Ein neuer Ansatz für die medikamentöse Blutdrucktherapie macht die Fachwelt wuschig: Vier Wirkstoffe in nahezu homöopathischen Dosen, aber verpackt in einer Pille. Kann das klappen?
The Lancet ist eine der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt. Ein Monument medizinischer Publikationen. Dass hier ein Artikel über ein simples Kombipräparat gegen Hypertonie veröffentlicht wird, ist mehr als ungewöhnlich – die Studie dahinter ist eine kleine Sensation. Aber der Reihe nach.
Um zu wirken, muss eine Substanz die minimale therapeutische Konzentration erreichen. Liegt die Menge im Plasma darunter, wirkt sie nicht weniger, sondern gar nicht. Dies ist ein zementierter Grundsatz der Pharmakologie. Es sei denn, zwei Arzneistoffe werden in geringerer Dosis kombiniert und greifen am selben Target an, beispielsweise bei der Kombination zweier Analgetika. Forscher untersuchten nun die Effizienz einer Viererkombination gegen Hypertonie, in der jeder Partner einen eigenen Angriffspunkt hat und für sich unterhalb der wirksamen Grenze liegt.
Weltweit werden die meisten Patienten mit Bluthochdruck mit einer Monotherapie behandelt und die Erfolgsraten sind schlecht, da die Monotherapie den Blutdruck im Durchschnitt nur um etwa 9/5 mm Hg senkt. Auch eine Dosissteigerung führt nicht zu einer stärkeren Senkung.
Für Hypertoniker mit hohem kardiovaskulärem Risiko kündigte die SPRINT-Studie einen neuen systolischen Zielwert an. Nicht mehr 140 mmHg ist – wie bisher in den amerikanischen und europäischen Leitlinien – empfohlen, sondern 120 mmHg. Als SPRINT gestartet wurde, zeigten Beobachtungsstudien, dass Teilnehmer mit niedrigeren systolischen Blutdruckwerten weniger Komplikationen und Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten.
Die SPRINT-Studie hat ein gewaltiges Echo hervorgerufen. Die Ergebnisse, wonach eine aggressivere Blutdrucksenkung bei bestimmten Risikopatienten klinisch von Vorteil ist, wurden geradezu begeistert begrüßt. Auch die Deutsche Hochdruckliga (DHL) feierte SPRINT nach Bekanntwerden ihrer Ergebnisse zunächst als „absolute Schlüsselstudie“, die „maßgeblichen Einfluss auf die Empfehlungen zur Blutdruckbehandlung haben“ werde.
In den USA haben das American College of Cardiology (ACC), die American Heart Association (AHA) und die Heart Failure Society of America (HFSA) Ende April 2017 ein sogenanntes Focused Update ihrer Leitlinien zum Management bei Herzinsuffizienz vorgestellt. Wohlwissend, dass SPRINT keine spezifische Hypertonie-Studie bei Patienten mit Herzinsuffizienz war, nehmen die drei Fachgesellschaften deren Ergebnisse zum Anlass, den für diese Patientengruppe maßgeblichen Blutdruckzielwert zu senken. Sowohl zur Prävention einer Herzinsuffizienz als auch bei Patienten mit bereits manifester Herzschwäche, sollte der Blutdruck demnach künftig auf systolische Werte unter 130 mmHg gesenkt werden.
Auch die amerikanische Gesellschaft für Nierenerkrankungen modifizierte ihre Leitlinien. Man empfiehlt einen systolischen Zielblutdruck unter 120 mmHg basierend auf einer standardisierten Blutdruckmessung in der Praxis.
Es besteht ein dringender Bedarf an Strategien zur Blutdruckkontrolle mit verbesserter Wirksamkeit und Verträglichkeit. „Unser Ziel war es, zu beurteilen, ob eine Kombinationstherapie mit ultraniedriger Dosis diesen Bedarf decken könnte“, so die Autoren der oben erwähnten, im Lancet publizierten Arbeit.
Die randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Crossover-Studie startete im Jahr 2017. Die Probanden in der Verumgruppe erhielten eine orale Darreichungsform mit vier Wirkstoffen zur Blutdrucksenkung. In einer einzelnen Kapsel wurden vier blutdrucksenkende Arzneimittel jeweils in einer Vierteldosis kombiniert: Der AT-2-Antagonist Irbesartan (37,5 mg), der Calciumantagonist Amlodipin (1,25 mg), das Diuretikum Hydrochlorothiazid (6, 25 mg) und der Betablocker Atenolol (12,5 mg). Derartige Kombinationen, die allerdings oft durch die gemeinsame Gabe von Monopräparaten erreicht werden, sind nicht ungewöhnlich und bilden auch die Meinung der Leitlinien ab. Allerdings nicht in EINER Kapsel und schon gar nicht in fast homöopathischer Konzentration.
Teilnehmer mit unbehandeltem Bluthochdruck wurden aus vier Zentren, hauptsächlich von Allgemeinmedizinern, aufgenommen. Die Probanden wurden nach dem Zufallsprinzip entweder der Quadropille oder einem Placebo für 4 Wochen zugeteilt. Dieser Therapie folgte eine 2-wöchige Auswaschung, dann wurde die andere Studienbehandlung 4 Wochen lang verabreicht. Der primäre Endpunkt war eine placebokorrigierte systolische ambulante Blutdrucksenkung über 24 Stunden nach 4 Wochen. Es wurden 55 Patienten für die Studie gescreent, von denen 21 randomisiert wurden. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer betrug 58 Jahre, der mittlere systolische und diastolische 24-Stunden-Blutdruck zu Studienbeginn betrug 154/90 mm Hg und 140/87 mm Hg.
Die placebokorrigierte Senkung des systolischen 24-h-Blutdrucks mit der Quadropille betrug 19 mmHg, der Blutdruck in der Praxis wurde um 22/13 mmHg gesenkt. Während der Quadropillen-Behandlung erreichten alle Teilnehmer einen Blutdruck von weniger als 140/90 mm Hg, verglichen mit 33 Prozent während der Placebobehandlung. Es gab keine schwerwiegenden Nebenwirkungen und alle Patienten berichteten, dass die Viererpille leicht zu schlucken war.
Die Ergebnisse der Studie waren so erfolgsversprechend, dass eine Anschluss-Studie (QUARTET) gestartet wurde, von der jetzt erste Ergebnisse vorliegen. QUARTET ist eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte Phase-III-Studie mit Parallelgruppen bei Erwachsenen (≥ 18 Jahre) mit Bluthochdruck, die unbehandelt waren oder eine Monotherapie erhielten.
Die Teilnehmer erhielten die Quadropille oder Placebo. Primärer Endpunkt war der Unterschied im systolischen Blutdruck in der unbeaufsichtigten Praxis nach 12 Wochen. Sekundäre Endpunkte waren Blutdruckkontrolle (Standardblutdruck < 140/90 mm Hg), Sicherheit und Verträglichkeit. Eine Untergruppe setzte die Zuteilung nach dem Zufallsprinzip für 12 Monate fort, um die langfristigen Auswirkungen zu bewerten.
591 Teilnehmer wurden in die Studie eingeschlossen, damit war die Probandenzahl erheblich größer als in der ersten Studie. Durchschnittlich war der systolische Blutdruck in der Interventionsgruppe um 6,9 mmHg niedriger als in der herkömmlich behandelten Gruppe. Bei 76 Prozent der Quadropillen-Gruppe erreichte der Blutdruck die gewünschten Zielwerte, gegenüber 58 Prozent in der Vergleichsgruppe. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion um 30 Prozent.
Unter den 417 Patienten, deren Werte nach den ursprünglichen zwölf Wochen über ein Jahr weiter beobachtet wurden, musste die Dosis häufiger bei den Teilnehmern der Kontrollgruppe gesteigert werden als in der Quadropillen-Gruppe. Nach 52 Wochen lag der durchschnittliche systolische Blutdruck um 7,7 mm Hg niedriger als in der herkömmlich behandelten Gruppe. Bei 81 Prozent der Quadropillen-Gruppe galt der Blutdruck als gut kontrolliert, gegenüber 62 Prozent unter Standardtherapie.
Normalerweise beginnt man die medikamentöse Therapie bei Bluthochdruck stufenweise. Wirkt das erste blutdrucksenkende Medikament nicht ausreichend, kommt ein zweites aus einer anderen Wirkstoffklasse hinzu, gegebenenfalls noch ein drittes und viertes. Diese Lehrmeinung ist leitlinienkonform. „Eine Strategie mit frühzeitiger Behandlung einer fixen Kombination aus vierfacher Vierteldosis erreichte und hielt eine stärkere Blutdrucksenkung im Vergleich zur üblichen Strategie des Beginns einer Monotherapie. Diese Studie zeigte die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Einfachheit einer Quadropill-basierten Strategie“, so die Autoren.
Die Erstellung von Leitlinien verläuft träge und meist längere Zeit nach dem eigentlichen Ablaufdatum. Es bleibt abzuwarten, ob diese Studie das bisherige Stufenmodel über den Haufen wirft. Viele spannende Fragen sind offen. Lässt sich eine Polypille mit extrem geringen Dosierungen auf weitere Indikationen übertragen? Ergeben sich dieselben Kontraindikationen wie unter einer Monotherapie? Welche Auswirkungen auf die Prävalenz von medikamentösen Begleiterkrankungen wie etwa Gicht (durch das Diuretikum) oder Diabetes (durch den Betablocker) hat eine derartige Quadropille? Dennoch ein wegweisender Erfolg, der auch die Lebensqualität und die Adhärenz der Patienten steigern dürfte, die bekanntermaßen ein großes Problem bei der Blutdruckeinstellung ist.
Bildquelle: James Paul, unsplash