Eine 74-Jährige stellt sich mit brennenden Rötungen im Gesicht, an Händen und Hals im Krankenhaus vor. Sie klagt über Herzklopfen, Kopfschmerzen, Atemnot und Schluckbeschwerden. Die Spurensuche führt die Ärzte auf den lokalen Fischmarkt.
Eine 74-jährige Frau stellt sich in den USA in der Notaufnahme vor und klagt über starke, brennende Rötungen im Gesicht sowie an Händen und Hals. Zudem verspüre sie ein Herzklopfen, pochende Kopfschmerzen, Atemnot, Schluckbeschwerden und eine schnelle Herzfrequenz. All das hatte unmittelbar nach dem Verzehr eines Thunfisch-Burgers auf einem örtlichen Fischmarkt begonnen. In ihrer medizinischen Vorgeschichte sind Herzrhythmusstörungen, ein Akustikusneurinom, eine Schilddrüsenunterfunktion sowie Brustkrebs und chronischen Muskel-Skelett-Beschwerden bekannt – Lebensmittelunverträglichkeiten oder gar Anaphylaxie jedoch nicht.
In der Notaufnahme hat die Patientin einen Puls von 120 bpm, einen Blutdruck von 123/55 mmHg, eine Sauerstoffkonzentration von 99 % bei Raumluft und eine Atemfrequenz von 16 Atemzügen/min. Sie gibt zudem Schmerzen in der Brust mit 5/10 an. Die Ärzte verabreichen der Patientin Prednison und Diphenhydramin, woraufhin sich die Kopfschmerzen, der Ausschlag, die Brustschmerzen und der Juckreiz bessern. Anhand eines EKG diagnostizieren sie außerdem eine Sinustachykardie mit 107 bpm. Auf weitere Laboruntersuchungen verzichten die Ärzte.
Doch da im weiteren Verlauf insgesamt vier Erwachsene – unter anderem auch der Ehemann der Patientin – ähnliche Symptome nach dem Verzehr eines Thunfischsteaks auf diesem Fischmarkt aufweisen, werden Proben davon entnommen. Es stellt sich heraus, dass der Fisch einen deutlich zu hohen Histamingehalt aufweist, weshalb die Ärzte eine Scombroid-Vergiftung vermuten. Doch im Gegensatz zu ihrem Ehemann, der nach Abschluss der oralen Prednison- und Diphenhydramin-Behandlung wieder symptomfrei ist, leidet die 74-Jährige unter anhaltender Urtikaria und Angioödemen mit einem neu aufgetretenen Dermatographismus. Auch die Anwendung von topischen Kortikosteroiden sowie die tägliche Einnahme von Levocetirizin, Loratadin und Fexofenadin bringen keine Besserung.
Sechs Wochen später isst sie Krabbenküchlein zum Abendessen – ein Essen, das sie eigentlich immer gut vertragen hatte. Doch diesmal ist es anders, denn schlagartig entwickelt sie Schluckbeschwerden sowie ein Taubheitsgefühl und Kribbeln in Zunge, Lippen und Rachen. Auch der Ausschlag im Gesicht ist wieder da. Umgehend sucht die Frau die örtliche Notaufnahme auf, wo ein Erythem der Larynxschleimhaut festgestellt wird. Sie wird mit Famotidin, Prednison und Diphenhydramin behandelt und anschließend entlassen. Doch wie konnte es dazu kommen? Es folgt eine umfassende ambulante, allergologische Abklärung. Doch merkwürdigerweise sind sowohl das Gesamtserum-IgE als auch der Gesamtkomplementspiegel innerhalb der normwertigen Bereiche. Serum-IgE für Insektengifte, Thunfisch und Krabben sind nicht nachweisbar.
Wie lassen sich die chronische Urtikaria und Schalentierallergie der 74-Jährigen dann erklären? Die Ärzte ordnen eine Reihe weiterer Labortests an. Tatsächlich stellen sie einen erhöhten Plasmahistaminspiegel von 13 nmol/L fest (Norm: 0–8 nmol/L). Neben einer speziellen Diät und der Verschreibung eines Epinephrin-Autoinjektors sowie eines kurz wirksamen Beta-Agonisten als Inhalator zur Notfallmedikation, beginnen die Ärzte eine Behandlung mit Omalizumab. Denn die Patientin ist trotz der täglichen Einnahme von Antihistaminika, Leukotrien-Modifikatoren und Cromolyn-Präparaten noch symptomatisch. Tatsächlich werden nach einiger Zeit unter Omalizumab die Urtikariaausbrüche immer seltener. Aufgrund der Konstellation wiederkehrender Symptome der Mastzellaktivierung – wie chronischer Urtikaria, Asthma und Anaphylaxieanfälligkeit – und dem Ansprechen auf die Histamin- und Leukotrienblockade diagnostizieren die Ärzte schließlich ein Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) in Folge der Scombroid-Vergiftung.
Text- und Bildquelle: Brock et al./Journal of Medical Case Reports
Bildquelle: Jonathan Noack, Unsplash
Hinweis: Dieser Kanal dient der Veranschaulichung kurioser und obskurer Patientengeschichten. Die Darstellungen orientieren sich an realen, in Fachzeitschriften veröffentlichten Fallberichten. Aufgrund der Kuriosität und Individualität der Fälle kann das Vorgehen allerdings von den aktuellen medizinischen Leitlinien abweichen.