Es klingt absurd: Wer die Corona-Impfstoffe von Biontech oder Moderna verabreicht, macht sich strafbar. Davon ist eine Fachanwältin für Medizinrecht überzeugt. Ich frage mich: Ist diese Frau noch ganz bei Trost?
In diesen Tagen stehen viele Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte in den Startlöchern, um ein neues Kapitel in ihrem Beruf aufzuschlagen – das der Corona-Impfungen von (menschlichen) Patienten. So kurz vor dem Startschuss könnte das neueste Rechtsgutachten von Beate Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht, bei den Berufsgruppen allerdings für Verunsicherung sorgen.
Die für ihre Ablehnung der Corona-Maßnahmen durch die Bundesregierung bereits mehrfach in die Schlagzeilen geratene Heidelberger Anwältin ist nämlich der unumstößlichen Auffassung, dass sich jeder, der die Corona-Impfstoffe von Biontech oder Moderna verabreicht, strafbar macht. Prof. Andreas Pitz, Professor für Medizin- und Sozialrecht an der Hochschule Mannheim, gibt in einer Stellungnahme Entwarnung: Wegen dieses Rechtsgutachtens solle sich niemand beirren lassen.
So lässt sich Bahners Gutachten zusammenfassen:
Medizinrechtler Pitz hat das Gutachten von Frau Bahner genauer unter die Lupe genommen. Und kommt zu dem Schluss: Die Äußerungen der Rechtsanwältin – insbesondere die Aussagen zum Arzneimittelrecht – erfüllen nicht den wissenschaftlichen Standard, die an ein juristisches Gutachten zu stellen sind. Dies fange schon mit groben handwerklichen Schnitzern an, da die Autorin das Ergebnis ihres Gutachtens vorweg stellt („Strafbarkeit“). Sie gehe zudem mit der Feststellung des Sachverhalts, auf den sie dann das Recht anzuwenden versucht, eher willkürlich um, und drifte fachfremd in die medizinische Profession ab.
An vielen Stellen des Rechtsgutachtens suggeriere sie durch das vorsätzliche Weglassen wesentlicher Fakten einen Sachverhalt, der so nicht existiere. Pitz nimmt an dieser Stelle die Todesfälle als Beispiel, bei denen der Sicherheitsbericht nur einen zeitlichen, aber keinen kausalen Zusammenhang wiedergibt. Zudem sei es absurd, dass sich die Autorin zum Beleg einer Tatsache selbst zitiert (S. 30 f. des Rechtsgutachtens; „23 mal mehr Todesfälle als alle anderen Impfungen zusammen“).
Die folgenden sechs Punkte werden von Pitz in seiner Stellungnahme näher beleuchtet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich glücklicherweise niemand strafbar mache, der Corona-Impfstoffe der Hersteller Biontech oder Moderna verabreicht:
1. Die Behauptung, dass die Verimpfung der o. g. Impfstoffe im Rahmen einer klinischen Prüfung erfolgt und deshalb die Deklaration von Helsinki anwendbar sei, ist falsch. Die Autorin vermischt im Übrigen die Begriffe Studie und klinische Prüfung. Klinische Prüfungen finden in einem strukturierten Prüfprozess unter Einhaltung eines Prüfplans mit dem Ziel der arzneimittelrechtlichen Zulassung statt. Studien können auch zu anderen Zwecken durchgeführt werden. Normale Impfungen in einem Impfzentrum oder bei einem niedergelassenen Arzt sind weder Studien noch klinische Prüfungen. Die Deklaration von Helsinki spielt dort weder mittelbar noch unmittelbar eine Rolle. Eine „besondere“ Aufklärungspflicht existiert damit nicht.
2. Strafbar macht sich gem. § 95 AMG u. a., wer ein bedenkliches Arzneimittel in Verkehr bringt, oder bei anderen anwendet (§ 5 AMG). Bedenklich ist ein Arzneimittel, wenn „wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die einen Verdacht auf schädliche Wirkungen begründen, die über ein nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.“ Hierbei sind auch praktische Erfahrungen einzubeziehen (Rehmann, AMG, § 5 Rn. 2). Die von der Autorin ins Feld geführten Argumente, warum es sich bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna um bedenkliche Arzneimittel handeln soll, gehen nicht auf. Dies insbesondere deshalb, weil der Autorin das Wesen der bedingten Zulassung (conditional market authorisation) nicht geläufig zu sein scheint. Im Einzelnen:
„a. Die Ausführungen zum AMG gehen in weiten Teilen schon deshalb ins Leere, weil es sich hier um eine zentrale Zulassung nach VO (EG) 726/2004 und nicht um eine nationale Zulassung auf Basis des AMG handelt.
b. Die Ausführungen zur GMP gehen schon deshalb ins Leere, weil der Herstellungsvorgang Bestandteil der Zulassung ist (Art. 8 Abs. 3 lit d RL 2001/83/EG) und in deren Rahmen geprüft wurde.
c. Soweit auf das Arzneibuch (§ 55 AMG) abgestellt wird, verkennt die Autorin, dass es sich bei zentral zugelassenen Arzneimitteln meist um neuartige Wirkstoffe/Arzneimittel handelt. Das Arzneibuch ist aber immer nur dann maßgeblich, wenn es keine neueren Erkenntnisse gibt, wie das bei der zentralen Zulassung u. a. vorausgesetzt wird. In diesen Fällen ist eine Monographie zu konkret bezeichneten Punkten anzufertigen (Anhang I Teil 2 C Ziff. 1.2 der RL 2001/83/EG).
d. Die von der Autorin genannten Module der RL 2001/83/EG enthält diese Richtlinie seit dem 20.01.2011 schon nicht mehr.
e. Die Autorin behauptet, dass bestimmte Bedingungen (‚zusätzliche Auflagen‘) von Biontech nicht fristgerecht erfüllt wurden und ‚Der Hersteller Biontech (…) bis zum heutigen Tag keinerlei Nachweise, Dokumente und Daten entsprechend der zuvor genannten rechtlichen Anforderungen und besonderen Auflagen der EMA zum Nachweis der einwandfreien Qualität und damit der Geeignetheit und Sicherheit der Hilfsstoffe zur Verwendung im Fertigarzneimittel Comirnaty® erbracht‘ habe. Diese Aussage ist nachweislich falsch. Richtig ist vielmehr, dass in 01/21 und 04/21 ‚Interim Reports‘ vorgelegt wurden und die Nichterfüllung dieser Auflagen nach Einschätzung der EMA keine Rücknahme der Zulassung rechtfertigten. Ein ‚Verstoß‘ gegen § 55 AMG oder das AMG oder die RL 2001/83/EG kann also hieraus nicht hergeleitet werden.
3. Strafbar ist u.a. nach § 95 Abs. 1 Nr. 3a, wer nicht unerheblich qualitätsgeminderte Arzneimittel in Verkehr bringt oder mit ihnen Handel treibt oder durch Täuschung über die Qualität in die Irre führt (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 lit c AMG). Eine Täuschung im Sinne des § 8 AMG liegt jedoch nicht vor, wenn das Arzneimittel der Zulassung entsprechend hergestellt, und in Verkehr gebracht wird. Soweit die Autorin aus der Nichtvorlage bestimmter Unterlagen die Schlussfolgerung zieht, dass ‚daraus eine erhebliche Minderung der Qualität‘ folge, zeigt dies nur, dass sich die Autorin nicht hinreichend mit dem Wesen einer bedingten Arzneimittelzulassung befasst hat. Es ist der bedingten Zulassung gerade immanent, dass nicht alle für eine ‚Vollzulassung‘ erforderlichen Unterlagen vorzulegen sind. Dies deshalb, weil die Chancen einer schnellen Zulassung die Risiken der Nachreichung bestimmter Unterlagen überwiegen.
4. Soweit die Autorin meint, dass deutsche Behörden bei der EMA einen ‚Antrag‘ auf Ruhen der zentralen Zulassung stellen müssten, ist abwegig. § 30 AMG (Ruhen der Zulassung) ist tatsächlich für eine zentrale Zulassung nicht anwendbar. Ein Vorgehen der deutschen Behörden wäre nur auf Basis von Art. 19 Abs. 4 VO (EG) 726/2004 möglich. Einen ‚Antrag‘ auf Ruhen bei der EMA zu stellen, ist wegen dieser Vorschrift nicht erforderlich, da die deutschen Behörden selbst tätig werden dürften. Hierfür besteht solange kein Anlass, wie die genannten Impfstoffe der (bedingten) Zulassung entsprechend hergestellt und in Verkehr gebracht werden.
5. Insbesondere muss das PEI im Rahmen der Chargenprüfung nicht tätig werden, solange die Impfstoffe entsprechend der Zulassung hergestellt werden. Das PEI ist an den Zulassungsinhalt gebunden. Es ist ihm versagt, quasi eine zweite Zulassungsprüfung durchzuführen. Die Chargenprüfung ist deshalb auch eine Produktprüfung.
6. Zusammenfassend macht sich niemand strafbar, der sich an einer Impfung in welcher Form auch immer beteiligt.“
Bahner hatte bereits im vergangenen Jahr für Verunsicherung unter den Ärztinnen und Ärzten gesorgt, als sie behauptete, dass diese persönlich für etwaige Impfschäden haftbar gemacht werden könnten. Dies führte sogar dazu, dass die Landesärztekammer Hessen eine „Warnung vor irreführenden Informationen zur Haftung bei COVID-19-Impfungen“ veröffentlichte.
Was die Anwältin, die selbst vor Vergleichen der Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust nicht zurückschreckt, persönlich von diesen gezielt gestreuten Falschinformationen hat, bleibt Spekulation. Man kann ihr an dieser Stelle vermutlich nur gute Besserung wünschen. Und hoffen, dass sie das wahr macht, was sie im April 2020 angekündigt hatte: ihre Anwaltszulassung zurückzugeben.
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