenossen. Diese Versuchsanordnung geht davon aus, dass Mäuse eine unbekannte, hell erleuchtete Freifläche meiden. Ein Nachteil dieses Testes ist jedoch, dass er nur mäßig standardisiert ist. Weitere Konflikttests wie der für Mäuse validierte Elevated Plus-Maze Test sowie die Light-Dark Box kamen zu einem ähnlichen Ergebnis. All dies deutet auf eine anxiolytische Wirkung des REV-ERB-Agonisten hin. Um zu bestätigen, dass die Aktivierung des REV-ERB-Rezeptors den angstlösende Effekt verursacht hatte, veränderten die Forscher in einem weiteren Versuch Mäuse genetisch so, dass ihnen der REV-ERB-Rezeptor fehlte. Diese Tiere waren deutlich ängstlicher als ihre Artgenossen. Injizierten die Forscher diesen Nager den Wirkstoff SR9011, veränderte sich ihr Verhalten nicht.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das pharmakologische Targeting des REV-ERB zu der Entwicklung neuer Therapeutika zur Behandlung von Schlafkrankheiten und Angst führen könnte“, so die Autoren in ihrer Studie. Zu bedenken ist jedoch, dass Mäuse, denen ein REV-ERB-Agonist verabreicht worden waren, nicht nur eine erhöhte Wachsamkeit und weniger Angst zeigten. Auch verschiedene Stoffwechselvorgänge wie die Lipogenese und die Fettspeicherung wurden durch SR9011 und SR9009 moduliert. Ob und falls ja welche weiteren Vorgänge innerhalb des Körpers durch Aktivierung des REV-ERB-Rezeptors noch beeinflusst werden, dürfte Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeit sein. Je größer die Zahl der Vorgänge, auf die sich die Aktivierung des REV-ERB-Rezeptors auswirkt, desto länger wird auch die Liste der potenziell unerwünschten Wirkungen. Daher ist bleibt vorerst offen, ob die gewonnenen Erkenntnisse tatsächlich therapeutisch umgesetzt werden können.