Die Covid-Impfstoffe wirken schlechter gegen Omikron – aber ein Booster bietet zumindest für eine Zeit lang Schutz. Spezielle Varianten-Impfstoffe könnten auch langfristig Abhilfe schaffen. Wie das gelingen kann, lest ihr hier.
Israel wurde zu Beginn seiner Booster-Kampagne stark kritisiert – im Nachhinein scheinen sich die Auffrischimpfungen als positiver zu erweisen als gedacht. Denn: Mit steigenden Inzidenzen und einer gar nicht so hohen Impfquote hat das Land bessere Zustände in den Krankenhäusern als Deutschland - bei allerdings einer jüngeren Bevölkerung. So liegt die Quote der Personen, die eine Impfung erhalten haben, in Israel nur bei fast 70 Prozent, hingegen die Quote mit Auffrischungsimpfung bei etwa 45 Prozent. Als Vergleich: Deutschland verzeichnet eine ähnliche Gesamtimpfquote, doch nur etwa 25 Prozent der Bevölkerung hierzulande haben bisher eine Auffrischimpfung erhalten. Die 7-Tage-Inzidenz hierzulande ist fast zehnmal so hoch.
Das New England Journal of Medicine hat kürzlich eine israelische Studie veröffentlicht, die die Bedeutung der Booster-Impfung unterstreicht. Die Datenerfassung spiegelt den Zeitraum ab August bis Ende September 2021 wider, in der sowohl die Booster-Kampagne startete als auch die Delta-Variante vorherrschte. Teilgenommen haben Personen im Alter von über 50 Jahren, die mindestens 5 Monate zuvor zwei Dosen des Biontech-Impfstoffs bekommen haben.
Die insgesamt 843.208 Teilnehmer wurden in zwei Gruppen geteilt, wobei 90 Prozent eine Booster-Impfung innerhalb des 54-Tage-Zeitraums erhalten haben. Die Forscher legten "Tod durch COVID-19" als primären Endpunkt der Untersuchung fest.
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Insgesamt starben 65 Probanden der Booster-Gruppe an COVID-19 (0,16 pro 100.000 Personen pro Tag), hingegen verstarben in der Non-Booster-Gruppe 137 Teilnehmer (2,98 pro 100.000 Personen pro Tag). Die adjustierte Hazard Ratio lag im Vergleich bei 0,1 (95 % KI: 0,07 bis 0,14).
Anhand dieser Daten kommen die Forscher auf eine kurzfristige 90-prozentige Reduzierung der Sterblichkeit durch eine COVID-19-Infektion – zumindest verglichen mit denjenigen, die lediglich zwei Dosen Comirnaty® erhalten haben. Die Autoren führen auf, dass der recht kurze Untersuchungszeitraum dieser Studie eine der wesentlichen Limitierungen sei. Jedoch waren die Inzidenzen in dieser Periode am höchsten bei gleichzeitig weniger strengen Abstandsregeln. „Daher war die Exposition gegenüber SARS-CoV-2 erheblich, und dementsprechend reichte die Zahl der Todesfälle aufgrund von COVID-19 aus, um einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Verwendung des Boosters und einer geringeren Sterblichkeit aufgrund von COVID-19 aufzuzeigen“, heißt es.
Durch die aufstrebende Omikron-Variante rückt die Booster-Impfung immer mehr in den Fokus: So gibt es aktuell 11 Laboruntersuchungen zu vollständig Geimpften, die auf stark reduzierte neutralisierende Antikörpertiter hinweisen (wir berichteten); sie sind im folgenden Tweet übersichtlich angeordnet:
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Unter anderem gibt es die Studien von Frau Prof. Sandra Ciesek oder Prof. Alex Sigal mittlerweile schon als Preprint. Die neuen Laborbefunde um Prof. Janine Kimpel gehen auch auf einen heterologen Prime-Boost mit den Impfstoffen von AstraZeneca und Biontech ein, bei dem sich eine heterologe Impfung sowie die doppelte Impfung mit Comirnaty® besser beweist als Spikevax® oder der AstraZeneca-Impfstoff. Auch Genesene werden miteinbezogen: Was die Antikörper betrifft, hat diese Gruppe vermutlich einen geringen Schutz gegen Omikron – anders sieht es bei denjenigen aus, die genesen und geimpft sind. Deren Seren hatten durchaus wirksame Antikörpertiter; die Gruppe wird in der Studie nicht umsonst als „super immune“ bezeichnet.
Auch das Team um Prof. Leif Sander liefert neue Daten: Sie untersuchten sowohl die neutralisierende Antikörperantwort in Geimpften und Genesenen als auch die Aktivität monoklonaler Antikörper gegen Omikron. In den untersuchten Geimpften und Rekonvalszenten fehlte fast vollständig eine neutralisierende Aktivität gegen Omikron. Hinzu kommt, sieben von neun getesteten monoklonalen Antikörpern, die im Frühstadium der Erkrankung oder zur Prophylaxe klinisch genutzt werden, verloren ihre Wirkung gegen die Variante.
Doch die Ergebnisse geben auch Grund für Optimismus: Die mRNA-Boosterimmunisierung in Geimpften und Genesenen sorgte für eine signifikant erhöhte neutralisierende Aktivität in den untersuchten Seren gegen Omikron. Die Autoren beschreiben diese Daten als „klaren Beweis“ dafür, dass eine Auffrischimpfung eine robuste Neutralisation gegen die Variante liefert.
Schwierig ist ein direkter Vergleich der Studien, aufgrund unterschiedlicher Methodik und fehlender genauer Informationen. Doch eins haben sie alle gemein: Eine vielfach reduzierte neutralisierende Antikörperantwort gegen Omikron verglichen zur Delta-Variante oder dem Wildtyp.
Dennoch: Die Studien zeigen, dass die Titer nach einer Booster-Impfung auf die Variante ansprechen – wenn auch reduziert. Geimpft oder genesen zu sein bietet in Kombination mit der Booster-Impfung vermutlich schon einen guten Schutz gegen die Variante Omikron.
Ciesek macht via Twitter darauf aufmerksam, dass ausschließlich Antikörperantworten untersucht wurden. Keine dieser Ergebnisse geben Rückschlüsse auf die T-Zellantwort auf eine Omikron-Infektion, die für die Schwere des Krankheitsverlaufs mitentscheidend ist. Die Unternehmen Pfizer/Biontech gehen davon aus, dass Geimpfte immer noch gegen einen schweren COVID-19-Verlauf geschützt sind. Die Mehrheit der Epitope, gegen die sich die impfstoffinduzierte Langzeitimmunität richtet, sind nicht von den Mutationen der Variante betroffen.
Mitentdecker der Omikron-Variante Prof. Wolfgang Preiser und sein Team liefern in einem Preprint nicht nur Labordaten: So häufen sich Durchbruchsinfektionen mit der Omikron-Variante bei vollständig Geimpften mit mRNA-Auffrischimpfung. Zwar traten bei allen Betroffenen symptomatische COVID-19-Infektionen auf, doch verliefen diese nur leicht bis mäßig – keine der Personen hatte einen schweren Verlauf oder musste hospitalisiert werden. Es handelt sich in diesem Fall aber lediglich um eine deskriptive Untersuchung mit einer viel zu kleinen Stichprobengröße (n = 7) im Alter zwischen 25 und 39 Jahren; sie decken sich aber mit den bisher verfügbaren In-vitro-Ergebnissen.
Daten aus Großbritannien zeigen erstmals deutlich, wie ansteckend die Variante ist: So fällt nach einer zweifachen Impfung mit Comirnaty® der Schutz gegen symptomatische Infektionen auf 34 Prozent. Doch auch hier zeigt sich der Booster erfolgreich – denn der Schutz steigt auf 75 Prozent. Aber wie der Schutz für einen langfristigen Zeitraum aussieht, kann noch nicht gesagt werden.
In einer ersten Meta-Analyse ist der Effekt sogar etwas höher: Der Schutz durch eine vollständige mRNA-Impfung gegen Omikron liege demnach gegen eine symptomatische Infektion bei 40 Prozent; gegen eine schwerwiegende Erkrankung bei 80 Prozent. Mit einem Booster erhöht sich dieser Schutz auf 86,2 Prozent und 98,2 Prozent.
Auch das Paul-Ehrlich-Institut hat diese Befunde nochmals in einer Meldung explizit für eine dreimalige Comirnaty®-Impfung unterstrichen. Dabei gehen sie auch auf eine erforderliche Varianten-Anpassung der Impfstoffe ein. „Die Hersteller insbesondere der mRNA-COVID-19-Impfstoffe haben informiert, dass sie innerhalb von wenigen Wochen ein neues Impfstoffkonstrukt erzeugen und die Herstellung umstellen können, womit sie bereits begonnen haben“, heißt es. Bis zur Herstellung und Bereitstellung des Varianten-mRNA-Impfstoffs gegen COVID-19 werden etwa drei Monate ausreichen.
Auch Biontech-Gründer Dr. Uğur Şahin meldet sich im Spiegel-Interview zu Wort: „Mit Blick auf Omikron sind zwei Dosen noch keine abgeschlossene Impfung mit ausreichendem Schutz.“ Es sei aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll – wenn sich die Variante weiter ausbreitet – bereits nach drei Monaten zu boostern.
Verdrängt Omikron bald Delta?
Nach Einschätzung von Prof. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, könnte „Omikron in etwas zwei bis vier Wochen in Europa vorherrschend sein“. Dazu verweist er auf die Daten aus Dänemark und Großbritannien, die zeigen, dass sich die Anzahl der Omikron-Infektionen etwa alle drei bis vier Tage verdoppele. „Die Übertragungsrate ist fast dreimal so hoch“, erklärt Neher. Das liege aber nicht am Virus selbst, sondern daran, dass sich sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte anstecken. In diesem Zusammenhang betont er auch die Bedeutung der Booster-Impfung und dass der vollständige Impfschutz wahrscheinlich vor schweren Verläufen schütze.
Im Moment könne auch nicht viel über die Sterblichkeit bei einer Omikron-Infektion gesagt werden. Die Berichte über mildere Krankheitsverläufe seien wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sich insbesondere Rekonvaleszente und Geimpfte mit der Variante anstecken, erklärt Neher. „Die Pandemie ist irgendwann zu Ende, aber das Virus bleibt.“
Bildquelle: Marten Newhall, unsplash