Eine Corona-Impfung schützt nicht nur vor schweren Verläufen, sondern verringert auch die Wahrscheinlichkeit einer SARS-CoV-2-Infektion – aber wie sieht es mit Long Covid aus?
Auf dem diesjährigen DGN-Kongress erklärte die Leiterin der Post-COVID-Ambulanz der Charité, Dr. Christiana Franke, dass bisher überwiegend ungeimpfte Patienten mit langanhaltenden Symptomen nach einer SARS-CoV-2-Infektion vorstellig werden (wir berichteten). Dies sei aber darauf zurückzuführen, dass zu Beginn der Pandemie keine Impfungen vorhanden waren und die meisten Patienten noch aus der ersten, zweiten und dritten Welle betroffen sind und die Symptome lange andauern, erklärte die Medizinerin. Mittlerweile kommen aber auch die ersten Patienten mit Durchbruchsinfektionen in die Ambulanz – wenn auch in einem viel geringeren Ausmaß.
Sie ist nicht die Einzige, die das bemerkt hat: Dr. David Putrino, Physiotherapeut und Leiter der Rehabilitation Innovation for the Mt Sinai Health System, beobachtete dasselbe. Üblicherweise betreut er etwa 50 Personen pro Woche mit chronischen Schmerzen, Parkinson-Erkrankungen oder Sportverletzungen – dann kam Long Covid. Jetzt könne man 50 bis 100 Patienten pro Woche drauf rechnen, die von Fatigue, Atemnot, kognitiven Störungen und vielen weiteren Long-COVID-Symptomen betroffen sind. Zwar seien viele von diesen Patienten infiziert worden bevor sie sich impfen lassen konnten, aber auch etwa ein Dutzend Personen, die eine Durchbruchsinfektion erlitten, sind darunter. „Es ist deutlich seltener als bei ungeimpften Menschen, aber es ist immer noch da“, sagte Putrino.
Impfstoffe verringern die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit COVID-19 – d.h. indirekt verringern sie auch das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung. Doch bei Durchbruchsinfektionen – insbesondere mit den steigenden Zahlen durch die Delta-Variante – sieht das anders aus.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Impfung zwar einen schweren Verlauf verhindern kann. Aber viele Long-Covid-Patienten wiesen zuvor einen milden Verlauf einer COVID-19-Infektion auf, wie Dr. Franke bereits auf dem DGN-Kongress betonte. Daher könnten selbst Länder, die eine hohe Impfquote und keine vollständig ausgelasteten Krankenhäuser vorweisen, von vielen Long-Covid-Fällen betroffen sein. „Das ist schwer vorherzusagen“, sagt Dr. Nisreen Alwan, Epidemiologin an der University of Southampton, die ebenfalls von Long Covid betroffen ist. „Wir müssen sehen, wie viel Long Covid es gibt und wie lange es nach der Impfung andauert.“
Schwierig wird auch eine genaue Risikobestimmung: Denn viele der milden bis asymptomatischen COVID-19-Infektionen werden gar nicht getestet bzw. nachgewiesen, erklärt Immunologe Prof. Petter Brodin vom Karolinska Insititut in Stockholm. „Eine Einschätzung, wie viele Menschen nach der Impfung Langzeitsymptome entwickeln, wird unglaublich schwierig sein“, sagt er. Eine britische Untersuchung schätzte, dass etwa 7 bis 18 Prozent der COVID-19-Infizierten, einige Long-Covid-Symptome aufweisen, die mindestens 5 Wochen anhalten.
Das Ausmaß von Long Covid variiert: Für einige ist es mild, andere haut es um. Etwa ein Drittel der Menschen mit Long Covid in Putrinos Klinik haben schwere kognitive Schwierigkeiten, darunter Konzentrations-, Sprach- und Erinnerungsstörungen. Etwa 60 Prozent seiner Patienten mussten deshalb ihren Arbeitsplatz wechseln oder aufgeben. Wie es bei Geimpften aussieht, ist schwer zu sagen.
Denn die Datenerhebung dazu ist noch sehr lückenhaft: Eine britische Studie deutet darauf hin, dass das Risiko an Long Covid zu erkranken durch die Impfung halbiert werden könnte; eine andere Untersuchung kann hingegen keine Auswirkungen durch die Impfung nachweisen. Jedoch umfasst die erste Studie Daten, die die Proben auf freiwilliger Basis über eine Handy-App mitgeteilt haben. Es wurde also auch nicht differenziert danach geschaut, ob die langanhaltenden Symptome tatsächlich auf Long Covid zurückzuführen sind, wie es tatsächlich in den Post-Covid-Ambulanzen hierzulande der Fall ist. Bei der zweiten Studie handelt es sich um eine retrospektive Kohorten-Studie, die ebenfalls nur eine verminderte Aussagekraft hat.
Eine weitere Untersuchung umfasst Daten einer Facebook-Umfrage von 1.950 vollständig Geimpften, darunter erlitten 44 Durchbruchsinfektionen und 24 davon berichteten nach eigenen Angaben über Long-Covid-Symptome. Es handelt sich aber nicht um eine zufällige Stichprobe, was die Daten unbrauchbar macht, um eine Long-Covid-Rate bei Durchbruchsinfektionen zu ermitteln – sie gibt lediglich die existierenden Fälle an. Eine israelische Studie ermittelte hingegen 37 Durchbruchsinfektionen unter 1.500 Mitarbeitern des Gesundheitswesens, wovon 7 bzw. 19 Prozent Long-Covid-Symptome beschrieben – eine zu geringe Stichprobengröße, um etwas genaues über die Erkrankung sagen zu können (wir berichteten).
Diese Diskrepanz in den Daten scheint auch auf die Auffrischimpfung bei Genesenen zuzutreffen: So gaben etwa 40 Prozent der Befragten einer Umfrage an, dass sich die Long-Covid-Symptome nach der Impfung verbesserten. Weitere 14 Prozent hingegen beschrieben eine Verschlechterung der Erkrankung.
Dennoch sei die Botschaft klar, sagt Claire Steves, Geriaterin am Kings’s College London und Hauptautorin der britischen Studie, die einen Schutzeffekt der Impfung gegen Long Covid nachwies: Die Impfung reduziert die Infektionsraten und die Schwere der Symptome erheblich; auch bei nachlassender Immunität und dem Aufkommen der ansteckenderen Delta-Variante. Dr. Akiko Iwasaki, Immunologin an der Yale University, dachte „der Impfstoff würde in einem größeren Maße vor COVID-19 schützen“. Sie vermutet, dass wohlmöglicherweise die Delta-Variante für die Long-Covid-Symptome bei Durchbruchsinfektionen verantwortlich ist. Das Virus ist übertragbarer als die anderen Varianten, was auch den Schutz des Impfstoffes und somit indirekt gegen Long Covid abschwäche, erklärt die Immunologin.
Ob die Impfung tatsächlich schützt, ist fraglich. Zumal Long Covid erst vor kurzem von der WHO genauer definiert wurde: Dabei wird für Post Covid eine vorausgegangene und bestätigte bzw. möglicherweise bestandene SARS-CoV-2-Infektion vorausgesetzt. Die Akutinfektion muss 3 Monate zurückliegen und seitdem müssen für mindestens 2 Monate persistierende oder neue Symptome bestehen bzw. fluktuierend auftreten. Unter den Symptomen sind Fatigue, Kurzatmigkeit, Kognitionsstörung und 25 weitere Symptome erfasst.
In den beschriebenen Studien erfolgten Befragungen bzw. Nachuntersuchungen häufig für einen recht knappen Zeitraum nach einer genesenen COVID-19-Infektion. Ein weiterer Punkt ist, dass erst seit diesem Sommer ein Großteil der Bevölkerung Zugang zur Impfung hatte; hinzu kommt die Delta-Variante, die in der Pandemie übel mitmischt – wie es nun mit Omikron aussieht, sei mal dahingestellt. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die genaue Ursache von Long Covid ist nicht bekannt. Die Zeit und die wissenschaftlichen Untersuchungen werden zeigen, was hinter den Langzeit-Symptomen steckt. Die Klärung der Ursache könnte dann möglicherweise die Lösung für eine Behandlung oder einen Schutz gegen Long Covid sein.
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