Über 80 % der Kinder mit ADHS leiden unter Schlafstörungen. Die Unruhe am Abend lässt sie besonders schwer einschlafen. Eine Schlafintervention soll dabei helfen, die Schwere der Symptome, das Verhalten, die Lebensqualität und das Arbeitsgedächtnis zu verbessern.
Etwa 5 % der Kinder und Jugendlichen weltweit sind von ADHS betroffen. Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität kennzeichnen die Störung. Über 80 % der Kinder mit ADHS leiden zudem unter Schlafstörungen. Die Unruhe am Abend macht es ihnen besonders schwer, einzuschlafen. Viele betroffene Kinder gehen daher spät ins Bett und/oder ihr Schlaf ist häufig unterbrochen. Wissenschaftler führen verschiedene Gründe für die Schlafstörungen an, insbesondere auch neurobiologische Vorgänge. Beispielsweise könnten Stimulanzien die Einschlafzeit verlängern. Auch komorbide Störungen wie Angststörungen können an der Schlafstörung der Kinder mit ADHS beteiligt sein. Es entsteht ein Teufelskreis: Kinder, die schlecht schlafen, sind während des Tages unruhiger und können sich schlechter konzentrieren. Sowohl die betroffenen Kinder als auch deren Eltern erscheinen unter Umständen zu spät in der Schule bzw. am Arbeitsplatz.
In früheren Studien hat man versucht, den Schlaf der ADHS-Kinder mit Hilfe von Melatonin-Gaben zu verbessern. Das Melatonin verhalf den Kindern tatsächlich zu einem schnelleren Einschlafen. Was jedoch nicht gelang, war eine allgemeine Verbesserung der ADHS-Symptome oder eine Verbesserung der Lebensqualität. Ob eine kurze Schlafintervention den ADHS-Kindern aus ihrem Teufelskreis heraushelfen kann, untersuchten Harriet Hiscock und Kollegen des Royal Children's Hospital in Parkville, Australien. Die Autoren entwickelten ein verhaltenstherapeutisches Schlafprogramm für ADHS-Kinder mit mäßigen bis schweren Schlafproblemen. Sie kommen zu positiven Resultaten, die jedoch einen faden Beigeschmack haben: Ein Großteil der untersuchten Kinder mit ADHS und Schlafstörungen wurde laut Studienangaben medikamentös behandelt. Viele von ihnen erhielten den gängigen Wirkstoff Methylphenidat, dessen häufige Nebenwirkung eine Schlafstörung ist. Das Schlafprogramm von Hiscock nahm sich also potentiell vor, etwas zu behandeln, das möglicherweise keine ausschließliche Folge von ADHS, sondern eine Nebenwirkung des verabreichten Medikaments sein könnte. Daher sollten die Ergebnisse zur Schlafintervention – so positiv und wirkungsvoll sie sein mögen – immer auch in den Kontext zur ADHS-Therapie gesetzt werden.
Zur Schlafintervention gehörte die Aufklärung der Familie über den normalen Schlaf. Die Eltern sollten die Proteste des Kindes gegen das Zubettgehen ignorieren. Hingegen sollte das problemlose Zubettgehen mit einer Routine zur Schlafenszeit belohnt werden. Kinder, die lange zum Einschlafen brauchten, sollten nach und nach später ins Bett gebracht werden, während sie morgens immer zur gleichen Zeit geweckt wurden. Schlafstörungen aufgrund von Ängsten wurden mithilfe von Entspannungs- und Imaginationstechniken behandelt. Die Eltern führten in der Studienzeit ein Tagebuch über den Schlaf ihres Kindes. In ihrer Studie mit 27 Kindern konnten Harriet Hiscock und ihre Kollegen bereits zeigen, dass die Schlafintervention zu einer höheren Lebensqualität bei den Kindern führte. Jetzt wurde in ihrer randomisierten Studie mit 99 betroffenen Familien und 97 Kontrollfamilien deutlich, dass die Schlafintervention die Schwere der Symptome, das Verhalten, das Funktionieren, die Lebensqualität und das Arbeitsgedächtnis verbesserte. Diese Ergebnisse waren sechs Monate nach Beginn der Studie noch nachweisbar.
Die normale Schlafstruktur besteht aus wiederkehrenden Zyklen von vier Non-REM-Phasen und einer REM-Phase (REM = Rapid Eye Movement). Das Schlafstadium I ist wenige Minuten nach dem Einschlafen erreicht. Es zeichnet sich durch langsame Theta-Wellen im EEG aus. Es folgt das Schlafstadium II mit Beta-Wellen sowie typischen Schlafspindeln. Danach fällt der Schläfer in die Tiefschlafphasen III und IV, die durch besonders langsame EEG-Wellen gekennzeichnet sind (Slow Wave Sleep, SWS). Der Schläfer bewegt seine Augen nicht und der Muskeltonus ist sehr niedrig. Schließlich folgt der REM-Schlaf, der dem Stadium I des Schlafes ähnelt. Starke Augenbewegungen, ein niedriger Muskeltonus sowie Spontanerektionen sind typisch für diese Phase. Während Neugeborene noch 16 Stunden Schlaf benötigen, kommen Erwachsene mit 7-9 Stunden pro Nacht aus. Allerdings gibt es auch Erwachsene, die mit 4 Stunden Schlaf auskommen, ohne, dass sie tagsüber beeinträchtigt wären. Das Wissen, dass manche Kinder von Natur aus weniger Schlaf benötigen, entlastet viele Eltern. Der Schlaf hat insgesamt wenig mit Training zu tun, sondern ist weitestgehend genetisch vorgegeben. Ein Schlafzyklus dauert zwischen 80 und 110 Minuten, wobei pro Nacht etwa 4-5 Zyklen vorkommen. Im Laufe der Nacht nimmt der Tiefschlaf ab und die REM-Phasen nehmen zu. Die Schlafstruktur der Kinder mit ADHS wurde von den türkischen Wissenschaftlern Gulcin Akinci und Kollegen erforscht. Sie untersuchten 28 nicht-medikamentierte ADHS-Kinder und 15 gesunde Kontrollteilnehmer. Die ADHS-Kinder fielen durch einen schlechteren Schlaf und eine erhöhte Schläfrigkeit am Tag auf. Die Schlaf-Makrostruktur war bei ADHS-Kindern vergleichbar mit derjenigen von gesunden Kindern. Allerdings stellten die Wissenschaftler bei den ADHS-Kindern Veränderungen der Schlaf-Mikrostruktur fest: Die Schlafzyklen wiederholten sich langsamer als bei den Nicht-ADHS-Kindern.
Die Träume von ADHS-Kindern unterscheiden sich in ihrer Intensität und Bizarrheit nicht von Kindern ohne ADHS, aber sie sind negativer eingefärbt. ADHS-Kinder träumen häufiger von Bedrohungen und Aggressionen, die gegen sie gerichtet sind. Bei Alpträumen kann jedoch die Intervention namens „Imagery Rehearsal Therapy“ eingesetzt werden. Dabei gehen die Wissenschaftler davon aus, dass der Traum typische Angstphänomene des Alltags zeigt. Der Träumer schreibt den Traum auf und überlegt sich tagsüber neue Bewältigungsstrategien für seine Angst. Einige Male soll er am Tag die neue Bewältigungsstrategie durchgehen. Beim nächsten Angsttraum zeigt sich dann häufig, dass sich der Traum ebenfalls verändert hat. Schlaf ist für viele Eltern und Kinder oft von Beginn des Lebens an ein schwieriges Thema. Viele Eltern leiden schon in der Babyzeit ihres Kindes darunter, dass es unruhig ist und schlecht schläft. Babys mit solchen frühen Regulationsstörungen zeigen auch später als Kinder häufiger Verhaltensauffälligkeiten. Die Unterstützung der Eltern ist von Anfang an essenziell. Wie die Studie von Harriet Hiscock und Kollegen zeigt, kann bereits das Wissen über die unterschiedlichen Schlafgewohnheiten, über Schlafhygiene und normalen Schlaf zur Entspannung der Situation führen. Originalpublikation: Impact of a behavioural sleep intervention on symptoms and sleep in children with attention deficit hyperactivity disorder, and parental mental health: randomised controlled trial Harriet Hiscock et al.; BMJ, doi: 10.1136/bmj.h68; 2015