Mit der COV-BOOST-Studie gibt es jetzt das bisher umfangreichste vergleichende Datenpaket zu den Booster-Impfungen. Spoiler: Die Studie liefert ein paar Überraschungen.
Großbritannien wird seinem Ruf als wichtigste Arena der klinischen COVID-19-Forschung einmal mehr gerecht: Der Kinderarzt Dr. Alasdair Munro aus Southampton, den selbsternannte deutsche Corona-Twitter-„Experten“ aus der NoCovid-Ecke wegen seiner Kritik an Schulschließungen in der Vergangenheit schon mal als Corona-Leugner abstempelten, hat als Principle Investigator im Lancet die COV-BOOST-Studie der gleichnamigen Studiengruppe publiziert – eine breit angelegte Evaluation der Immunantwort und der Sicherheit von sieben verschiedenen Booster-Schemata.
Die Studie liefert dringend nötige Daten für ein Feld, das dank der im Zulassungsprozess befindlichen, proteinbasierten Impfstoffe von Novavax und Valneva absehbar breiter – und damit für Ärzte (und Impflinge) unübersichtlicher werden wird. Doch nicht nur zu Novavax-/Valneva-haltigen Schemata liefert die COV-BOOST-Studie wichtige Daten. Sie adressiert auch die Frage, ob der BioNTech-Impfstoff für Booster-Impfungen richtig dosiert ist.
Der Reihe nach: COV-BOOST ist eine randomisierte, kontrollierte Phase-II-Multicenter-Studie, die an 18 Zentren durchgeführt wurde. Insgesamt nahmen 2.878 Menschen teil, die entweder zweimal mit ChAdOx1, also dem AstraZeneca-Impfstoff, oder zweimal mit BNT, also dem Impfstoff von BioNTech, geimpft waren und bei denen die jeweils zweite Impfung mindestens 70 Tage zurücklag. Die Teilnehmer durften keine dokumentierte SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese haben.
Die 18 Studienzentren wurden in drei Gruppen aufgeteilt und in jeder dieser multizentrischen Gruppen wurden andere Booster-Schemata evaluiert. In den ersten sechs Kliniken traten NVX-CoV2373 (Novavax) in voller und halber Dosis sowie ChAdOx1 als Booster an. In den zweiten sechs Kliniken waren BNT, VLA2001 (Valneva), VLA2001 in halber Dosis und Ad26, der Janssen-Impfstoff, die aktiven Booster-Strategien. Und im dritten Drittel der Einrichtungen kam mRNA1273 von Moderna zum Einsatz, in voller Dosis, da bei Studienbeginn noch nicht klar war, dass Moderna nur die halbe Dosis für Booster beantragen würde, außerdem BNT in halber Dosis sowie interessanterweise der CureVac Impfstoff CVnCov. Daten zu Moderna in halber Dosis werden noch nachgeliefert. In jeder der drei Zentrengruppen gab es zudem eine Kontrollgruppe mit quadrivalenter Meningokokken-Vakzine.
Primärer Effektivitätsendpunkt war Immunogenität auf Basis einer modifizierten ITT-Population, gemessen per ELISA als Anti-Spike-IgG. Primärer Sicherheitsendpunkt waren Sicherheit und Reaktogenität auf Basis der kompletten ITT-Population. Als sekundäre Endpunkte – und nicht zuletzt das macht die COV-BOOST-Studie zu einer echten Leuchtturmstudie – wurden Virusneutralisierung und zelluläre Immunantwort ermittelt. Die Angaben zur Immunogenität beruhen also nicht nur auf den simpel zu messenden, aber in ihrer Aussagekraft umstrittenen, Antikörpern gegen das Spike-Protein.
Was kam raus? Zunächst einmal und besonders wichtig: Schwere unerwünschte Wirkungen waren bei allen Schemata sehr selten. In den drei Kontrollgruppen gab es insgesamt 5 derartige Ereignisse, in den Booster-Gruppen waren es jeweils zwischen einem und zwei. Kein Unterschied also. Was die leichteren Nebenwirkungen angeht, war die Reaktogenität – also die Nebenwirkung „Impfreaktion“ – bei vier Schemata stärker ausgeprägt als bei den anderen, nämlich bei Einsatz des mRNA1273-Boosters nach ChAdOx1/ChAdOx1-Prime-Boost-Schema, bei dem für Deutschland sehr relevanten Einsatz von mRNA1273 nach BNT/BNT-Prime-Boost Schema sowie beim Einsatz von ChAdOx1- bzw. Ad26-Boostern nach BNT/BNT-Prime-Boost Schema.
In Summe gab es in Sachen Sicherheit und Verträglichkeit keine unerwarteten Ergebnisse. Grünes Licht für alle Schemata. Interessanter, weil facettenreicher, sind die Ergebnisse auf Immunogenitäts-Seite. Beginnen wir mit dem primären Endpunkt, den IgG-Antikörpern gegen das Spike-Protein. Die Effektivität wurde hier als Geometric Mean Ratio (GMR) zwischen Impfgruppe und der jeweiligen Kontrollgruppe ausgedrückt. Und dabei gab es ordentliche Unterschiede. Am geringsten war die GMR und damit der Spike-IgG-Immunogenitäts-Unterschied im Vergleich zur Kontrollgruppe bei den VLA-Boosts, unabhängig vom Prime-Boost-Schema. Die GMR-Quotienten lagen hier zwischen 1,25 und 2,2 – je nachdem, ob die halbe oder volle Dosis von VLA gegeben wurde.
CureVac als Boost schnitt mit einer GMR von 2,3 nach BNT/BNT und 5,1 nach ChAdOx1/ChAdOx1 etwas besser ab. Die Vektorimpfstoffe erreichten 3,3 (ChAdOx1 nach ChAdOx1/ChAdOx1) bis 5,3 (ChAdOx1 nach BNT/BNT) bzw. 5,6 (Ad26 nach BNT/BNT) bis 5,8 (Ad26 nach ChAdOx1/ChadOx1). Besser war NVX-CoV2373, der in halber Dosis nach ChAdOx1/ChAdOx1 eine GMR von 5,8 und in voller Dosis von 8,8 erreichte. Bei BNT/BNT-Vortherapie lagen die entsprechenden Quoten bei 3,1 und 4,8. Klarer Sieger in der Disziplin „primärer Endpunkt IgG gegen das Spike-Protein“ waren die mRNA-Booster von BioNTech/Pfizer und Moderna. BNT in voller Dosis erreichte 8,1 nach BNT/BNT und satte 24,5 nach ChAdOx1/ChAdOx1. Für mRNA1273 in voller Dosis lagen die entsprechenden GMR-Quotienten noch höher, bei 11,5 und 32,3.
Bei den neutralisierenden Antikörpern, einem sekundären Endpunkt, interessierte vor allem, ob es einen größeren Unterschied zwischen SARS-CoV-2-Wildtyp und Delta-Variante gab. Das war im Großen und Ganzen nicht der Fall. Die Delta-GMR-Werte waren meist etwas niedriger, bei einzelnen Kombinationen aber auch etwas höher als beim Wildtyp. Es bestätigt sich, was bekannt war – dass die Impfstoffe gegen Delta wirken und dass der Booster einen erheblichen Immunogenitätseffekt hat, der auch bei den neutralisierenden Antikörpern mit den mRNA-Boosts am stärksten ausfällt.
Auch bei den ebenfalls als GMR im Vergleich zur Kontrollgruppe gemessenen, zellulären Immunantworten gibt es deutliche Unterschiede in Abhängigkeit vom gewählten Booster-Impfstoff. Beim SARS-CoV-2-Wildtyp liegen die Quoten bei ChAdOx1/ChAdOx1-Vorimpfung zwischen 1,1 für den Boost mit ChAdOx1 und 3,6 für den Boost mit mRNA1273. Bei BNT/BNT-Vorimpfung sind es 1,0 für die halbe Dosis VLA und bis 4,7 für den Moderna-Boost. Auch hier gibt es bei keinem der Impfstoffe größere Unterschiede zwischen Wildtyp und Delta-Variante.
Die vielleicht spannendste und so noch nicht anderweitig adressierte Frage, die die COV-BOOOST-Studie aufwirft, dreht sich darum, ob der BNT-Impfstoff als Booster nicht eventuell überdosiert sein könnte. BNT wird bekanntlich, anders als der Moderna-Impfstoff, beim Booster in voller und nicht halber Dosis gegeben. Die COV-BOOST-Studie lässt nun den direkten Vergleich zwischen den BNT-Booster-Gruppen in voller und halber Dosis zu. Und die Unterschiede sind eher klein.
So erreicht der BNT-Booster nach ChAdOx1/ChAdOx1- bzw. BNT/BNT-Impfung bei den Anti-Spike-IgG wie erwähnt eine GMR von 24,5 bzw. 8,1. BNT in halber Dosis schafft 16,8 und 6,8 – nur etwas, aber nicht dramatisch weniger. Bei den neutralisierenden Antikörpern gegen Pseudovirus Typ Delta erreicht die halbe Dosis 15,1 und 7,4, die volle Dosis 14,4 und 6,6. Gar kein Unterschied also. Und bei der zellulären Immunität gegen Delta schafft die volle Dosis 3,2 bzw. 2,7, die halbe Dosis landet bei 3,0 bzw. 3,9.
Was folgt nun aus der COV-BOOST Studie? Munro sieht „substantielle Unterschiede“ sowohl bei den humoralen als auch bei den zellulären Immunantworten und plädiert dafür, dass sich das auch in den nationalen Impfempfehlungen widerspiegeln sollte. VAL als Boost nach mRNA/mRNA bzw. ChAdOx1/ChAdOx1-Prime-Boost zum Beispiel scheint zumindest in Bezug auf Wildtyp und Delta nicht optimal zu sein. Bei NVX sieht das günstiger aus. In Deutschland ist das aktuell noch nicht relevant, weil generell mit mRNA geboostert wird und weder VAL noch NVX bisher erhältlich sind. Wenn aber demnächst mehr Impfstoffe auf dem Markt sind, dann dürfte es auf zunehmend differenzierte Empfehlungen hinauslaufen.
Beim BioNTech-Impfstoff-Booster ist nach den COV-BOOST-Daten zumindest denkbar, dass über die Booster-Dosis noch einmal nachgedacht wird. Wenn die halbe Dosis reicht, dann wird das nicht nur die Verträglichkeit verbessern, sondern es brächte auch Entspannung in Sachen globaler Verfügbarkeit. Das allerdings würde auch eine Veränderung der Zulassung erfordern, es wäre also eher ein etwas längerfristiges Projekt, sofern sich nicht Ärzte finden, die auf Basis der nun vorliegenden Evidenz off-label boostern.
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