Abgesänge auf das Stethoskop kamen vielleicht zu früh. Macht ein neues Feature aus dem archaischen Status-Symbol des Medicus ein digitales Schweizer Taschenmesser?
Sich akustisch an Klappenfehler oder Herzinsuffizienzen heranzutasten, klingt in Zeiten, in denen sich eine Ultraschallsonde ins iPhone einstöpseln lässt, eher altbacken. Die Wahrheit ist allerdings, dass die Stethoskop-Untersuchung, so sie beherrscht wird, unglaublich effizient ist. Was den Zeitbedarf angeht, wird da selbst eine massiv KI-gestützte Smartphone-Echokardiographie niemals mithalten können. Vielleicht sollte das Stethoskop daher nicht an den Nagel gehängt, sondern im Gegenteil aufgepeppt werden? Zumal es sich auch besser um den Hals macht als eine klobige Echo-Sonde.
In der Zeitschrift The Lancet Digital Health berichten britische Wissenschaftler vom Imperial College London jetzt über eine Studie, für die sie dem Stethoskop ein kleines technisches Update verpasst haben. Es ging um das an sich klassisch echokardiographische Problem der Identifizierung von Patienten mit einer verringerten kardialen Auswurfleistung, konkret einer Ejektionsfraktion (EF) ≤ 40 %. Das fällt oft erst bei der ersten Dekompensation auf. Es wäre aber erstrebenswert, diese Patienten früher zu identifizieren, weil es effektive und prognostisch wirksame Therapien für Herzinsuffizienz mit reduzierter EF gibt.
Für ihre prospektive, multizentrische Beobachtungsstudie haben die Briten in der ersten Jahreshälfte 2021 insgesamt 1.050 Patienten rekrutiert, die alle eine Basisuntersuchung mit transthorakaler Echokardiographie erhielten. Danach wurde eine Stethoskop-Untersuchung durchgeführt, und zwar mit einem EKG-gepimpten Stethoskop. Diese Stethoskope sehen etwas anders aus als konventionelle Stethoskope. Sie haben keinen runden, sondern einen länglichen Kopf, der über zwei Elektroden verfügt, mit denen ein 1-Kanal-EKG aufgezeichnet werden kann. Dies erfolgte in der Studie an den vier typischen kardialen Auskultationspositionen.
Der Clou an der Sache war jetzt, dass das 1-Kanal-EKG von einem KI-Algorithmus ausgewertet wurde, der darauf trainiert war, anhand des EKGs eine EF von 40 % oder weniger zu erkennen. Solche Algorithmen gibt es mittlerweile mehrere. Zum Einsatz kam ein ursprünglich für 12-Kanal-EKG entwickelter Algorithmus, der für das „gepimpte Stethoskop“ nachtrainiert wurde. Damit das funktioniert, muss der Stethoskop-Kopf etwa 15 Sekunden aufgelegt werden. Die Daten werden über Bluetooth ans Smartphone übertragen, das EKG wird dann von der KI cloudbasiert in Echtzeit analysiert.
Von den 1.050 Patienten hatten in der Echographie 10 % eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) von 40 % oder weniger. Was die Stethoskop-basierte EKG-Aufzeichnung angeht, zeigte sich, dass die Aufzeichnung in Aortenklappen- und in Pulmonalklappen-Position die beste Signalqualität brachte. Was die Prädiktion der EF angeht, schnitt die Pulmonalklappen-Position eindeutig am besten ab. Hier wurde, gemessen am Goldstandard Echokardiographie, eine Sensitivität von 85 % und eine Spezifität von 70 % erreicht. Falsch positiv war rund ein Drittel der Patienten, wobei die Quote von der EF abhing. Bei normaler EF betrug die falsch positive Rate 26 %, bei einer EF im Bereich 41–50 % waren es 43 %.
Bei der Bewertung dieser Performance ist zu berücksichtigen, dass das KI-gestützte Stethoskop-EKG keine Methode ist, die unmittelbar eine Behandlung nach sich ziehen würde. Es handelt sich um eine Screening-Methode, bei der es vor allem darum geht, aus der großen Zahl der Patienten, bei denen eine kardiale Auskultation erfolgt, jene herauszufischen, bei denen eine (ambulante) echokardiographische Messung der EF zielführend sein könnte.
In diesem Zusammenhang wäre einschränkend anzumerken, dass die Studienkohorte nicht voll repräsentativ für eine Screening-Kohorte war, da der Anteil der Patienten mit niedriger EF mit 10 % relativ hoch war. Dennoch: Ein digitales Revival des Stethoskops scheint möglich, zumal sich auch auf andere kardiale Erkrankungen auf diese Weise screenen ließe. So gibt es mittlerweile Algorithmen, die auf Basis von EKG-Befunden abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass in den Folgemonaten Vorhofflimmern auftritt.
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