Konservativ oder invasiv? Das ist die Gretchenfrage bei subakuten und chronischen Schulterbeschwerden. Mehrere aktuelle Studien geben hier Orientierung – und wir einen Überblick.
Anhaltende, nicht akute Schulterbeschwerden gehören zu den undankbareren orthopädischen Problemen des mittleren Erwachsenenalters. Bei Orthopäden sind die Schultern statistisch das dritthäufigste Gelenk, das Zicken macht. Aber auch in der Primärversorgung sind Schulterpatienten Alltag. Schulterschmerzen können die Lebensqualität deutlich einschränken, ihr Verlauf lässt sich aber nur begrenzt vorhersagen. Entsprechend schwer fällt die Entscheidung, was den Betroffenen empfohlen werden sollte – zumal ohne akutes Trauma die genaue Pathogenese oft unklar bleibt. Die adhäsive Kapsulitis, im Englischen „frozen shoulder“, steht neben degenerativen (Teil-) Rupturen der Rotatorenmanschette, Impingement-Syndromen und anderen Pathologien, die sich, wie immer in der Medizin, auch überlappen können.
Eine umfassende Leitlinie zum Schulterschmerz gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. Seit 2017 liegt immerhin eine S2e-Leitlinie „Rotatorenmanschette“ vor, die aber operative bzw. invasive Verfahren stark fokussiert und sich, der Name ist Programm, nur um die Rotatorenmanschette kümmert. Die Probleme in der Primärversorgung fangen aber vor der Operation an. Weitgehend Konsens ist, dass die subakute/chronische Schulter primär konservativ versorgt wird, mit Physiotherapie und/oder nicht-steroidalen Antirheumatika. Allerdings gesellen sich diverse mehr oder weniger invasive Alternativen und Ergänzungen zum konservativ-orthopädischen Programm dazu, von der ein- oder mehrmaligen Steroidinjektion bis hin zu unterschiedlichen arthroskopischen Verfahren. Die Frage ist: Wann sind sie sinnvoll, und was bringen sie?
Unterstützung für die Praktiker an der Schulterschmerzfront kam in den letzten Monaten von mehreren, randomisierten Studien, die unterschiedliche Versorgungsansätze bei unterschiedlichen Schulterschmerz-Kollektiven verglichen haben. Los ging es vor gut einem Jahr mit der britischen UK FROST Studie, die 500 Erwachsene mit unilateraler adhäsiver Kapsulitis, also einer klassischen „frozen shoulder“, in drei Studienarme randomisiert hat.
Die Patienten erhielten entweder eine reine arthroskopische Mobilisierung der Schulter und der Gelenkkapsel oder alternativ eine umfangreichere, arthroskopische Kapseldurchtrennung, letzteres ggf. in Kombination mit subakromialer Dekompression. In beiden Fällen wurde die arthroskopische Therapie im Anschluss durch Physiotherapie ergänzt. In der dritten Gruppe wurde nach einmaliger intraartikulärer Steroidinjektion ausschließlich mit Physiotherapie behandelt, jeweils 12 Sitzungen. Primärer Endpunkt war das Outcome auf der Oxford Schulter Skala (OSS, 0-48 Punkte) 12 Monate nach Randomisierung. Ein Unterschied von 4 bis 5 Punkten wurde als klinisch relevant betrachtet.
Dieser klinisch relevante Unterschied wurde nicht erreicht. Zwar war die Kapseldurchtrennung den beiden anderen Vorgehensweisen statistisch überlegen, der Unterschied betrug aber nur 2 Punkte im Vergleich zur arthroskopischen Mobilisierung und 3,1 Punkte im Vergleich zur Physiotherapie. Zwischen Physiotherapie und arthroskopischer Mobilisierung gab es praktisch keinen Unterschied nach 12 Monaten. Da es bei den invasiven Verfahren jeweils zu einigen wenigen, schwereren unerwünschten Ereignissen kam, empfehlen die Autoren die konservative Therapie. Eine Einschätzung, der sich auch der Allgemeinmediziner Dr. Bruce Soloway anschließt, der die Studie kommentierte: „Die meisten Patienten mit dieser Erkrankung können sicher und effektiv mit intraartikulären Steroiden und Physiotherapie behandelt werden.“
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war die UK FROST Studie eine der größten, randomisierten Schulterstudien überhaupt. Mittlerweile hat Großbritannien allerdings nachgelegt und mit der GRASP-Studie Mitte 2021 eine noch größere, randomisierte Studie publiziert. Teilgenommen haben 700 Patienten aus britischen Hausarztpraxen, die seit maximal sechs Monaten Schulterschmerzen hatten, die von den behandelnden Ärzten auf die Rotatorenmanschette zurückgeführt wurden – ein etwas anderes Schulterkollektiv also. Patienten mit relevantem Schultertrauma konnten nicht an der Studie teilnehmen, es ging eher um degenerative oder anderweitig chronifizierte Pathologien.
Die GRASP-Studie fokussierte den Stellenwert von Physiotherapie und intraartikulären Injektionen. Randomisiert wurde in einem 2x2-Faktorial-Design: Primär erhielten die Patienten entweder 6 Sitzungen Physiotherapie oder eine edukative Sitzung mit einem Physiotherapeuten ohne weitere krankengymnastische Sitzungen. Innerhalb beider Gruppen wurde dann noch einmal randomisiert zu entweder einer Einzelinjektion eines Steroids subakromial oder keiner derartigen Injektion. Auch hier gab es einen primären Endpunkt nach 12 Monaten, diesmal den Shoulder Pain and Disability Index (SPADI). Das Ergebnis der GRASP-Studie war so klar wie enttäuschend: Kein Unterschied zwischen Physiotherapie und reiner Edukation, und kein Unterschied zwischen Injektion und keiner Injektion.
Selbe Indikation, kleineres Kollektiv, anderes Land: Ebenfalls Mitte 2021 wurde eine pragmatische, randomisierte, finnische Studie vorgelegt, die Patienten mit nicht akut traumatischen Rotatorenmanschetten-Erkrankungen und anhaltenden subakromialen Schmerzen zwei Jahre lang begleitet hat. Die Studie war mehrstufig angelegt. 417 Patienten mit MRT-Arthrographie-bestätiger Rotatorenmanschetten-Pathologie und starken Symptomen erhielten eine dreimonatige konservative Rehabilitation. Jene 190 Patienten, die danach immer noch symptomatisch waren, wurden randomisiert zu operativer oder nicht operativer Versorgung.
Bei rund der Hälfte der Patienten lag im MRT eine Partialläsion der Rotatorenmanschette vor, bei der anderen Hälfte eine Komplettläsion, also eine vollständige Durchtrennung der betroffenen Sehne. Der operative Eingriff bei Patienten mit Partialläsion bestand in einer arthroskopischen, subakromialen Dekompression (SAD). Bei Patienten mit Komplettläsion wurde die Rotatorenmanschette operativ mit Single-Row-Verfahren rekonstruiert, und zwar nach Belieben entweder arthroskopisch oder minimalinvasiv-offen. Wo nötig, konnte zusätzlich eine Akromioplastie, eine Resektion des Akromioklavikular-Gelenks oder eine Tenotomie der langen Bizepssehne erfolgen.
Die Studie lief diesmal über 2 Jahre, primärer Endpunkt waren Schmerzen auf einer visuellen Analogskala (VAS) sowie Schulterfunktion auf der Constant Murley Skala (CMS) nach 24 Monaten. Dabei zeigte sich, dass Schmerz und Funktion sich sowohl in der operativen als auch in der nicht-operativen Gruppe verbessert hatten. Es gab dabei jeweils nominelle Vorteile bei sowohl Schmerz als auch Funktion zugunsten der operierten Patienten, die aber in der Gesamtschau die statistische Signifikanz verfehlten. Klare Vorteile hatte die Operation allerdings in der Subgruppe der Patienten mit Komplettläsion. Hier gab es auf der einhundertgliedrigen Schmerz-VAS einen Unterschied von 13 Punkten zugunsten der Operation, auf der ebenfalls einhundertgliedrigen CMS einen Unterschied von 7 Punkten.
Insgesamt spricht damit bei subakuten und chronischen Schulterbeschwerden einschließlich der Rotatorenmanschetten-Syndrome viel für ein eher weniger invasives Vorgehen. Es ist in der Regel ähnlich effektiv wie invasivere Strategien. Ausnahmen sind die Komplettläsionen der Rotatorenmanschette. Hier scheint die Operation Vorteile zu haben, wenn ein konservatives Vorgehen keinen Erfolg bringt.
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