Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die Impfstoffe wirken gegen Omikron schlechter als gegen die Delta-Variante. Das zeigen erste Laboruntersuchungen. Aber ist das wirklich ein Grund zur Sorge?
Was Forscher angesichts der zahlreichen Mutationen von Omikron schon befürchtet hatten, scheint sich in ersten Laboruntersuchungen zu bestätigen: Die derzeit eingesetzten Impfstoffe büßen gegen die neue Omikron-Variante teilweise an Wirksamkeit ein – zumindest was die Neutralisierung durch die generierten Antikörper angeht. Das zeigt etwa ein Auszug einer Arbeit der Virologin Prof. Sandra Ciesek, den sie heute vorab auf Twitter veröffentlichte. Darin hat ihr Team Neutralisationstests mit der neuen Omikron-Variante im Vergleich zur derzeit vorherrschenden Delta-Variante durchgeführt.
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Die Wirksamkeit einer vollständigen Impfung mit Biontech, Moderna oder einer heterologen Impfung mit AstraZeneca und Biontech gegen die neue Variante sinkt demnach deutlich ab im Vergleich zur Delta-Variante. Konkret fand die Wissenschaftlerin bei 2-fach-Impfung mit egal welcher Impfstoffkombination überhaupt keine Neutralisation bei Omikron, nach Booster waren es immerhin 25 %. Allerdings: Bei Delta liegt der Wert nach Booster bei 95 %. Insgesamt sei die Neutralisationsaktivität, verglichen mit Delta, um das 37-fache reduziert, so Ciesek.
An dieser Stelle sei zur Einordnung ein Tweet von Virologe Christian Drosten erwähnt, der auf die Daten prompt reagierte: „Eine 40-fache Reduktion der Neutralisationsaktivität bedeutet NICHT, dass die Impfung 40-mal weniger schützt. Der reale Immunitätsverlust ist viel geringer.“ Er hält Booster-Impfungen in dem Zusammenhang derzeit für den besten Schutz. Ciesek bestätigt das und verweist auf die Bemühungen um bessere Impfstoffe: „Die Daten bestärken, dass die Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffs sinnvoll ist“, so die Virologin auf Twitter.
Sie macht zudem darauf aufmerksam, dass die Daten keine Rückschlüsse darauf zulassen, ob die Impfstoffe auch weiterhin vor einer schweren Erkrankung schützen. Dazu müsste auch die zelluläre Immunantwort untersucht werden. In diesem Punkt sind sich im Übrigen viele Experten einig: So erklärt etwa Prof. Florian Krammer, Virologe an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, dass viele Geimpfte und Genese vermutlich immer noch über eine Teilimmunität verfügen – Antikörper sind schließlich nur ein Teil des Immunsystems. Dieser „humorale Pfeiler“ des Immunsystems wirkt extrem schnell gegen Eindringlinge, er ist vor allem für die Frage wichtig, ob ein Mensch infiziert werden kann oder nicht. Der zweite Pfeiler, die zelluläre Abwehr, ist längerfristiger angelegt und entscheidender für die Verhinderung schwerer Verläufe.
Wahrscheinlich gibt es nach wie vor B-Gedächtniszellen, die sich gegen Epitope richten, die zwischen dem Corona-Wildtyp und Omikron konserviert sind; sich also evolutionär nicht verändert haben. Das könnte auch der Grund für die bisher überwiegend milden klinischen Verläufe bei Geimpften und Genesenen sein. Dennoch hält Krammer Omikron nach Bekanntwerden der ersten Laborergebnisse nach wie vor für problematisch. „Wenn es sich weiter ausbreitet – und die Anzeichen deuten darauf hin – werden wir wahrscheinlich eine weitere Welle erleben.“ Zwar werde diese wohl nicht so dramatisch ausfallen, was die Todesfälle angeht. Dennoch könnte sich ein Großteil der Bevölkerung mit der Omikron-Variante (re-)infizieren.
Aus Südafrika kommen ähnliche Laborergebnisse. Auf Twitter schreibt Alex Sigal, Professor am Africa Health Research Institute über seine noch unveröffentlichte Studie: Die Neutralisierung von Omikron durch die Biontech-Immunität sei im Vergleich zum Vorgängervirus zwar sehr stark zurückgegangen, allerdings entkomme Omikron der Neutralisierung durch den Impfstoff nur teilweise.
Sigal: „Die Resultate sind besser als ich erwartet habe. Je mehr Antikörper man hat, desto besser sind die Chancen, gegen Omikron geschützt zu sein.“ Wie gut Booster-Shots gegen die Variante wirken, hat das Team zwar nicht untersucht. Unter Experten scheint die dritte Dosis dennoch das derzeit beste Mittel gegen Omikron zu sein. Christian Drosten schreibt dazu: „Im Moment ist die Dreifachimpfung der beste Schutz. Neue Impfstoffe erst nach der Winterwelle. Nicht warten, sondern boostern.“
Impfstoff-Hersteller Biontech lieferte am Mittwoch ebenfalls Testergebnisse. Ihre Untersuchung deuten auch auf eine abgeschwächte Wirksamkeit der Impfung hin. Das Neutralisierungspotenzial sei im Vergleich zum Wildtyp 25-fach schwächer, heißt es in einer Pressemitteilung. Das ist deutlich geringer als der Wert der Arbeitsgruppe um Prof. Ciesek. Möglicherweise ist der Unterschied aber damit zu erklären, dass Biontech ihre Neutralisationstests mit Pseudoviren und nicht wie Ciesek mit Virusisolat, sprich echten Omikron-Viren, durchgeführt hat.
Biontech geht davon aus, dass Geimpfte auch weiterhin vor einem schweren COVID-19-Verlauf geschützt sind, da die Mehrheit der Epitope, gegen die sich die Impfstoff-induzierten T-Zellen richten, nicht von den Mutationen der Omikron-Variante betroffen seien. In der Pressemitteilung weist Biontech zudem auf die Wichtigkeit des Boosters hin: Laut ihrer noch unveröffentlichten Daten könne ein Booster die Antikörper-Titer wiederum um das 25-fache erhöhen. Die 3. Dosis würde damit „ein ähnliches Niveau an neutralisierenden Antikörpern gegen Omikron hervorrufen, wie es nach 2 Dosen gegen den Wildtyp und andere Varianten, die vor Omikron auftraten, beobachtet wurde“, heißt es in der Mitteilung.
Bildquelle: Thao Le Hoang, unsplash.