„Was soll ich denn machen? Ich kann nicht NOCH mehr!“ Das höre ich derzeit von vielen Kollegen. Es fehlt einfach an allem: Ärzten, Zeit und Zusammenhalt. Eine Lösung habe ich leider auch nicht. Aber Ideen.
Ich sehe momentan eine Entwicklung, die mir echt Sorgen macht. Und zwar durch die akut auf chronische Überlastung, die viele Ärzte empfinden. Wovon ich spreche? Von Patienten, die nur noch verwaltet werden – oder am liebsten gleich weg überwiesen oder sogar eingewiesen.
Schon seit Jahren finde ich, dass immer häufiger Patienten nach einem Schema abgearbeitet und dann mit einem (oft aus Textbausteinen bestehenden) Standard-Brief weitergeschickt werden. Leider behandeln viele dieser Briefe nicht das Problem des Patienten, sondern haken nur die Liste der auszuschließenden Erkrankungen ab (ich schrieb hier darüber).
Im Rahmen der pandemischen Akut-Überlastung wird es jetzt noch heftiger. Und weil keiner mehr Ressourcen hat, versuchen einige, die Ressourcen anderer anzuzapfen. Im Endeffekt ein Zeichen der Mängelverwaltung. Das geht in alle Richtungen. Einerseits die schnellen, sogenannten blutigen Entlassungen aus dem Krankenhaus. Patienten werden nach Operationen so schnell entlassen, dass die Wunden kaum verheilt sind und wir 2–3 x wöchentlich eine Wundkontrolle machen müssen. Oder noch Diagnostik komplettieren, weil es einfach in der kurzen Zeit im Krankenhaus nicht möglich war.
Um das ganz klarzustellen: Mir ist klar, dass das politisch/fiskalisch so gewollt ist und viele Kollegen im Krankenhaus mit dieser Situation genauso unglücklich sind wie wir. Oft bemühen sich zumindest bei uns auch die stationären Kollegen, die weiteren Sachen zumindest zu organisieren, aber auch bei ihnen fehlen oft Zeit und Kraft.
Andererseits gibt es genauso die vorschnellen Über- oder gar Einweisungen, bei denen Hausärzte gar nicht mehr versuchen, selbst Probleme zu lösen. Stattdessen landen dann teilweise echte Bagatellen beim Organspezialisten oder gar in der Notaufnahme. Die Folge: Frust bei allen Beteiligten.
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Auch da: Ich glaube nicht, dass die meisten Kollegen das einfach mal so machen. Wenn ich mich mit Kollegen darüber unterhalte, höre ich vor allem ein „Was soll ich denn machen? Ich kann nicht NOCH mehr!“ als Hauptbegründung.
Es ist schon seit Jahren Hausarztmangel (gerade hier auf dem Land) mit hohen Belastungen, dazu kommt das Pandemie-Management, ständig wechselnde Vorgaben und jetzt seit Anfang April noch die ganzen Impfungen, die ja zusätzlich zum Tagesgeschäft dazukommen. Viele Praxen arbeiten schon jetzt so lange am Anschlag, dass das Personal (vor allem die MFAs) echt am Stock gehen.
(An dieser Stelle: MFAs gehören für mich auch zu den oft unerkannten Pandemie-Helden, weil sie sich oft mit den ganzen Fragen und Anfeindungen abgeben müssen, die sich viele Patienten bei uns Ärzten gar nicht trauen würden. Deswegen dafür nochmal ein riesiges Dankeschön an alle, die sich das weiterhin geben!)
Durch den ganzen Stress kommt es auch immer mehr zu Streitereien – auch zwischen den Arztpraxen (aktuell wieder erlebt: Wer macht Weihnachtsurlaub? Und wer vertritt in der Zeit und versorgt die Patienten?). Da immer wieder Ruhe reinzubringen und immer wieder das Miteinander zu betonen, fällt manchmal schwer.
Dabei ist es gerade jetzt so unendlich wichtig. Denn sonst geht noch mehr Energie verloren – in unnötigen Streitereien. Leider ist aktuell keine Entspannung in Sicht; im Gegenteil: Mit Omikron droht nochmal eine riesige Belastung, bevor es dann hoffentlich im Frühjahr endlich mal besser wird. Aber ja, wir brauchen dringend mehr Unterstützung, vor allem personell. Damit dieser Domino-Effekt endlich aufhört, bei dem ein Teil des Systems überlastet und dann immer mehr Patienten zu einem anderen Punkt im System schiebt, der dann als nächstes überlastet. So können wir keine gute Medizin mehr machen, sondern sind nur noch Patienten-Verwalter, die zur Vermeidung der eigenen Überlastung Patienten abschieben. Das möchte niemand, denn es ist meiner Erfahrung nach extrem unbefriedigend und auch für den Patienten gefährlich, weil sich niemand mehr wirklich zuständig fühlt.
Die Lösung? Habe ich leider aktuell selbst nicht. Zumindest hier lokal würde ich sagen, dass uns einfach noch 1–2 Arztpraxen fehlen, damit der Druck durch die zahlreichen Patienten etwas besser aufgefangen wird. Denn wenn auf einen Schlag plötzlich 20 Patienten in die Praxis kommen, hat man leider keine Zeit für eine ausgiebige Anamnese, weil da eben noch 19 andere Patienten warten, die auch versorgt werden wollen. Aber woher nehmen wir die Ärzte dafür? Wer bezahlt die zusätzlichen Studienplätze? Vielleicht könnte man auch einige Aussteiger wieder als Ärzte ans Krankenbett zurückholen – aber nicht zu diesen Arbeitsbedingungen.
Deswegen bleibt mir (gerade für die aktuelle Situation) nur ein musikalischer Trost (vor allem für diejenigen, die gerne Rockballaden mögen) – das Lied „Lost in your Memory“ von Threshold in dem es heißt: „Halt durch, nimm Dich zusammen – es gibt noch Schönes zu sehen! Halt durch, all dies wird ein verblasstes Foto werden, verloren in Deiner Erinnerung.“
In diesem Sinne: Haltet durch und einen guten Start ins neue Jahr!
Bildquelle: Bradyn Trollip, unsplash