Wenn von Nanopartikeln im Zusammenhang mit Medizin die Rede ist, sind Laien schnell besorgt. Aktuelles Beispiel: Nano-Technologie in mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19. Was ist dran an diesen Sorgen – und am Hype auf der anderen Seite?
Nanopartikel – jeder hatte schon Kontakt zu diesen winzig kleinen Teilchen. Sie sind Bestandteil von Feinstaub, legen sich schützend über die Oberfläche des Smartphones, sie sind in Imprägniersprays und Medikamenten enthalten.
Die Vorsilbe Nano leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Zwerg“. Ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter und entspricht ungefähr einem Zehntausendstel der Stärke eines menschlichen Haares. Anwendungsbereiche der Minis sind unter anderem die Elektronik, Datenübertragung, Biotechnologie, Umwelttechnik und Medizin. Experten vergleichen die Bedeutsamkeit dieser Technologie mit dem Internet, dem Computer und dem Telefon.
Mittels Nanotechnologie wird es möglich, Atome und Moleküle kontrolliert zu manipulieren. Doch nicht nur die Computerindustrie hat die Nanotechnologie entdeckt. Waschbecken erhalten eine Nanoversiegelung und dieser sogenannte Lotuseffekt lässt Schmutz keine Chance. Die Technologien sind für den Anwender absolut ungefährlich. Gelangen die Kleinstteilchen jedoch in die Atemwege, kann es kritisch werden.
Die Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der Technischen Universität München (TUM) untersucht mRNA in Form von Nanopartikeln. Den Forschern gelang es, unterschiedliche Formulierungen für mRNA-Impfstoffe zu charakterisieren und damit Grundlagen für die Verbesserung von deren Wirksamkeit zu schaffen. Auch in einigen Impfstoffen, wie im COVID-19-Vakzin von Biontech, wird Nanotechnologie bereits angewendet. Die mRNA, die für das Spikeprotein kodiert, ist durch Nanopartikel, die aus einer Mischung aus Lipiden oder Polymeren bestehen, geschützt.
Biontech macht sich die Nanotechnologie auch bei anderen Impfstoffen zu Nutze. Die Firma testet in einer Phase-II-Studie einen Impfstoff gegen Darmkrebs, der auf dieser Technologie basiert. Der Wirkstoff enthält unmodifizierte, pharmakologisch optimierte mRNA-Moleküle, die für bis zu 20 patientenspezifische Neoantigene kodieren und in Form von Lipid-Nanopartikeln formuliert sind. In der jetzt begonnen klinischen Studie werden Darmkrebspatienten mit einem hohen Risiko für ein Tumorrezidiv behandelt.
Nicht nur für Impfstoffe ist die Technologie interessant. Bei allen zentralwirksamen Pharmaka könnte sie zukünftig eine Rolle spielen.
Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) ermöglicht es nur sehr wenigen Arzneistoffen, ins Gehirn vorzudringen. Der Eintritt von Molekülen aus dem Blut in das Gehirn wird durch Verbindungskomplexe zwischen benachbarten Hirn-Endothelzellen (BEC) verhindert. Die Diffusion von Molekülen über die BHS ist möglich, aber auf hydrophobe Verbindungen mit niedrigem Molekulargewicht beschränkt. Die meisten von ihnen zeigen jedoch eine vernachlässigbare Aufnahme in das Gehirn aufgrund des schnellen Abtransports durch Effluxpumpen in den Blutkreislauf. Makromoleküle wie Proteine können durch vesikulären Transport in das Gehirn gelangen, aber dieser Weg ist hochselektiv und wird durch homöostatische Mechanismen erheblich vermindert.
Folglich verhindert die BHS, dass mehr als 99 Prozent aller Verbindungen das Gehirn erreichen, wodurch Störungen des Zentralnervensystems (ZNS) gegen die meisten herkömmlichen Therapien resistent werden. Dies spielt besonders bei neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle. Den meisten Medikamenten fehlen die doppelten Eigenschaften der Lipidlöslichkeit und des Molekulargewichtes < 400 Da.
Nanopartikel bewegen sich im Endothel ungehindert, aber der transzytosevermittelte Hirneintritt erfolgt hauptsächlich an postkapillaren Venolen und ist in Kapillaren vernachlässigbar, so eine Studie von Kucharz in Nature. Die Hirngefäße gehen mit den Nanopartikeln unterschiedlich um und erlauben oder verwehren – je nach Gefäßtyp – den Zugang zum Hirngewebe. Es zeigte sich, dass die Nanopartikel vor allem an Venolen in das Gehirn eindringen können, die vom perivaskulären Raum umgeben sind und nicht, wie bisher angenommen, an Kapillaren.
Die Entwicklung neuer Arzneimittel zur Behandlung des Gehirns im Alter, einschließlich der Alzheimer-Krankheit, kommt nur langsam voran. Die Produkte der Biotechnologie, rekombinante Proteine oder Gentherapien sind großmolekulare Arzneimittel. Diese können die BHS nicht überwinden. Chimäre Verbindungen mit Nanoteilchen schaffen ganz neue Perspektiven.
Auch in anderen Bereichen der Medizin spielen Nanopartikel zunehmend eine wegweisende Rolle. Pseudomonas aeruginosa-Biofilme verursachen anhaltende und chronische Infektionen, die klinisch am meisten bei Mukoviszidose (CF) bekannt sind. Tobramycin (TOB) ist ein standardmäßiges, anti-pseudomonales Antibiotikum. Bei Biofilminfektionen nimmt seine Wirksamkeit jedoch aufgrund der begrenzten Permeabilität durch die Biofilmmatrix stark ab. Dass eine biomimetische, nanostrukturierte Lipid-Flüssigkristall-Nanopartikel-Formulierung die Wirksamkeit des Antibiotikums signifikant erhöhen kann, zeigen Thorn et al. in einer aktuellen Studie.
Unter Verwendung eines biologisch relevanten Kulturmodells von humanen CF-Bronchialepithelzellen, die mit P. aeruginosa-Biofilmen infiziert waren, wurden vernebelte Tobramycin-LCNPs getestet. Die Wirksamkeit der Nanoverbindung ist 100.000 x stärker im Vergleich zu einer üblichen Formulierung. Die erhöhte Aktivität von TOB wird bei einer liposomalen Formulierung nicht beobachtet. Es wird gezeigt, dass die einzigartige Nanostruktur der LCNPs die verbesserte Penetration des Antibiotikums durch die Biofilmbarriere, aber nicht durch die Barriere des gesunden Lungenepithels fördert.
Die LCNPs sind eine innovative Strategie zur Verbesserung der Leistung von TOB als gezielte Lungentherapie, die die Verabreichung niedrigerer Dosen ermöglicht. Außerdem wird die Toxizität reduziert und die Anti-Biofilm-Aktivität des anti-pseudomonalen Antibiotikums verstärkt. Galenisch ist es sonst sehr komplex, die Wirkung eines Pharmakons drastisch zu steigern und die Nebenwirkungen zu reduzieren. Ziel der Forscher ist es jetzt, die Technologie für den klinischen Einsatz weiterzuentwickeln.
Das Zytostatikum 5-Fluorouracil besitzt eine kurze biologische Halbwertszeit. Eine Studie von Abdullah et al. untersuchte eine orale Nanoformulierung von 5-Fluorouracil mit verzögerter Freisetzung.
Partikel, die mit 5-Fluorouracil-Carrageenan beschichtet waren, wurden in ein wässriges hydrodynamisches Gel aus Natriumalginat mit Carrageenan eingekapselt. Diese Nanosuspension soll als langwirksame Therapie dienen, die die Wirkstoff-Nanopartikel durch die pH-selektive Matrix mit verzögerter Freisetzung schützen könnte.
Hormone, Nikotin und Opioide werden schon in transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) angewendet. Welch ein Fortschritt wäre es, Insulin oder etwa Impfstoffe transdermal anwenden zu können? Eine invasive Injektion wäre unnötig.
Der transdermale Verabreichungsweg bietet mehrere Vorteile. Der First-Pass-Metabolismus wird umgangen, Nebenwirkungen reduziert. Die Applikation ist nicht traumatisch und die Selbstverabreichung durch den Patienten ist möglich. Ein attraktiver Verabreichungsweg für eine nadelfreie Immunisierung wäre ein extremer, auch logistischer Fortschritt. Die Stratum-Corneum-Barriere ist jedoch eine erhebliche Herausforderung für die Entwicklung neuer galenischer Formulierungen für die transdermale Antigenabgabe.
Andererseits besteht die transpedikuläre Bahn aus Hautanhängen wie Schweißdrüsen, Talgdrüsen und Haarfollikeln. Normalerweise ist dieser Weg für die Arzneimittelapplikation nicht relevant, da er nur 0,1 % der menschlichen Haut ausmacht.
Valdivia Olivares et al., MDPI Die Entwicklung bezieht viele Aspekte ein, wobei der Schwerpunkt auf der Bedeutung von Design und Zusammensetzung für die neue Generation nadelfreier nanometrischer transdermaler Systeme abzielt.
Im Bereich der transdermalen Immunisierung werden Mikronadeln in Verbindung mit freiem Antigen oder in Kombination mit Nanosystemen erfolgreich eingesetzt. Nanonadeln sind zweifellos die bisher am weitesten entwickelten Geräte bei der transdermalen Immunisierung. Diese Nanosysteme können nicht nur Antigene, sondern auch verschiedene Hilfsstoffe enthalten. Da sie biologisch abbaubar sind, können sie die Freisetzung von Verbindungen von Tagen bis zu mehreren Wochen aufrechterhalten und dabei biokompatibel abgebaut werden.
Nanotechnologie polarisiert. Emissionen aus Laserdruckern, lungenreizende Reinigungschemikalien und andere Quellen bringen Gegner auf das Tableau der toxikologischen Beurteilung. Dabei muss ganz klar die Art und Anwendung der Nanoteilchen bei der Bewertung betrachtet werde. Oft wird befürchtet, dass sich Nanopartikel in einigen Organen anreichern und unter anderem entzündliche Reaktionen auslösen können. Nicht selten wird der Vergleich zum Asbest herangeführt. Nach dem Motto „einmal drin – immer drin“. Diese Probleme treten aber vor allem bei Nanopartikeln aus körperfremden Materialien, wie Metallen oder Glas auf. Hier bestehen tatsächlich noch Wissenslücken hinsichtlich deren Sicherheit.
Lipid-Nanopartikel müssen toxikologisch ganz anders bewertet werden. Sie bestehen aus körperähnlichen Stoffen und sind seit langem Gegenstand der Forschung. Die verwendeten Lipide ähneln unter anderem den Phospholipiden der Zellmembran, auch Cholesterol wird zur Stabilisierung der Lipid-Doppelschicht verwendet. Diese pharmazeutischen Hilfsstoffe sind völlig ungefährlich. Auch das Bundesministerium für Gesundheit weist darauf hin, dass von den in den mRNA-Impfstoffen verwendeten Lipid-Nanopartikeln keine gesundheitliche Gefährdung ausgeht und diese nicht schädigend auf die Zellen des menschlichen Körpers wirken.
Die größte gesundheitliche Gefahr besteht in der Einatmung von Nanopartikeln. Pharmazeutisch verwendete Nanopartikel, also auch solche in Impfstoffen, gelten nicht als Nanomaterialien im engeren Sinn. Diese Partikel weisen zwar auch eine Größe im Nanometerbereich auf, sie bestehen aber ausschließlich aus für den Körper unschädlichen Substanzen und sind meist sogar biologisch abbaubar. Nach ihrer Arbeit als Trojaner lösen sie sich vollständig auf und können sich daher im Körper nicht anreichern.
Die COVID-19-Pandemie hat zu einem verstärkten Einsatz von Desinfektionsmitteln auf Ethanolbasis zur Oberflächeninaktivierung von SARS-CoV-2 in Gebäuden geführt. Diese Desinfektionsmittel führten zur raschen Veränderungen der chemischen Zusammensetzung der Raumluft. Die Anwendung als Spray oder Aerosol auf Ethanolbasis kann flüchtige Partikel in Nanogröße produzieren. Dies kann ein Risiko für die menschliche Gesundheit sein, so eine Studie von Jiang et al.
Von der Nanotechnologie geht pauschal keine gesundheitliche Gefährdung aus. Bei Reinigungsmitteln oder anderen Technologien im Haushalt ist Skepsis angebracht. Die Silver-Nano-Technologie, die ein Hersteller in seine Waschmaschinen integriert, erlaube nahezu keimfreies Waschen bei niedrigen Waschtemperaturen. Der BUND hat den Hersteller schon vor Jahren aufgefordert, sein Gerät vom Markt zu nehmen. Denn dabei werden gar keine Nanoteilchen produziert, sondern nur Ionen, die aber beim Waschvorgang in der Maschine verbleiben. Nicht überall wo Nano drauf steht, ist auch wirklich Nano drin.
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