Bis zuletzt war fraglich, ob Scholz es wagt. Jetzt ist klar: Die SPD macht einen ihrer bekanntesten und umstrittensten Politiker zum Bundesgesundheitsminister – Karl Lauterbach. Geht das gut?
Die SPD hat am Montagvormittag (6. Dezember 2021) als letzte Partei der künftigen Ampel-Koalition ihre Minister namentlich nominiert. Und stellt Karl Lauterbach als neuen Bundesgesundheitsminister vor – ihren wohl prominentesten und zugleich umstrittensten Parteikollegen.
Der 58-jährige Mediziner und Gesundheitsökonom Lauterbach soll nun zunächst als Corona-Krisenmanager ans Werk gehen. Denn er übernimmt mitten in der Hochphase der vierten Corona-Welle das Amt vom scheidenden Amtsinhaber Jens Spahn (CDU). Bei der Vorstellung Lauterbachs erklärte der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Pandemie sei noch lange nicht vorbei. „Und deshalb haben sich, anders kann man das gar nicht sagen, bestimmt die meisten Bürger dieses Landes gewünscht, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach ist, es wirklich gut kann und dass er Karl Lauterbach heißt. Er wird es.“
Auf vielen Seiten hat sich Lauterbach in der Corona-Krise durch seinen hartnäckigen Einsatz Respekt verschafft. Auch durch seine Dauerpräsenz in Talkshows und auf Twitter konnte er enormen Rückhalt in der Bevölkerung aufbauen: Mit 45,6 Prozent der Erststimmen holte er dieses Jahr eines der besten Ergebnisse aller Bundestagskandidaten.
Zuletzt konnte der Gesundheitsexperte sogar Befürworte aus dem Lager der Union für sich gewinnen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, Lauterbach würde einen guten Gesundheitsminister abgeben. Es brauche einen Ressortchef, der keine zehn Minuten Einarbeitungszeit benötige, so Söder in der ARD-Sendung Anne Will.
Tatsächlich war lange fraglich, ob Scholz Lauterbach den Job anvertrauen möchte. Nicht alle in der SPD-Führung und -Fraktion sind ihm zugetan. Einige Kollegen halten seine Art für zu eigensinnig. Außerdem ist Lauterbach auch bei vielen, die im Gesundheitswesen etwas zu sagen haben, äußerst unbeliebt. Die Reaktion der KBV etwa spricht Bände: „Wir bieten konstruktive Zusammenarbeit an.“ Viel nüchterner kann man eigentlich nicht reagieren.
Die Skepsis im Gesundheitswesen hat zum einen mit Lauterbachs Populismus zu tun. Der neue Gesundheitsminister hat in der Vergangenheit über seinen Twitter-Account immer wieder unqualifizierte Tweets zu Medikamenten abgesetzt, wenn er davon ausgehen konnte, ein applaudierendes Publikum zu haben – ob es nun Budesonid-Spray als Corona-Therapie (wir berichteten) oder die Geburtseinleitung mit Misoprostol war (mehr dazu hier).
Skeptisch ist das Gesundheitswesen ihm gegenüber aber auch wegen anderer Positionen, für die er sich in der Vergangenheit eingesetzt hat. Ganz oben auf der Liste steht dabei die Etablierung des als vermurkst geltenden deutschen DRG-Systems, für das Lauterbach maßgeblich mitverantwortlich war. Zur Entscheidung für Lauterbach hat neben einem gewissen Druck aus der Bevölkerung wohl auch beigetragen, dass Scholz aus der SPD nur wenige ähnlich populäre Politiker ins Ministerrennen schicken konnte. Kompetentere Alternativen hätte er gehabt: Es war nicht Lauterbach, der für die SPD in den Koalitionsverhandlungen das Kapitel Gesundheit federführend verhandelt hat, sondern seine SPD-Kollegin Katja Pähle aus Halle/Saale.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es im Gesundheitswesen ebenso einige gibt, die einen neuen Minister Lauterbach gerne sehen. Positiv äußerte sich etwa der Ärzteverband Marburger Bund: „Es freut mich, dass ein Arzt Gesundheitsminister wird“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Er ist ausgewiesener Fachmann und hat nicht erst seit der Pandemie bewiesen, dass er über hohe Sachkenntnis verfügt.“
Auch vom Virchow-Bund kam eine sehr positive Reaktion. Schön hier ist allerdings folgender Satz in der Pressemeldung: „Wir sehen einer guten und konstruktiven Zusammenarbeit optimistisch entgegen, da Karl Lauterbach gezeigt hat, dass er frühere Positionen auf Grund neuer Erkenntnisse verändern und seine Politik an die neuen Gegebenheiten anpassen kann.“ Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Direkt nach seiner Nominierung skizzierte Lauterbach auf Nachfrage kurz seine Linie als Gesundheitsminister. In den nächsten Wochen solle die Absenkung der Corona-Fallzahlen im Vordergrund stehen, „und zwar so stark, dass wir ohne Menschen zu gefährden, reisen können“, so Lauterbach.
Zuletzt plädierte er am Sonntagabend (5. Dezember 2021) bei Anne Will für die Corona-Impfpflicht. Der Staat dürfe sich nicht von radikalen Gruppen erpressen lassen, zeigte er sich mit CSU-Chef Söder einig. Daten aus Israel und dem Vereinigten Königreich über die Ausbreitung von Omikron unter bereits Geimpften gäben „Grund zur Sorge“, sagte Lauterbach. Die Omikron-Variante setze sich schneller durch, als bisher gedacht.
Er sprach sich für eine schnellstmögliche Booster-Impfung aus – als Mittel der Wahl, um einen Lockdown zu vermeiden. Dass es einen erneuten Lockdown geben werde, halte er zwar nicht für wahrscheinlich. Ausschließen könne er es aber nicht. Spannender wird freilich, was „KL“ zu den Themen zu sagen hat, die über Corona hinausgehen. Die Reform des DRG-Systems ist Teil des Koalitionsvertrags, zweite Chance für ihn, quasi. An einer Umsetzung der reformierten Gebührenorndung für Ärzte (GOÄ) in dieser Legislatur führt definitiv kein Weg vorbei. Und dann ist da die Finanzierung: Nach derzeitigem Stand werden 2023 mindestens 14 Milliarden Euro fehlen. Das entspräche einer Beitragserhöhung um einen Prozentpunkt, die ein Populist vermeiden wollen wird. Steuersäckel? Pharmaindustrie? Beides?
Neben seinen gesundheitspolitischen Plänen bleibt spannend, ob Corona-Karl seine Rolle als ständig twitternder Experte so weiterführen wird wie bisher. Auf Twitter selbst ließ er bereits durchblicken, dass er der Plattform auch als Gesundheitsminister treu bleiben wird: „Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich als Gesundheitsminister hier auf Twitter unterstützt haben. Lob und auch Kritik, wenn sachlich und begründet, bedeuten mir viel. Ich freue mich, wenn Sie/Ihr meine Arbeit weiter begleitet. Das wird so bleiben.“
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Philipp Grätzel entstanden.
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