Viele deutsche Medizinstudenten haben den Traum, im Ausland zu studieren. Doch anders herum geht es auch: Immer mehr ausländische Studenten wollen hierzulande eine attraktive medizinische Ausbildung abschließen – trotz Sprachbarrieren und anderer Hürden.
Deutschland ist ein attraktiver Standort für Unternehmen, Arbeitnehmer und Auszubildende. Doch auch für Studenten bieten sich gute Bedingungen. Kein Wunder also, dass Leute aus aller Welt hierherkommen, um hier ihr Studium abzuschließen. Im Wintersemester 2013/14 betrug der Anteil ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen rund 11,5 Prozent. Dabei stammen die meisten Bildungsausländer aus China (12,5 Prozent), Russland (5,3 Prozent), Österreich (4,2 Prozent), Indien (3,5 Prozent), Bulgarien und der Türkei (jeweils 3,3 Prozent). Auch schätzungsweise 5-10 Prozent der Medizinstudenten kommen aus dem Ausland. Dabei haben sie es nicht immer leicht. Sprachbarrieren stellen genauso wie die überwältigende Uni-Bürokratie oft eine große Hürde dar. Wir haben drei ausländische Studenten zu ihrem ganz persönlichen Weg ins deutsche Medizinstudium interviewt. Über Vorurteile, Grenzen und Chancen. Enklajd Marsela ist ein ganz normaler Medizinstudent. Er ist froh, gerade das erste anstrengende Semester in München hinter sich gebracht zu haben. Anatomie und der berühmte „Präpkurs“ haben es in sich. Doch der Weg bis hierher war nicht leicht. Enklajd stammt aus Albanien, dennoch studiert er hier in Deutschland. Er ist hergekommen, da ihn die Verlockung der „wirtschaftlichen Lokomotive Europas“ gereizt hat. „Ich dachte mir, es gibt kein besseres Land, das mir mehr Sicherheit und Möglichkeiten für mein Studium und meine Karriere bietet. Außerdem bin ich noch auf demselben Kontinent wie mein Heimatland.“ Und die Heimat bedeutet Enklajd viel. Den Wunsch Medizin zu studieren hatte er dort. Denn für ihn ist Medizin eines der wenigen Fächer, das viel Respekt in der Gesellschaft genießt und auch eines, bei dem man sich ziemlich sicher sein kann, nach dem Studium einen Job zu finden und nicht gerade schlecht zu verdienen. „Es gibt nur 2 Gründe, warum ich in Deutschland studieren wollte“, erklärt uns Enklajd. „Erstens musste ich nichts fürs Studium zahlen, die Regierung übernahm alles, und zweitens hab in den Rankings gelesen, dass sich hier einige der führenden europäischen Unis für Medizin befinden.“ © Enklajd Marsela
Doch eine einfache Entscheidung war es dennoch nicht, denn man muss viele Herausforderungen meistern und sich woanders ein Leben aufbauen. Enklajd wurden zwar die Studienbeiträge erlassen, doch zunächst einmal musste er intensiv Deutsch lernen. „Da ging’s schon los mit den Schwierigkeiten“, erzählt er. „Während sich fast alle meine Freunde im letzten Jahr des Gymnasiums auf die Vorbereitung der Abschlussprüfungen der Matura (=Abitur) konzentrierten, musste ich mich ziemlich intensiv mit einer ganz neuen, relativ schwierigen Sprache beschäftigen.“ Doch er meisterte die Hürde und schaffte es, einen Medizinstudienplatz in Deutschland zu ergattern. Kaum angekommen, hatte er weitere Schwierigkeiten mit der Anerkennung des albanischen Abiturs. „Ich musste ein Jahr im Studienkolleg verbringen, wie viele andere Ausländer auch, die in Deutschland studieren wollten, weil unser Matura in Deutschland nicht anerkannt wird. Erst nach diesem Jahr durfte ich mit dem Medizinstudium anfangen.“ Eine der größten Belastungen war es anfangs, alle bürokratischen Behördengänge ordnungsgemäß zu erledigen. Es musste eine Aufenthaltsgenehmigung her, Papiere sollten ausgetauscht werden und schließlich auch eine Unterkunft gesucht werden. „Die Zeit, in der ich nach einer Wohnung gesucht habe, kann ich ohne Zweifel als eine der schlimmsten Zeiten meines Aufenthaltes hier bezeichnen“, berichtet Enklajd. Auf nahezu jede Anzeige antworteten die Makler und Vermieter mit Misstrauen oder gar nicht. „Und das, obwohl ich ihnen schon im Voraus alle Garantien zeigte.“
Auch während des Studiums gibt es immer wieder Schwierigkeiten zu überwinden. „Obwohl ich davor gut Deutsch gelernt hatte, ist es für mich unglaublich schwierig, plötzlich so viel deutschen Stoff zu lernen und dann auch noch teilweise mündlich reproduzieren zu müssen, wie z. B. in den Anatomietestaten. Gleichzeitig ist es auch nicht so einfach, dabei nicht komplett mein soziales Leben zu vernachlässigen.“ Dennoch hat Enklajd das erste Semester des Medizinstudiums überstanden. Ohne die Unterstützung seiner Familie wäre er wohl schon nach einem halben Jahr oder früher zurück nach Albanien gegangen, ist er sich sicher. Enklajd konnte sich während der letzten paar Monate auch gut einleben und hat deutsche Freunde gefunden. Vorurteile hatte kaum einer. „Es war mir schon ganz am Anfang klar, dass sich unsere Kulturen deutlich voneinander unterscheiden und dass ich mich – wenn ich hier Freunde finden will – nach der deutschen Mentalität richten und mich integrieren muss. Das habe ich anscheinend ganz gut gemacht [...].“ Enklajd will sein Studium in Deutschland beenden und versuchen, hier erste Arbeitserfahrung zu sammeln. Doch sobald er akademisch gut ausgebildet und finanziell abgesichert ist, wird er „das erste Ticket nach Albanien buchen“, um dort seinen Beitrag zur Landesentwicklung zu leisten. „ Außerdem sind da alle Leute, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich hier die ganze Zeit vermisse.“
Eine ganz andere Geschichte als Enklajd erzählt uns die Französin Alice D. Auch sie ist nach Deutschland gekommen, um Medizin zu studieren. Bei ihr waren es allerdings Familienbande, die sie hierher brachten: „Ein Teil meiner Familie kommt ursprünglich aus Deutschland und ich wollte unbedingt zweisprachig werden.“ Daher fiel die Wahl zugunsten des Nachbarlandes nicht schwer. Ärztin wollte sie schon seit weit mehr als 10 Jahren werden: „Ich habe es immer sehr interessant gefunden, und es ist eine gute Kombination zwischen Wissenschaft und sozialer Tätigkeit.“ So war es ausgemachte Sache, als sich Alice letztes Jahr um einen Studienplatz in München bewarb. © Alice D.
Dabei hatte sie zum Glück weniger Schwierigkeiten als Enklajd. Ihr ist der Abschluss ohne Probleme anerkannt worden. „Ich musste nicht mal etwas übersetzen lassen; das macht die Uni selbst.“ Dennoch war auch Alice zu Anfang des Studiums überfordert. Ist es für deutsche Studienanfänger schon nicht so einfach, dem ersten Semester Herr zu werden, ist es für ausländische Studierende noch viel schlimmer. „Das System ist hier einfach ganz anders“, erklärt Alice. „Mir haben zum Glück schnell Leute geholfen [...]. In der Einführungswoche erklärten uns zudem unsere Tutoren aus dem dritten Semester sehr viel.“
Auch die Sprachbarriere war für Alice gar nicht so schlimm wie anfangs gedacht. „Da ich in der Schule 7 Jahre Deutschunterricht hatte und in der 10. Klasse auch schon einmal für drei Monate in Berlin war, war mein Deutsch ganz gut.“ Doch die Anatomievokabeln musste auch sie erst einmal büffeln. „Es war schon anstrengend am Anfang, aber das schafft man. Es dauert ja auch nicht so lange. Und den Lateinteil mussten sowieso alle lernen.“ Doch als Französin konnte sie trotzdem einen kleinen Vorteil für sich verbuchen: „Die französischen Begriffe sind zumeist aus dem Lateinischen und deswegen konnte ich diese Begriffe schneller verstehen und lernen als meine deutschen Kommilitonen. Außerdem hatte ich in der Schule alle meine Fächer bis zum Abitur. Chemie zum Beispiel hatte ich 7 Stunden pro Woche letztes Jahr, und viele Deutsche haben Chemie früh abgewählt. Das war auch ein Vorteil für mich, der mir erlaubt hat, mehr Zeit zu investieren, um den Rest zu lernen.“ „Lustig war auch, dass alle sofort eine Assoziation mit meiner Heimatstadt Dijon verbanden: Da kommt der Senf her.“ Alice gefällt es in Deutschland mittlerweile so gut, dass sie nicht mehr vorhat, nach dem Studium in ihr Heimatland Frankreich zurückzukehren. „Für eine Famulatur schaue ich aber gerne noch mal vorbei.“
Unsere letzte Interviewpartnerin kommt aus der Türkei, genauer gesagt aus Istanbul. Cansu Celiker ist vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen, um hier ihr Medizinstudium zu beginnen. Sie wollte schon immer im Ausland studieren. Der Traum, „eine ganz andere Kultur kennenzulernen“ lockte sie nach Deutschland. „Ich wollte andere Erfahrungen sammeln, einen Blick über den Tellerrand werfen und mit neuen Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt Kontakt haben.“ Da Cansu schon in Istanbul auf ein Gymnasium gegangen ist, an dem sie Deutsch gelernt hat, war Deutschland als Standort naheliegend. „Ich wusste schon, dass Deutschland im Fach Medizin ziemlich fortgeschritten ist. Im Studium wollte ich nebenbei auch meine deutschen Sprachkenntnisse verbessern. So war es klar, dass ich hierher komme.“ © Cansu Celiker
Auch Cansu wollte schon als kleines Mädchen Ärztin werden und mit dem Medizinstudium den Menschen vom biologischen Standpunkt aus kennenlernen, „sodass ich diese Kenntnisse in der Zukunft für einen humanitären Zweck nutzen kann.“ Doch auch bei ihr ließen die Schwierigkeiten und Probleme anfangs nicht auf sich warten. Cansu konnte zwar einigermaßen Deutsch, doch „von der Jugendsprache bzw. dem Straßendeutsch hatte ich keine Ahnung.“ Anfangs war es etwas schwierig für sie, sich in den Alltag einzuleben und anzupassen. Doch diese Hürde hat sie gemeistert. Trotzdem kamen andere Sorgen dazu: „Als Türkin in München ist es nicht einfach, Anerkennung zu bekommen. Es gab schon Fälle, wo ich ungerecht behandelt wurde. Aber man muss solche Hürden für sich als eine Herausforderung sehen, sich selbst etwas zu beweisen.“
Auch die umfangreichen mündlichen Prüfungen und deutschen Medizinklausuren mit ihren manchmal sprachlich sehr spitzfindigen Fragen hat Cansu bestanden. „Im Medizinstudium lernt man jedes Semester etwas Neues und es wird nicht leichter“, erklärt Cansu. „Ich war oft von der Stoffmenge überfordert und enttäuscht, wenn es nicht so klappte, wie ich wollte. Doch dann bin ich auf meine Fehler beim Lernen eingegangen, wurde organisierter, habe mir mehr Struktur verschafft und mir mehr Zeit für die Wiederholung gelassen.“ Doch das Wichtigste, was sie in dieser Zeit gelernt hat, war, sich selbst zu motivieren. So schaffte Cansu es, die Semester zu überstehen und besser zu werden. Mit jedem Wort Deutsch, dass sie mehr konnte, wurde es einfacher zu lernen. Auch deutsche Freunde hat sie schnell gefunden. Unterstützung bekam Cansu in dieser Zeit auch von ihren Eltern: „Meine Familie ist meine größte Hilfe gewesen. Meine Eltern arbeiten beide als Ärzte in Istanbul. Somit hatte ich den Vorteil, auch ein wenig von ihren medizinischen Kenntnissen zu profitieren.“ Doch ob Cansu nach dem Studium in Deutschland bleiben wird, weiß sie noch nicht. „Mal sehen, was kommt. Meine Facharztausbildung werde ich auf jeden Fall noch hier machen.“
Enklajd, Alice und Cansu könnten verschiedener nicht sein. Doch alle drei sind ihren Weg in Deutschland gegangen. Ein paar Tipps können sie ihren ausländischen Kollegen auch mit auf den Weg geben. „Wenn man im Medizinstudium gut lernt und auch noch Selbstvertrauen hat, gibt es nichts, was man nicht schaffen kann. Man sollte engagiert und entschlossen sein und nie aufhören, sich selbst zu motivieren“, rät Cansu. Alice stimmt ihr zu: „Ich würde sagen, man muss es sich zwar gut überlegen und sollte früh anfangen, sich auf die potenziellen Probleme vorzubereiten. Aber was auch wichtig ist, ist zu wissen, dass das Studium wirklich ein Abenteuer ist. Ich bin am Ende so froh, es gemacht zu haben und kann es nur jedem empfehlen.“ Und auch Enklajd gibt den Tipp, stark zu sein: „Man gehört als Nicht-Deutscher der Gruppe an, die sich wegen der vielfältigen anderen Probleme (Sprache, Wohnungssuche, Heimweh, etc.) am einfachsten durch den riesigen Druck in der Medizin brechen lässt. Dagegen muss man sich wehren und nicht gleich aufgeben [...].“