Mit Sorge blicken Wissenschaftler auf die neue Corona-Variante namens B.1.1.529. Sie hat ungewöhnlich viele Mutationen und verbreitet sich offenbar schnell. Was wir bisher wissen.
Gerade mal ein paar Tage ist es her, dass Forscher in Botswana eine neue Corona-Variante aufgespürt haben – und schon sorgt sie für neues Reise-Chaos. Mehrere Länder haben Südafrika jetzt zum Virusvariantengebiet erklärt und ihren Flugverkehr massiv eingeschränkt, auch Deutschland ist darunter. Der Grund für die Aufregung: Die neue Variante namens B.1.1.529 breitet sich offenbar schnell aus.
In Südafrika steigen die Infektionszahlen seit einigen Tagen exponentiell an. Am 16. November verzeichneten die dortigen Gesundheitsbehörden noch 273 Fälle, bis zum 25. November war die Zahl auf mehr als 1.200 angestiegen. Über 80 Prozent davon entfielen auf die Provinz Gauteng, wo B.1.1.529 für einen Großteil der Fälle verantwortlich zu sein scheint. Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla bezeichnete die Variante in einer Pressekonferenz deswegen als „ernsthaft besorgniserregend“.
Möglicherweise ist die neue Variante auch schon längst in anderen Landesteilen Südafrikas unterwegs. In mehreren Provinzen registrierten Forscher das sogenannte „Spike gene target failure“ in dort durchgeführten PCR-Tests. Dabei führt eine Mutation des Virus zu einem auffälligen PCR-Ergebnis, das auf das Vorkommen einer neuen Variante hindeutet. So war man im Frühjahr auch auf die Alpha-Variante in Großbritannien aufmerksam geworden. Um welche Variante es sich aber genau handelt, darüber gibt nur die Sequenzierung Aufschluss. Das Spike gene target failure in mehreren PCR-Tests in der Provinz Gauteng gab den Anstoß zur eingehenden Untersuchung dieser Fälle und führte zur Entdeckung der B.1.1.529-Variante.
„Die Variante ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert“, erklärt Prof. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel. „Zum einen unterscheidet sie sich an vielen Stellen im Spike-Protein von den ursprünglichen Varianten und kombiniert viele Mutationen, die wir aus anderen besorgniserregenden Varianten kennen“. Zum anderen habe man bislang keine intermediären Varianten zwischen B.1.1.529 und denen vom Anfang 2020 beobachten können. „Die Variante kam also unerwartet und scheint sich jetzt im Süden Afrikas rasch auszubreiten“, so Neher weiter.
Die neue Variante weist ganze 32 Mutationen im Spike-Protein auf. Das sind viel mehr als bei der derzeit vorherrschenden Delta-Variante. Sie besitzt nur acht charakteristische Spike-Mutationen. Aber nicht nur die Zahl, sondern auch die Kombination der Mutationen ist außergewöhnlich. „Viele dieser Veränderungen fallen in Regionen, an die Antikörper binden, in die Rezeptor-Binde-Stelle und die Furin-Spaltstelle (furin cleavage site), sagt Neher. „Es ist also durchaus vorstellbar, dass die Variante sowohl sehr übertragbar ist als auch Teilen der Immunantwort entkommt.“
Unter den Mutationen sind einige, denen bereits funktionale Auswirkungen zugeschrieben wurden:
Aufgrund des ungewöhnlichen Spike-Profils sollte die Variante sehr genau beobachtet werden, schrieb Dr. Tom Peacock, Virologe am Imperial College London, bereits am 23. November auf Twitter.
Prof. Francois Balloux, Direktor des UCL Genetics Institute, erklärt, dass sich die große Anzahl von Mutationen in der Variante offenbar „in einem einzigen Schub“ angehäuft haben. Das deute darauf hin, dass sie sich während einer chronischen Infektion bei einer Person mit einem geschwächten Immunsystem, möglicherweise einem unbehandelten HIV-/Aids-Patienten, entwickelt haben könnte. Gesichert ist das aber nicht.
Wie gefährlich die neue Variante tatsächlich ist, ist ebenfalls unklar. Noch gibt es keine Hinweise auf einen veränderten Krankheitsverlauf, klinische und virologische Untersuchungen stehen noch aus. Bezüglich der Wirksamkeit der Impfstoffe erklärt Neher: „Da die Impfstoffe gegen alle bisherigen Varianten effizient sind, gehe ich davon aus, dass auch gegen diese Variante Impfschutz besteht“. Gerade die T-Zell-Antwort sollte gegenüber den Veränderungen robust sein. Allerdings sei es laut Neher durchaus vorstellbar, dass es vermehrt zu Durchbruchsinfektionen komme und die Booster-Impfung umso wichtiger werde.
Fraglich ist zudem, ob die Variante wirklich infektiöser ist und für den rapiden Anstieg der Infektionszahlen in Südafrika verantwortlich ist. Es könnte sich hier auch um den sogenannten Gründereffekt handeln: Die Variante könnte sich demnach rein zufällig durchgesetzt und rasch unter Ungeimpften verbreitet haben. Doch ob das Virus wirklich ursprünglich aus Botswana oder Südafrika stammt, ist ebenfalls nicht gesichert.
Bisher wurde die Variante außer in Südafrika und Botswana auch bei einem Reiserückkehrer in Hongkong nachgewiesen. Offenbar gibt es aber auch schon Berichte über Einzelfälle in Belgien und Israel (Stand: 26. November, 15 Uhr). Es handelt sich bei dem Fall in Belgien um eine Reiserückkehrerin, die am 11. November aus Ägypten zurückkehrte und am 22. November erste Symptome zeigte. Die Frau war weder geimpft noch genesen. Kontakte zu Südafrika bestanden nicht. Das würde entweder bedeuten, dass sich die Patientin in Ägypten angesteckt hat und die Variante schon in Belgien verteilt hat – oder sich die Patientin erst in Belgien infiziert hat.
Am heutigen Freitag, den 26. November, wollen sich Experten der WHO mit B.1.1.529 befassen. Vermutlich nehmen sie diese Variante dann auch in eine der beiden Kategorien Variants of Interest (VOI) oder Variants of Concern (VOC) auf. Ein neuer Name stände damit auch schon fest: B.1.1.529 würde gemäß der Abfolge des griechischen Alphabets den Buchstaben „Ny“ erhalten.
Update vom 26.11., 21 Uhr: Die WHO hat B.1.1.529 als VOC, also als besorgniserregende Variante eingestuft. Sie trägt nun offiziell den Namen „Omikron“ – nach dem 15. Buchstaben im griechischen Alphabet.
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