Im neuen Jahr mit dem Rauchen aufzuhören: Das ist ein Wunsch vieler Patienten. Erfahrt hier, wie ihr als Ärzte unterstützen und beraten könnt.
[S = {> S < N ø R }], so könnte die Formel für die Silvesternacht lauten: mehr Sport, weniger Naschen und kein Rauchen mehr. Beim Jahresübergang zwischen Sekt, Fondue und Konfetti fassen viele Feierlaunigen gute Vorsätze. Mit dem Rauchen aufzuhören, steht für viele ganz oben auf der Liste.
Wie fühlt sich ein Raucher nach einer Zigarette? So, wie sich ein Nichtraucher immer fühlt! Ein Glimmstängel wird meist als Belohnung vom Raucher „genossen“. Nach dem Meeting, zum Kaffee, beim Feierabend. Auch wenn Nikotin der Stoff ist, der zur Sucht führt, setzt Rauchen im Belohnungssystem Stoffe wie Endorphine und Dopamin frei. Zwischen den Zigaretten fällt der Spiegel der Neurotransmitter ab. Der Konsument kompensiert dies mit der nächsten Zigarette. Man raucht also nur, um dem Entzug entgegenzuwirken. Ein Nichtraucher muss nichts kompensieren. Nüchterne Biopharmakologie, aber drastische Rauchrealität.
In Deutschland sterben jährlich rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Der Gesetzgeber versucht, mit schaurigen Bildchen auf der Zigarettenpackung den Konsum zu mindern. Ob ein offenes Bein oder die Drohung der Unfruchtbarkeit dabei helfen, darf in Frage gestellt werden.
Die Liste der Methoden zur Raucherentwöhnung ist lang: Hypnose, Akupunktur, Homöopathie, Nikotin als Kaugummi, Spray oder Pflaster. Daneben gibt es zahlreiche Pharmaka, die im Belohnungssystem als Spaßbremse wirken.
Doch kaum eine Präventionsmaßnahme ist wirksamer, als das Rauchen aufzugeben. Starke und langjährige Raucher stehen im Fokus einer Bundesinitiative. Unterstützt wird sie von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Bundesärztekammer, der KBV, dem GKV-Spitzenverband, dem Verband der Privaten Krankenversicherung, dem Aktionsbündnis Nichtrauchen, der Deutschen Krebshilfe und dem Deutschen Krebsforschungszentrum. Mit der Kampagne „Deine Chance“ hilft ein Ersparnisrechner als Motivator.
Im Kopf des angehenden Nichtrauchers werden positive Bilder erzeugt: „140 Tage nicht rauchen, schon hast du neue Fahrräder für die Familie.“ Die Kommunikation ist modern und zielt weniger auf gesundheitliche Abschreckung. Das alte Marketingmotto Du sollst nicht den Hammer verkaufen, sondern das Loch in der Wand wird hier als Grundlage verwendet. Der Hammer, um beim Bild zu bleiben, sind neben Fahrrädern (Spaß, gesund, frische Luft) u. a. auch „endlos streamen“ (Aktivierung des Belohnungssystems, Geselligkeit, Fernsehen). Zur Verfügung steht eine Gratishotline, Infomaterial zum Download und zahlreiche weitere Angebote. Toll gemacht!
Auf dem Interdisziplinären Wundkongress (IWC) im November 2021 wurde Rauchen warnend als „gefäßmedizinischer Super-GAU“ bezeichnet.
Rauchen ist ein wichtiger beeinflussbarer Risikofaktor für arteriosklerotische Systemerkrankungen, mit der Folge von Herzinfarkt, Schlaganfall, Amputation und Tod. Arteriosklerose entsteht zwar auch durch den normalen Alterungsprozess, kann aber durch Rauchen beschleunigt oder gar ausgelöst werden. „Primär verantwortlich für die Schädigung des Gefäßsystems sind die Verbrennungsschadstoffe im Zigarettenrauch, nicht das Nikotin“, stellte Prof. Martin Storck in diesem Zusammenhang klar. Storck ist Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie des Städtischen Klinikums Karlsruhe. Die Gefäßmediziner kritisieren den mangelnden Einsatz der Gesundheitspolitik und geben klare Handlungsempfehlungen zum Rauchstopp.
Jeder vierte Deutsche über 14 Jahre greift regelmäßig zur Zigarette. Die meisten der in der Gefäßmedizin behandelten Patienten sind Raucher. Sie nehmen bewusst die daraus resultierenden Risiken wie Amputation, tödlicher Herzinfarkt und Schlaganfall oder einen Kathetereingriff in Kauf, so die warnenden Worte der Gefäßchirurgen. Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG) rät zu einer objektiven Aufklärung über die Möglichkeiten einer Verbrennungs-Zigarettenentwöhnung mit Hilfe etablierter Maßnahmen wie E-Zigaretten, Tabakerhitzern oder einer medikamentösen Nikotinersatztherapie, wenn die Entwöhnung ansonsten nicht gelingt.
Die DGG ist ein Fan von E-Zigaretten, falls es mit dem totalen Rauchverzicht nicht klappt. Die Gesellschaft prangert an, dass E-Zigaretten immer noch nicht als wirksames Mittel zur Tabakentwöhnung anerkannt sind.
Daten des Bundesamts für Risikobewertung (BfR) und von anderen internationalen Institutionen zeigen, das mit E-Zigaretten bis zu 95 Prozent weniger Schadstoffe im Vergleich zu einer normalen Zigarette aufgenommen werden. E-Zigaretten als Ersatz für Verbrennungszigaretten könnten innerhalb von zehn Jahren mindestens 6,6 Millionen vorzeitige Todesfälle verhindern. Andererseits warnt das BfR aber auch, besonders im Hinblick auf schädliche Zusatzstoffe, die in E-Zigaretten enthalten sein können.
Die in den Verdampfungsflüssigkeiten (Liquids) enthaltenen Stoffe wie Diacetyl, CBD, Guarkernmehl, Sorbitol u. a. können zu gesundheitlichen Schäden führen.
Die Autoren der aktuellen S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“ haben verschiedene Interventionen bewertet.
In der Hektik des Praxisalltags können Kurzberatungen in wirksames Werkzeug zur Raucherentwöhnung sein. Besonders die 5A-Methode und, noch kürzer, die ABC-Methode werden mit der höchstens Evidenznote bewertet.
Den Einsatz der Produkte zur „Harm Reduction“ lehnen die Leitlinienautoren deutlich ab. Bei diesem Ansatz rauchen die Patienten sowohl Zigaretten (wenn auch weniger als üblich) als auch die E-Version. Hierbei entstehen teilweise höhere Schadstoffmengen als beim alleinigen Konsum von Standardzigaretten, auch nehmen die Dual User möglicherweise mehr Nikotin auf. Positive Wirkungen etwa auf Herz und Lunge sind nicht nachgewiesen, allerdings auch keine negativen.
Mit Tabakerhitzern inhalieren die Raucher über ein Filtersystem ein Aerosol aus erhitztem Tabak und verschiedenen Zusatzstoffen wie Glycerin. Die aufgenommene Nikotinmenge ist ähnlich wie beim Zigarettenrauchen. Daher ist das Suchtpotenzial vermutlich vergleichbar. Außerdem enthält der Dampf teils karzinogene Schadstoffe. Die Leitlinie spricht weder eine Empfehlung noch eine Ablehnung für diese Methode aus.
Die Nikotinersatztherapie wird mit dem Empfehlungsgrad A klar favorisiert. Starke Raucher können auch mehrere Applikationsformen (beispielsweise Pflaster plus Sublingualtablette) kombinieren. Das steigert die Erfolgsaussichten beim Abgewöhnen, wie eine Metastudie der Cochrane-Kollaboration nahelegt. Die Studienautoren werteten dafür 63 Studien mit insgesamt 41.500 entwöhnungswilligen Rauchern aus. Die Teilnehmer nutzten nach Stopp der Zigaretten verschiedene Nikotinersatz-Mittel wie Pflaster, Lutschpastillen, Kaugummi oder Sprays.
Es kommt weniger auf die Art des Nikotin-Ersatzes an, als vielmehr auf die Menge und Kombination. Die Erfolgsraten sechs Monate nach dem Rauchstopp waren in der Studie für alle Verabreichungsformen etwa gleich hoch. Es macht also keinen Unterschied, ob man das Ersatz-Nikotin kaut, lutscht oder über die Haut aufnimmt. Auch ob diese Hilfsmittel ihr Nikotin schnell oder langsam freisetzen, scheint für den Erfolg keine Rolle zu spielen.
Nikotinkaugummis sind wirksamer, wenn sie vier statt nur zwei Milligramm Nikotin enthalten. Bei Nikotinpflastern scheint die optimale Dosis bei 20 bis 25 Milligramm zu liegen. Sie führte zur höchsten Rate von erfolgreichen Nichtrauchern, die sich auch durch doppelten Nikotingehalt nicht mehr steigern ließ. Beim Kauen sollte übrigens keine Cola-Getränke getrunken werden. Der saure pH-Wert (Phosphorsäure) hemmt die Freisetzung des Nikotins.
Für den Entzug der ersten Tage scheint es zu helfen, wenn man schon am Tag vor dem Rauchstopp ein Nikotinpflaster verwendet. Offenbar sorgt dies für eine Art Vorratseffekt, der die akute Rauchlust am ersten Tag dann mildert.
Für die Raucherentwöhnung zugelassene Arzneimittel, wie das Antidepressivum Bupropion und der Nikotinagonist Vareniclin, erhalten von den Autoren ebenfalls eine gute Note. Andere Substanzen wie Nortriptylin, Cytisin und Clonidin stellen allenfalls Medikamente der zweiten Wahl dar und sind außerdem in Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen.
Arzneimittel, die hauptsächlich dazu dienen, die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen, schließt die Krankenkasse von der Erstattung aus (§ 34 SGB V Abs. 1 A). Darunter fallen auch Arzneimittel zur Rauchentwöhnung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) argumentiert: „Da es sich dabei um Arzneimittel handelt, deren Einsatz im Wesentlichen durch die private Lebensführung bedingt ist, ist jeder Verbraucher für deren Finanzierung selbst verantwortlich.“ Somit zahlen Raucher Nikotinersatzpräparate oder andere Arzneimittel, die ihre Rauchentwöhnung unterstützen sollen, selbst.
Die Arzneimittel Bupropion und Vareniclin sind rezeptpflichtig, dennoch aber nicht erstattungsfähig. Sie fallen nicht unter die First-Line-Therapie zur Rauchentwöhnung, sondern sollen erst dann zum Einsatz kommen, wenn eine Nikotinersatztherapie erfolglos geblieben ist.
Da Tabakrauch durch Induktion des Cytochrom-P450-Isoenzyms 1A2 (CYP1A2) die Pharmakokinetik einiger Arzneistoffe beeinflusst, kann es in der Entwöhnungsphase zu Nebenwirkungen aufgrund erhöhter Arzneistoffkonzentrationen kommen.
Raucherentwöhnungsmittel greifen in das neurochemische Mobile ein und interagieren mit zahlreichen Neurotransmittern. Außerdem können sie pharmakokinetische und dynamische Wechselwirkung mit anderen Arzneimitteln auslösen. Ein kleiner Überblick:
Das amphetaminartige Antidepressivum Bupropion senkt die Krampfschwelle und ist daher bei Epilepsie kontraindiziert. Aus diesem Grund sollte es auch nicht mit Stoffen kombiniert werden, die ebenfalls die Krampfschwelle senken.
Obwohl es nur in geringem Maße über CYP2D6 metabolisiert wird, inhibiert es dieses Isoenzym. Es kann auf diesem Weg Wirkspiegel von Metoprolol, Nebivolol, Propafenon, Flecainid und einer Vielzahl von Psychopharmaka zum Teil gefährlich erhöhen. Ein Interaktionscheck kann auf der Homepage von Drugs.com vorgenommen werden.
Vareniclin agiert als partieller Agonist des α4 β2-Nicotin-Acetylcholin-Rezeptors. Dies bedeutet, dass es sowohl agonistische als auch in Gegenwart von Nikotin antagonistische Eigenschaften besitzt. Eine Kombination mit Nikotinersatzpräparaten ist also nicht sinnvoll!
Vareniclin ist ein partieller Agonist, der wie Nikotin hochspezifisch an den nikotinergen α4β2-Acetylcholinrezeptor bindet. Er stimuliert die Ausschüttung von Dopamin, was den Rauchstopp einfacher machen soll. Eingesetzt wird es über 12 bis 24 Wochen.
Der Hersteller hat in mehreren Chargen seines Raucherentwöhnungsmittels zu hohe Nitrosamin-Gehalte gefunden und ruft die betroffenen Chargen zurück. Das Problem scheint grundlegend zu sein, denn es wurden vorsorglich weitere Versorgungsengpässe angekündigt. N-Nitroso-Vareniclin gehört zu den Nitrosaminen, die als potenziell krebserregend eingestuft werden.
Das Antidepressivum Agomelatin wirkt als melatoninerger Agonist. Es wirkt als Agonist an Melatonin-Rezeptoren (MT1 und MT) sowie als Antagonist an 5-HT2c-Rezeptoren und führt zu einer Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin speziell im präfrontalen Cortex.
Außerdem resynchronisiert es die gestörte zirkadiane Rhythmik, ohne zu sedieren. Agomelatin wird hauptsächlich durch CYP1A2 und durch CYP2C9/2C19 metabolisiert. Arzneimittel, die mit diesen Isoenzymen interagieren, können die Bioverfügbarkeit von Agomelatin entweder vermindern oder verstärken. Die gleichzeitige Gabe mit starken Inhibitoren wie Fluvoxamin und Ciprofloxacin sind daher kontraindiziert.
Die Kombination von Agomelatin mit Östrogenen führt zu einer mehrfach erhöhten Agomelatinserumkonzentration; die gleichzeitige Anwendung von mäßigen CYP1A2-Inhibitoren wie Propranolol, Grepafloxacin, Enoxacin u. a. sollte mit Vorsicht erfolgen. Agomelatin induziert oder hemmt CYP450-Isoenzyme nicht. Daher hat es keinen Einfluss auf die Wirkung anderer Arzneimittel, die durch CYP 450 metabolisiert werden.
Auch der Verzicht oder die Reduktion von Nikotin kann zu Arzneimittelinteraktionen führen. Nikotin greift in den Metabolismus zahlreicher Arzneimittel ein. Wird im Rahmen eines Entzuges darauf verzichtet, verändert sich der Stoffwechsel bisher eingenommener Medikamente.
Benzodiazepine wie Alprazolam, Lorazepam, Oxazepam und Diazepam werden bei Rauchern schneller abgebaut. An diesen Wirkstoffspiegel ist der Patient gewöhnt. Bei einem Rauchstopp werden die Benzodiazepine langsamer abgebaut und es kann zu Hangover-Effekte kommen. Die Dosisreduktion der Benzodiazepine sollte schrittweise erfolgen, um dem Tabakentzug nicht einen Benzodiazepinentzug hinzuzufügen. Alrazolam beispielsweise wird um 50 Prozent gemindert abgebaut.
Wer sich vornimmt, im neuen Jahr nicht mehr zu rauchen, könnte also lieber zu einer Tafel Schokolade statt zur Kippe greifen. Ach ne, das harmoniert ja auch wieder nicht mit meiner Formel vom Einstieg. Und leider gilt auch: Neben Rauchen ist Adipositas eine der häufigsten Ursachen für Krankheiten und verkürzte Lebenserwartung.
Man kann eben leider nicht alles haben. Wünsche, wohl gerutscht zu sein! Übrigens: Der Wunsch nach einem „guten Rutsch“ zum Jahreswechsel hat nichts mit einer glatten Oberfläche zu tun. Der Rutsch stammt ursprünglich aus dem Hebräischen „Rosch“ und bedeutet Anfang.
Bildquelle: Jonathan Kemper, unsplash.