Über den Ursprung der neuen Corona-Variante wird heiß diskutiert. Was HIV mit ihrer Entstehung zu tun haben könnte, lest ihr hier.
Die neue Corona-Variante Omikron hat es inzwischen auch nach Deutschland geschafft. Die große Zahl an Mutationen im Spike-Protein macht sie zu einer außergewöhnlichen Corona-Variante. Doch die Frage ist: Wieso taucht die Variante mit all ihren Mutationen so plötzlich auf und wieso sind sie vorher niemandem aufgefallen?
Die gleichen Fragen stellten sich Wissenschaftler schon zu Beginn dieses Jahres. Damals fanden Forscher in England plötzlich Viren mit einer ungewöhnlich hohen Zahl an Mutationen; sie hatten die neue Corona-Variante Alpha (B.1.1.7) entdeckt. Es schien fast so, als hätte Alpha all diese Mutationen auf einmal entwickelt, denn phylogenetische Untersuchungen ergaben, dass es fast keine Zwischenformen gab.
Damals erklärten Wissenschaftler, dass diese Linie in einem immunsupprimierten Patienten entstanden sein könnte. Denn bei Patienten mit schwachem Immunsystem hat SARS-CoV-2 die Möglichkeit, besonders häufig zu mutieren. Das konnten Studien bereits zeigen. Insbesondere wenn chronisch infizierte Patienten mehrmals mit Rekonvaleszentenserum behandelt werden, weisen die Viren eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen auf.
Hier lässt sich Evolution im Zeitraffer beobachten, denn bei der Antikörper-Therapie von immunsupprimierten Patienten sind die Viren einem besonders hohen Selektionsdruck ausgesetzt. Aus der großen Zahl sich vermehrender Viren werden jene selektiert, die sich dem Angriff effektiver Antikörper entziehen können. Das führt zur Anhäufung verschiedender Mutationen, möglicherweise ist Alpha so entstanden.
Auch über den Ursprung von Omikron gibt es erste Vermutungen. Rekonvaleszentenseren haben hier aber wahrscheinlich keine Rolle gespielt, wohl aber Immunsupprimierte Patienten. Prof. Francois Balloux, Direktor des UCL Genetics Institute, erklärte kurz nach der Entdeckung der Variante, dass sich die große Anzahl von Mutationen offenbar „in einem einzigen Schub“ angehäuft habe. Das deute darauf hin, dass sie sich während einer chronischen Infektion bei einer Person mit einem geschwächten Immunsystem, eventuell einem unbehandelten HIV-/Aids-Patienten, entwickelt haben könnte.
Möglicherweise spielt die HIV-Epidemie in der dortigen Region bei der Entstehung neuer Corona-Variante eine nicht unerhebliche Rolle. Denn auffällig ist, dass im Süden Afrikas schon viele neue Varianten ihren Ursprung haben, wie Beta (B.1.351), C.1.2 und jetzt Omikron (B.1.1.529). Darauf macht Bioinformatiker Moritz Gerstung auf Twitter aufmerksam. Problematisch ist zum einen, dass nicht jeder HIV-Infizierte auch eine entsprechende antiretrovirale Therapie erhält. Das geschwächte Immunsystem dieser Personen bietet SARS-CoV-2 ideale Voraussetzungen für eine chronische Infektion und somit auch die Möglichkeit, mehrfach über einen langen Zeitraum hinweg zu mutieren.
Zum anderen ist die Impfquote in südafrikanischen Staaten bislang noch sehr niedrig, was die Verbreitung neuer Varianten beschleunigt. In Südafrika etwa sind erst 35 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.
Aber wirken die Impfstoffe überhaupt noch gegen die neue Variante? Immerhin weist Omikron mehrere Mutationen an Bindungsstellen für neutralisierende Antikörper auf. Das könnte dazu führen, dass die Antikörper, die durch die Impfung gebildet werden, das Virus nicht mehr erkennen und angreifen (Immun-Escape). Allerdings löst eine Impfung auch eine T-Zellantwort aus, die „häufig außerhalb der Antikörperbindungsstellen liegt“, erklärt Virologe Prof. Leif-Erik Sander. „Daher sind T-Zellantworten robuster und nicht durch die bekannten Immun-Escape-Mutationen beeinträchtigt.“ Er geht davon aus, dass der Impfschutz deswegen auch bei neuen Varianten erhalten bleibt.
Zahlreiche Impfstoff-Hersteller haben derweil angekündigt, ihre Impfstoffe im Labor gegen die neue Variante testen zu wollen. Gleichzeitig arbeiten etwa Moderna und Biontech auch bereits daran, ihre mRNA-Impfstoffe an die neue Variante anzupassen.
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