Sildenafil rezeptfrei, ist das eine gute Idee? Ich habe da so meine Bedenken, wenn ich an die Beratungssituation in der Apotheke denke – und an die Gesundheit unserer Kunden.
Wenn im Januar der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht des BfArM tagt, dann wird es heiß – auch wenn das jetzt erst mal nicht so klingt. Es wird unter anderem darum gehen, ob man künftig sildenafilhaltige Arzneimittel zur oralen Anwendung mit 50 mg pro Einzeldosis aus der Verschreibungspflicht entlassen kann. Das würde in vielerlei Hinsicht Einfluss auf die tägliche Beratungsleistung in der Apotheke haben.
In Großbritannien, Neuseeland, Israel und Polen ist das bereits seit einigen Jahren gelebte Praxis. Würde das bekannteste Potenzmittel der Welt – wie seine zahlreichen generischen Nachfolger – zumindest in der Kleinpackung mit vier Tabletten pro Schachtel, rezeptfrei werden, hätte das Vor- und Nachteile. Und zwar sowohl für die Apotheke wie auch für die Anwender selbst.
Betrachtet man sich die Patienteninformationen des Originals, wird überdeutlich klar, wie viel Zeit wir für eine Beratung aufwenden müssten.
Quelle: PatienteninfoVermutlich wäre es in diesem Fall sinnvoll, wie in manchen anderen Ländern auch, die Abgabe in der Apotheke an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. In Israel sind Viagra® und Generika in den Dosierungen 50 mg und 100 mg zwar ohne Rezept erhältlich, dürfen aber nur an Männer über 35 Jahre ohne Risikofaktoren abgegeben werden. Die abgebenden Apotheker müssen zudem nachweisen, dass sie über die nötigen Kenntnisse verfügen (beispielsweise über eine spezielle Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme) und sie müssen einem Risikomanagementplan folgen.
Mit der erleichterten Abgabe in den Apotheken erhoffen sich die Regierungen vor allem eines: Dem illegalen Handel über den OTC-Switch einen Schlag zu versetzen. Damit sollen auch die Patienten geschützt werden, die einen niederschwelligeren Zugang zu Potenzmitteln suchen, als er über einen Arztbesuch erfolgen könnte. Und Viagra® ist tatsächlich in jedem Jahr immer wieder der absolute Spitzenreiter bei gefälschten Pillen aus dem Internet. Laut eines Berichtes der Welt enthalten viele der gefälschten blauen Pillen allerdings statt des erwarteten Potenzmittels nur „Straßendreck oder lebensgefährliche Substanzen“. Wäre der Zugang einfacher, würden viele Besteller von der illegalen Beschaffung absehen. In den Ländern, die Sildenafil von der Rezeptpflicht freigestellt haben, wurde seither jedenfalls ein deutlicher Rückgang der Bestellungen über zweifelhafte Quellen im Internet verzeichnet.
Und gerade hier steht Deutschland offenbar an erster Stelle – wie so oft, wenn es vermeintlich etwas zu sparen gibt. So wie der Durchschnittsbürger hierzulande lieber in Kauf nimmt, minderwertige Fleischprodukte zu essen, als einen angemessenen Preis für gute Waren zu bezahlen, sind laut Welt auch 38 Prozent der Bevölkerung dazu bereit, risikobehaftete Produkte wie Medikamente im Internet bei unseriösen Anbietern zu bestellen. Damit sind wir traurige Spitzenreiter.
Doch bei aller Begeisterung über die Möglichkeit, dem illegalen Handel mit diesem OTC-Switch ein Schnippchen zu schlagen, lässt uns ein Blick in Leitlinie und Beipackzettel verstehen, weshalb der Hersteller Pfizer einen ähnlichen Antrag auf Änderung der Zulassung für Viagra® 2008 vor dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA offiziell zurückzog. Dort wird nämlich an prominenter Stelle beklagt, dass seit Einführung der Phosphodiesterase-5-Hemmer die Therapie häufig unkritisch und noch vor einer umfassenden Anamnese erfolgt.
Selbst Patienten mit nur mittlerem oder unbestimmtem Risiko für kardiologische Beeinträchtigungen sollten sich laut Leitlinie zunächst einer ausführlichen kardiologischen Untersuchung mit Erhebung der Risikofaktoren, Beurteilung einer eventuellen koronaren Herzkrankheit und gegebenenfalls auch einem Belastungs-EKG unterziehen. Das soll eine Zuordnung in Gruppen mit hohem oder niedrigem Risiko ermöglichen. Dann erst könne entschieden werden, ob eine Behandlung der erektilen Dysfunktion mit PDE-5-Hemmern erfolgen kann, oder nicht. Das ist in der Apotheke selbstverständlich nicht möglich.
Warum ist man hier so vorsichtig? Sildenafil stand ein paar Jahre lang in der Öffentlichkeit unter Verdacht, Herzinfarkte auszulösen. Die unterschiedlichen kardialen Nebenwirkungen wurden jedoch nicht durch den PDE-5-Hemmer verursacht, sondern durch die körperliche Anstrengung beim Geschlechtsakt selbst. Ein gewisser Grad an Gesundheit und Fitness ist beim Sex einfach vonnöten. Die Einnahme von Sildenafil scheint im Gegenteil sogar noch lebensverlängernde Aspekte zu haben, wie kürzlich eine schwedische Studie des Karolinska Instituts offenbarte. Dass Sildenafil allerdings nicht mit Nitraten kombiniert werden darf, ist eine Beratungsleistung, die in der Apotheke problemlos durchführbar ist.
Das größere Problem an der Sache ist, wie die Leitlinie bereits andeutet, dass es so einfach erscheint, Männern mit Erektionsproblemen unkritisch und unkompliziert die blaue Pille in die Hand zu drücken. Dabei wird der Frage nach dem Grund für die Beschwerden nicht weiter nachgegangen. Hinter den Beschwerden könnten nämlich neben Herzerkrankungen, psychischen Problemen und einem zu hohen Blutdruck auch noch ein Diabetes oder Prostataerkrankungen stecken, die dringend abgeklärt und ausgeschlossen werden müssen. Hier würde sonst nur über die symptomatische Behandlung die eigentliche Grunderkrankung verschleiert und das ist das eigentlich Gefährliche daran. Dies herauszufinden, liegt aber weit außerhalb der Möglichkeiten einer Apotheke und gehört in ärztliche Hände.
Dass Sildenafil übrigens sowieso praktisch rezeptfrei beziehbar ist, wird meist unter den Teppich gekehrt. Viele Internetanbieter, die eine Pseudo-Arztsprechstunde mit anschließender Weiterleitung zu einem ausländischen Versender anbieten, der die Pille per Paket schickt, leben zum großen Teil von genau diesem Produkt. Ob die Patienten hier genauso gut aufgeklärt werden wie in einer echten Arztpraxis oder in der Apotheke vor Ort, kann sich jetzt jeder selbst ausmalen.
Was wäre nun der Königsweg aus diesem Dilemma? Für mich im Grunde eine Lösung, die man so ähnlich auch beim OTC-Switch der Triptane gefunden hat: eine rezeptfreie Abgabe in der Apotheke von Kleinpackungen, nachdem ein Arzt die Grunderkrankung festgestellt und dem Patienten bereits einmal dieses Medikament auf Rezept verordnet hat. So hätte man eine ärztliche Abklärung im Vorfeld und gleichzeitig wäre der Folgezugang zum Medikament so niederschwellig, dass es nicht nötig ist, es sich über unseriöse Kanäle im Internet zu beschaffen.
Die Experten gehen übrigens nicht davon aus, dass der Sachverständigenausschuss Sildenafil tatsächlich freigeben wird. Wobei man sagen muss, dass es vor vier Jahren als ebenso unwahrscheinlich gesehen wurde, dass sich der Ausschuss in Deutschland überhaupt noch mit dem Thema befassen würde. Es kam anders und bleibt daher spannend – vielleicht sollte man sich also im Vorfeld in den Apotheken vorsichtshalber doch noch einmal ins Thema einlesen.
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