Die gefürchtete Resistenz von Staphylococcus aureus gegen Methicillin entwickelte sich schon vor 200 Jahren – lange vor dem Einsatz von Antibiotika. Das zeigt eine Studie an Igeln.
Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA) gehören zu den häufigsten antibiotikaresistenten bakteriellen Erregern und verursachen allein in Europa jedes Jahr über 150.000 Infektionen. Die Methicillin-Resistenz von S. aureus wird durch die Gene mecA- und mecC vermittelt, welche dem Bakterium ebenfalls Resistenzen gegen fast alle β-Lactam-Antibiotika, einschließlich Penicillinase-labiler (Penicillin G) und Penicillinase-stabiler Penicilline (Methicillin) und Cephalosporine verleihen. Genau solche MRSA, die das Resistenz-Gen mecC tragen, konnten in erstaunlich hoher Zahl bei Untersuchungen an Igeln aus Skandinavien gefunden werden. Forscher wiesen auf bis zu 60 % der untersuchten Igel mecC-MRSA nach und stellten daraufhin die Vermutung auf, dass die Evolution dieser resistenten Bakterien durch natürliche Selektion in der Tierwelt und nicht durch den klinischen Einsatz von Antibiotika vorangetrieben wurde.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Großbritannien und Dänemark wollten dieser Vermutung auf den Grund gehen und führten erneut Erhebungen durch. Auch sie fanden einen hohen Anteil an mecC-MRSA in Abstrichen von Igeln aus Europa und Neuseeland und untersuchten das Genom der Bakterien. „Mithilfe der Sequenzierungstechnologie haben wir die Gene, die mecC-MRSA seine Antibiotikaresistenz verleihen, bis zu ihrem ersten Auftreten zurückverfolgt und festgestellt, dass es sie bereits im 19. Jahrhundert gab“, so Dr. Ewan Harrison, Forscher am Wellcome Sanger Institute und an der Universität Cambridge, einer der Hauptautoren der Studie.
„Unsere Studie deutet darauf hin, dass nicht der Einsatz von Penicillin für das anfängliche Auftreten von MRSA verantwortlich war, sondern ein natürlicher biologischer Prozess. Wir glauben, dass sich MRSA in einem Überlebenskampf auf der Haut von Igeln entwickelt hat und sich dann durch direkten Kontakt auf Nutztiere und Menschen ausgebreitet hat“, erklärt Harrison. Die These der Forscher: Die Antibiotikaresistenz bei Staphylococcus aureus habe sich als Anpassung daran entwickelt, dass der Keim auf der Haut von Igeln Seite an Seite mit dem Hautpilz Trichophyton erinacei leben muss, welcher wiederum seine eigenen Antibiotika produziert.
Der daraus resultierende Methicillin-resistente Staphylococcus aureus ist heute besser bekannt als MRSA. Die jahrhundertealte Antibiotikaresistenz geht demnach dem Einsatz von Antibiotika in der Medizin und der Landwirtschaft zeitlich voraus. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in Nature.
Unterstützt wird diese These dadurch, dass mecC-MRSA kaum genetische Marker für eine Anpassung an Mensch und Wiederkäuer aufweisen. Eine Ausnahme bildet CC425:B3.1 – ein Stamm, bei dem der Sprung vom Igel zum Rind im Südwesten Englands nachgewiesen werden konnte.
Vor den Ergebnissen von Harrison und seinen Kollegen wurden Milchkühe als wahrscheinlichstes Reservoir von mecC-MRSA und als eine Hauptquelle für zoonotische Infektionen beim Menschen angesehen. Die Untersuchungen der Forscher lassen jedoch stark darauf schließen, dass die meistenmecC-MRSA-Stämme von Igeln stammen und Milchkühe sowie andere domestizierte Tiere wahrscheinlich als Zwischenwirte und Vektoren bei der zoonotischen Übertragung auf den Menschen fungieren.
Antibiotikaresistenzen bei Erregern menschlicher Infektionen galten bisher als ein modernes Phänomen, das durch den klinischen Einsatz von Antibiotika ausgelöst wurde.
MRSA wurden erstmals 1960 bei Patienten nachgewiesen und etwa 1 von 200 aller MRSA-Infektionen wird durch mecC-MRSA verursacht. Aufgrund seiner Resistenz gegen Antibiotika sind Infektionen mit MRSA viel schwieriger zu behandeln als andere bakterielle Infektionen. Der Missbrauch von Antibiotika beschleunigt nun diesen Prozess und die Resistenzlage verschlechtert sich stetig. Die WHO betrachtet MRSA inzwischen als eine der weltweit größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Auch für die Nutztierhaltung stellen MRSA eine große Herausforderung dar.
Da fast alle Antibiotika, die wir heute verwenden, in der Natur entstanden sind, war es den Überlegungen der Forscher zufolge wahrscheinlich, dass auch in der Natur bereits eine Resistenz gegen sie besteht. „Diese Studie ist eine deutliche Warnung, dass wir bei der Verwendung von Antibiotika vorsichtig sein müssen. Es gibt ein sehr großes ‚Reservoir‘ in der Tierwelt, in dem antibiotikaresistente Bakterien überleben können – und von dort aus ist es nur ein kleiner Schritt, bis sie von Nutztieren aufgenommen werden und dann den Menschen infizieren“, äußert sich Prof. Mark Holmes vom Fachbereich Veterinärmedizin der Universität Cambridge und Hauptautor der Studie zu den Ergebnissen.
Im Jahr 2011 wurde bei früheren Arbeiten unter seiner Leitung erstmals mecC-MRSA in Menschen- und Milchkuhpopulationen nachgewiesen. Damals ging man davon aus, dass der Stamm aufgrund der hohen Antibiotikagaben, die die Tiere routinemäßig erhalten, in ihnen entstand.
Für die Forscher sind die Ergebnisse aber kein Grund, sich vor Igeln zu fürchten. Menschen infizieren sich nur selten mit mecC-MRSA, obwohl diese bei Igeln seit mehr als 200 Jahren vorkommen.
„Es sind nicht nur Igel, die antibiotikaresistente Bakterien beherbergen – alle Wildtiere tragen viele verschiedene Arten von Bakterien sowie Parasiten, Pilze und Viren in sich“, so Holmes. „Wildtiere, Nutztiere und Menschen sind alle miteinander verbunden: Wir alle teilen uns ein Ökosystem. Es ist nicht möglich, die Entwicklung der Antibiotikaresistenz zu verstehen, wenn man nicht das gesamte System betrachtet.“
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