Mit den Plänen der Ampel wird sich auch in der Gynäkologie einiges ändern. Wenn ich mir zu Weihnachten also etwas für die Zukunft wünschen dürfte, hätte ich gleich drei Wunschzettel.
Der Alltag in einer gynäkologischen Praxis ist voller heißer Eisen und im Laufe der Jahre kommt zwangsläufig die Auseinandersetzung mit der Medizinethik hinzu. Auch wenn Ärzte in erster Linie diagnostizieren, therapieren und informieren – die eigene Überzeugung in den ganz wesentlichen Dingen, die das Leben ausmachen, lässt sich nicht immer im weißen Kittel verstecken. Wir bleiben Menschen mit einer persönlichen Lebensgeschichte, mit unterschiedlichen Prägungen und Überzeugungen. Professionelle Zurückhaltung ist meist geboten, nicht immer machbar, doch Wünschen darf sein, besonders kurz vor Weihnachten.
In Deutschland werden um die 100.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr durchgeführt. Seit 1995 gilt die angepasste Beratungslösung. Nach Paragraph 218 ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland rechtswidrig, durch die Ausnahmeregelungen wird Straffreiheit gewährt. Nach Paragraph 219a dürfen Ärzte Abbrüche in ihrem Leistungsspektrum anbieten, aber ohne Nennung der Methode. Nahezu 96 % der Abbrüche fallen unter die Beratungsregel. Vorausgesetzt, die 12. Schwangerschaftswoche ist noch nicht vollendet, es wurde eine anerkannte Beratungsstelle aufgesucht und es wurden drei Tage Bedenkzeit eingehalten.
Bei knapp 4 % der Fälle wird eine medizinische Indikation zugrunde gelegt, die keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt. Hierunter finden sich Abbrüche, bei denen die Kinder eine Behinderung haben oder die Mutter sich in einer medizinischen Notlage befindet. Weniger als 1 % werden aus kriminologischer Indikation durchgeführt, vorausgesetzt die 12. Schwangerschaftswoche ist noch nicht vollendet. Die Studienlage über die psychischen Folgen nach einem Schwangerschaftsabbruch ist widersprüchlich. Es gibt umfassende Arbeiten, die eine mentale Beeinträchtigung der betroffenen Frauen erkennen lassen, andere sehen dagegen keine erhöhte Risikosituation.
Die Ampel-Koalition plant Änderungen in der Rechtslage und eine Erweiterung des Versorgungsangebots bei der Durchführung. Ein Vorstoß zu letzterem Punkt fand bereits im vergangenen Jahr statt: Politiker forderten die Bereitschaft, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen als Voraussetzung für eine Facharztausbildung an einer Universitätsklinik. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat darauf prompt reagiert:
„Die Entscheidung, an einem Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen, stellt das medizinische Personal vor große ethische Herausforderungen. […] Eine Abtreibung ist zumindest nach Überzeugung Vieler die Beendigung eines Lebens. Das muss jede(r) Beteiligte vor seinem/ihrem Gewissen rechtfertigen. Gefahr für Leben und Gesundheit der Schwangeren, auch für die soziale und psychische Gesundheit, können eine Rechtfertigung sein, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Jedes Individuum wird bei dieser Abwägung zu einer persönlichen Entscheidung kommen. Aber diese Abwägung muss nach dem Wertesystem, auf das sich unser Staat bezieht, jedem einzelnen Menschen in freier Entscheidung möglich sein. Das gilt für ÄrztInnen genauso wie für das Pflegepersonal oder alle anderen Beteiligten.
Dieses Recht einer persönlichen Entscheidung kann nicht als Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag entzogen werden. […] ÄrztInnen den Zugang zu dieser Karriere verwehren zu wollen, weil ihre Gewissensentscheidung die Teilnahme an einem solchen Eingriff nicht zulässt, ist unerhört.“
Weiterhin betont die DGGG in ihrem Schreiben, dass Schwangerschaftsabbrüche, die als Hilfe für Frauen in Not verstanden werden, nicht als gesellschaftlicher Makel gelten dürfen. Sie sind in der gesetzlich festgelegten Form in Deutschland zulässig. Ungewollte Schwangerschaften seien meist, so die DGGG, ein Versagen der Verhütung, die paradoxerweise so niederschwellig wie nie zuvor erhältlich ist. Gefordert wird mehr Aufklärungsarbeit über sichere Verhütungsmittel, beispielsweise an Schulen.
Leider spielen sich Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegner nicht immer so konstruktiv wie in dem ZDF-Beitrag 13 Fragen ab. Gegenseitige Wertschätzung und Fairness sind hier exemplarisch erlebbar.
Im persönlichen Praxisalltag werden die Situationen und vor allem die zugrundeliegenden Beweggründe sehr unterschiedlich erlebt. Zwei Beispiele, die ich dieses Jahr erlebt habe:
Mittels einer einfachen Blutabnahme können Schwangere seit 2012 den frühen Nachweis einer möglichen chromosomalen Veränderung ihres Kindes feststellen lassen. Durchgeführt wird der Test ab der 10. Schwangerschaftswoche und soll ab 2022 zur Kassenleistung werden. Es geht vornehmlich um den Nachweis von Trisomien der Chromosomen 21, 18 und 13 sowie Anomalien in der Anzahl von Gonosomen.
Doch dabei wird es nicht bleiben. „Unser NIPT Special ist aktuell weltweit der einzige Pränataltest, der auf Mukoviszidose, spinale Muskelatrophie, Sichelzellkrankheit und Thalassämien screent“, so eine Werbung im Internet.
Es wird in Zukunft sicher noch mehr Marker für mögliche Normabweichungen bei Ungeborenen geben. Für genetische Komponenten spricht mittlerweile viel bei einigen Krebserkrankungen oder verschiedenen psychischen Beeinträchtigungen. Außerdem ist vielen nicht bewusst, dass die Chromosomenstörungen nur einen im Vergleich geringen Anteil an kindlichen Fehlbildungen ausmachen.
Prinzipiell muss man sich verschiedene Anwendungsszenarien bei der Beratung vor Augen halten:
Bei einem auffälligen Befund kann sich die Familie entweder auf die Erkrankung ihres Kindes vorbereiten oder einen Abbruch erwägen, wenn sie sich der Situation nicht gewachsen fühlt.
In der Schwangerenvorsorge fällt häufig, vorwiegend beim Ultraschall, die Aussage: „Hauptsache gesund!“ Das wünscht sich verständlicherweise jeder. Eine Garantie für ein gesundes Kind gibt aber keine noch so gewissenhafte Schwangerschaftsvorsorge oder perfekte Geburtshilfe. Krankheit und Behinderung können auch noch Jahre später das Leben von Familien auf den Kopf stellen. Spätestens dann muss das soziale Netz an Hilfsangeboten funktionieren und es gilt, das Beste aus der Situation zu machen.
Auch da ist viel passiert in den letzten Jahren und das ist gut so. Zahlreichen Familien kann heute der Wunsch nach einem eigenen Kind erfüllt werden. Aber auch hier sind wir längst nicht am Ende aller Möglichkeiten. Noch sind Leihmutterschaft und Eizellspende in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz verboten. Eine geplante Reform wurde von politischer Seite bereits in Betracht gezogen.
Einerseits ist die individuelle Fortpflanzungsfreiheit ein hohes Gut. Andererseits fürchten Experten eine Kommerzialisierung und Ausbeutung gerade von sozial weniger begünstigten Frauen, die sich aus finanziellen Motiven als Spenderinnen bereit erklären. Psychologische Aspekte für das Kind, das sich im Falle einer Eizellspende mit einer gespaltenen Mutterschaft auseinander setzten muss, können nicht unerheblich sein. Bei der Leihmutterschaft wird es noch komplizierter, da verschiedene Konstellationen möglich sind. Die Leihmutter kann zum einen die befruchtete Eizelle eines Wunsch-Elternpaares austragen oder sie kann selbst ihre Eizelle für die Schwangerschaft zur Verfügung stellen. Der genetische väterliche Anteil kann vom Wunsch-Vater oder aus einer Samenspende stammen.
Nicht zu vernachlässigen dabei sind die Interaktionen zwischen einer Schwangeren und dem Ungeborenen. Man weiß, dass Neugeborene auf die vertraute Stimme der vermeintlichen Mutter reagieren und dass sich während einer Schwangerschaft epigenetische Vorgänge ereignen.
Weder überalterter Konservatismus noch supermoderner Aktivismus sind erstrebenswert. Bei ethisch anspruchsvollen Fragestellungen sind eine empathische Vorgehensweise und ein möglichst umfassender Expertenrat gefragt. Wichtig ist ein gegenseitig wertschätzender und fairer Austausch zwischen den unterschiedlichen Argumentationslagern.
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