Kaum etwas ist wohl so sehr Geschmacksache wie Lakritz – doch für Liebhaber kann die Leckerei sogar gefährlich werden. Wie steht es im Gegenzug mit den gesundheitlichen Benefits?
Manchmal ist der Grat zwischen Genuss und Krankheit schmal. So auch beim beliebten Lakritz. Viele Mythen ranken sich um die schwarze Süßigkeit. Steigert sie die Libido oder wird sie mit Stierblut gefärbt? Eines ist klar: Zuviel ist ungesund.
Süßholz, die Wurzel von Glycyrrhiza spp., wird seit der Antike im Westen und in China verwendet. In der traditionellen chinesischen Medizin ist Süßholz eines der am häufigsten verwendeten Arzneimittel. Lakritze wird aus der Süßholzwurzel hergestellt, die ihren Namen nicht zu Unrecht trägt, haben doch die Hauptinhaltsstoffe Glycyrrhizin (GL) und Glycyrrhizinsäure (GS) eine 50-fach stärkere Süßkraft als Rohrzucker. Lakritz enthält neben Süßholz meist noch Ammoniaksalze und ätherische Öle.
Süßholz ist ein altbewährtes Expektorans, es steigert die Schleimhautsekretion, sodass ein erkälteter Patient mehr Auswurf abhusten kann. Außerdem schützt es die Magenschleimhaut durch eine Steigerung der PGE2-Produktion. In Form von Arzneitees konsumieren die Deutschen gut 100 Tonnen Süßholzwurzel jährlich, was lediglich etwa 1,2 g pro Person entspricht. Die Niederländer kommen jährlich auf einen Pro-Kopf-Verbrauch von über 2 kg. Weitaus größere wirtschaftliche Bedeutung hat die süße Wurzel neben der Herstellung von Lakritz als Zutat für die Herstellung von Kräuterlikören und diversen Lebensmitteln.
In der Verordnung der Europäischen Kommission (EU) 872/2012 wurden Maximalgehalte an Glycyrrhizinsäure als Aromastoff für Süßwaren von 1.500 mg/kg festgesetzt. Die Verwendung von Ammoniumchlorid oder anderen zulässigen Salzen ist in der Lakritzherstellung üblich. Süßwaren oder Getränke wie Lakritzlikör, die Glycyrrhizinsäure oder deren Ammoniumsalz in einer Konzentration von mindestens 100 mg/kg oder 10 mg/l enthalten, müssen nach der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) den Hinweis „enthält Süßholz“ tragen. Süßwaren, die Glycyrrhizinsäure oder ihr Ammoniumsalz in höheren Konzentrationen (mindestens 4.000 mg/kg) enthalten, müssen mit „enthält Süßholz — bei hohem Blutdruck sollte ein übermäßiger Verzehr dieses Erzeugnisses vermieden werden“ gekennzeichnet werden.
Im Bundesgesetzblatt wurde sogar eine „Lakritzverordnung“ publiziert. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät deshalb, die Aufnahme von Glycyrrhizin auf unter 100 Milligramm pro Tag zu beschränken.
Das sind maximal 50 g Kinderlakritz. Bei Produkten, die als „extra starkes Erwachsenenlakritz“ oder „kein Kinderlakritz“ gekennzeichnet sind, ist der Anteil an Glycyrrhizinsäure höher; meist ist zudem Salmiaksalz zugesetzt, das den Blutdruck zusätzlich erhöhen kann. Darum sollte man von Erwachsenenlakritz nicht mehr als 5 g an einem Tag essen. Problematisch können auch lakritzhaltige Getränke sein.
Die Menge macht das Gift zum Gift. Lakritz besitzt neben seiner Wirkung auf den Magen und die Atemwege zahlreiche weitere positive Eigenschaften.
Eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie wurde an 60 Probanden durchgeführt, die entweder in die Süßholzextrakt-Gurgelgruppe (n = 30) oder die Placebogruppe mit einer Kochsalzgurgellösung (n = 30) eingeteilt wurden. Die Kariesaktivität wurde bewertet und der Nachweis der Bakterien, die Karies verursachen, durch eine mikrobiologische Analyse bestätigt. Basierend auf diesen Analysen zeigte die Verumgruppe eine deutliche Abnahme der Bakterien im Vergleich zur Placebofraktion. Süßholz zeigte eine ausgezeichnete antibakterielle Aktivität durch Hemmung und wirksame Reduzierung von Bakterien, die Zahnkaries verursachen. Daher ist die Mundspülung mit dem Extrakt von Süßholz ein effektives Mundpflegeprodukt, das als wirksames Mittel zur Vorbeugung von Karies geeignet ist, so die Autoren.
Durch seine mineralokortikoide Wirkung können sich Süßholz und seine Extrakte negativ auf das Herzkreislauf-System auswirken. Der Berufsverband der Internisten in Deutschland warnt vor der blutdrucksteigernden Wirkung.
Diese hypertensive Wirkung beruht auf der Hemmung des Enzyms 11-Beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (11-BHSD). Im Körper ist es verantwortlich dafür, Cortisol zu Cortison abzubauen. Wird es gehemmt, kommt es zu einem Anstieg von Cortisol. Das wirkt in hoher Konzentration wie Aldosteron, was Natrium und Wasser in den Nieren retiniert. Das Blutvolumen und damit der Blutdruck steigen an.
Glycyrrhizin und seine Säure können Ödeme, Hypertonie und Hypokaliämie bei Patienten in höheren Dosen und Langzeitanwendung induzieren. Der Mechanismus dieser Nebenwirkung, Pseudoaldosteronismus, wird durch die inhibitorische Aktivität der Lakritzinhaltsstoffe auf die 11-Hydroxysteroid-Dehydrogenase erklärt. Der Überschuss an endogenem Kortisol wirkt agonistisch am renalen Mineralkortikoidrezeptor, der eine aldosteronähnliche Wirkung fördert. GL und GS reduzieren die Alanin-Transaminase (ALT) und die Aspartat-Transaminase (AST) im Serum. Diese hepatoprotektive Wirkung wurde auch durch eine hemmende Wirkung auf die immunvermittelte Zytotoxizität gegenüber Hepatozyten und auf den Faktor NF-Kappa B erklärt.
Weitere Inhaltsstoffe zeigten im Tierversuch eine Verbesserung der antiinflammatorischen, antiallergischen und antiulzerösen Wirkung. Immunmodulierende Wirkungen von GS-Derivaten, die Interferon-gamma und einige andere Zytokine induzieren, wurden im Zusammenhang mit ihrer antiviralen Aktivität nachgewiesen. Die entzündungshemmende, antitumorgene und malariahemmende Wirkung von Süßholzflavonoiden wurde ebenfalls untersucht.
McHugh et al. berichteten über einen lebensbedrohlichen Fall von Pseudoaldosteronismus als Folge einer übermäßigen Einnahme von Süßholz. Betroffen war die Patientin von einer schweren, refraktären Hypokaliämie mit hypertensiver Krise und akutem Lungenödem aufgrund übermäßigen Süßholzkonsums.
Die 79-jährige Frau stellte sich nach einem Verkehrsunfall in der Notaufnahme vor. Sie beschrieb, dass sie sich beim Fahren vor der Kollision schwach und schwindelig gefühlt habe. Sie besuchte einige Wochen zuvor ihren Hausarzt wegen Müdigkeit und wurde wegen einer Hypokaliämie mit oralen Kaliumpräparaten behandelt. Untersuchungen ergaben Hypertonie (180/69 mmHg), schwere Hypokaliämie (2,2 mmol/l), normale Nierenfunktion, normales Serum-Magnesium mit metabolischer Alkalose. Kalium im Urin betrug 22 mmol/l. Die Hypokaliämie persistierte trotz aggressiver intravenöser und oraler Kaliumtherapie.
Später entwickelte die Patientin eine hypertensive Krise (239/114 mmHg) mit Lungenödem. Sie wurde auf Intensivstation verlegt und mit Furosemid- und Isosorbiddinitrat-Infusionen behandelt. Die Patientin berichtete im Verlauf, dass sie zwei Monate zuvor mit dem Rauchen aufgehört und ihr Verlangen nach Nikotin mit Lakritzbonbons gestillt hatte. Die Unterdrückung von Plasma-Renin und -Aldosteron unterstützte die Diagnose eines offensichtlichen Mineralokortikoid-Überschusses als Folge eines übermäßigen Süßholzkonsums. Ihre Symptome und Hypokaliämie verschwanden, nachdem sie aufhörte, die Bonbons zu essen. „Es bedarf einer verstärkten Sensibilisierung der Bevölkerung für die möglichen Gesundheitsgefahren durch übermäßigen Lakritzkonsum, so die Autoren.
Unter der Überschrift „Tödliche Lakritz-Lutscher“ veröffentlichten Robles et al. einen Fall einer Lakritzintoxikation. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, den Lebensstil des Patienten im Rahmen der Anamnese detailliert zu untersuchen. Das kann die Früherkennung eines Pseudohyperaldosteronismus unterstütze.
Eine 47-jährige Frau kam mit folgender Vorgeschichte in die Notaufnahme: Müdigkeit, periorbitale Ödeme und Ödeme der unteren Gliedmaßen in den letzten fünf Tagen. Die körperliche Untersuchung ergab einen Blutdruck von 150/95 mmHg, eine Herzfrequenz von 82 Schlägen/min, 96 %ige Sauerstoffsättigung, Basaltemperatur von 36,2 °C sowie ein periorbitales Ödem, Knöchel mit Lochfraßödem. Bei einer weiteren Befragung der Patientin gab sie an, dass sie in den letzten Monaten mehrere Beutel Lakritz-Lollies konsumiert hatte. Die chronische Einnahme von Lakritzverbindungen induzierte ein Syndrom mit ähnlichen Befunden wie beim primären Hyperaldosteronismus.
Grundsätzlich gilt: Die durch Süßholz induzierte Hypokaliämie ist eine seltene Erkrankung; das häufigste Symptom ist eine generalisierte Muskelschwäche. Notärzte sollten sich nach dem Konsum von Süßholz erkundigen, wenn in der Krankengeschichte des Patienten unerklärlicher Bluthochdruck, ein peripheres Ödem oder Hypokaliämie erfasst werden, so der Ratschlag der Autoren.
Der Verzehr von Lakritz in der Schwangerschaft schädigt möglicherweise nachhaltig die körperliche und kognitive Entwicklung des Kindes. Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie aus Finnland im American Journal of Epidemiology. Die Autorin rät Schwangeren dringend vom Verzehr der Süßigkeit ab, denn 11-BHSD ist auch in der Plazenta enthalten, wo es 80 bis 90 Prozent des Cortisols inaktiviert. Der Verzehr von Lakritz hemmt das Enzym und erhöht die Cortisol-Konzentration im Organismus des Feten.
Die Psychologin Katri Räikkönen von der Universität Helsinki untersuchte einige Jahre die möglichen Folgen des Lakritzkonsums in der Schwangerschaft beim Menschen. Sie begleitete dazu eine Kohorte von 1.049 Frauen, die pro Tag etwa 100 Gramm Lakritz gegessen hatten. Bei der letzten Untersuchung der Kinder im Alter von acht Jahren schnitten die Kinder gleich in mehreren Tests zur kognitiven Entwicklung schlechter ab. Sie hatten einen geringeren Wortschatz, ein schlechteres erzählerisches Gedächtnis und ein eingeschränktes räumliches Vorstellungsvermögen. Die Konzentrationsfähigkeit war vermindert, die Neigung zum Übertreten von Regeln und zum aggressiven Verhalten erhöht.
Bei den Mädchen der Lakritz verzehrenden Schwangeren setzte die Pubertät früher ein. Sie sind mehr als drei Zentimeter größer, acht Kilogramm schwerer und ihr Body-Mass-Index ist um 2,2 kg/m2 höher als von Kindern, deren Mütter kein Lakritz verzehrt hatten. Der Intelligenzquotient ist bei Jungen und Mädchen um sieben Punkte niedriger als bei nicht exponierten Kindern.
Auch wenn eine Beobachtungsstudie den kausalen Zusammenhang letztlich nicht belegen kann, sind die Übereinstimmung mit den tierexperimentellen Ergebnissen und der plausible Pathomechanismus über die Hemmung der Cortisol-Inaktivierung in der Plazenta überzeugende Argumente. Räikkönen rät deshalb allen Schwangeren, auf den Verzehr von Lakritz zu verzichten.
Römer et al. berichten von der Kasuistik einer 92-jährigen Patientin, bei der Vorhofflimmern diagnostiziert und mit dem Gerinnungshemmer Phenprocoumon behandelt wurde. Vorbestehende Komorbiditäten waren arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Typ-2-Diabetes, leichte senile Demenz und Niereninsuffizienz. Trotz Behandlung mit Phenprocoumon erlitt die Patientin einen ischämischen Schlaganfall. Eine retrospektive Untersuchung ergab keine signifikanten Veränderungen des Verhaltens oder der Therapieadhärenz. Auffällig war jedoch der Verzehr von insgesamt 1,5 kg hartgekochtem Süßholzlakritz in den Tagen vor dem Schlaganfall.
Der plötzliche Abfall der INR-Werte kann durch den Einfluss von Süßholz und seinen Verbindungen auf die Pharmakokinetik von Phenprocoumon erklärt werden. Die wichtigsten Faktoren sind in diesem Zusammenhang die Anfälligkeit von Vitamin-K-Antagonisten für Ernährungs- oder Stoffwechselstörungen – der Einfluss von Süßholz auf die Funktion von Isoenzymen der Cytochrom-P450-Familie, die zu einer verminderten Bioverfügbarkeit von Phenprocoumon und zahlreichen anderen Arzneistoffen führen kann. Außerdem spielt die Wirkung von Süßholz auf die Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptor-Alpha-Transaktivierung eine Rolle.
Eine Frage, die mittlerweile bei fast jedem Arzneistoff gestellt wird: Wirkt er auch gegen Coronaviren? Die Antwort scheint ein Ja zu sein. Forscher der Uniklinik Essen fanden heraus, dass Glycyrrhizin SARS-CoV-2 effektiv neutralisiert, indem es die virale Hauptprotease hemmt. Diese ist an der Vervielfältigung des Coronavirus beteiligt. Auf der Suche nach einer wirksamen Therapie stellt sie deswegen ein attraktives Ziel dar.
Glycyrrhizinsäure zeigt auch antivirale Aktivität gegen Herpes-simplex-Viren, das HI-Virus sowie humane und tierische Coronaviren. Die neutralisierende Wirkung von Glycyrrhizin gegen ein klinisches SARS-CoV-2-Isolat wurde in Zellkultur untersucht. Eine vollständige Virusneutralisation wurde bei subtoxischen Konzentrationen von 0,5 mg/ml unter Pre- und 1 mg/ml unter Post-Entry-Bedingungen erreicht. Die starke antivirale Aktivität sowie die entzündungshemmenden Eigenschaften heben Glycyrrhizin als hervorragenden Kandidaten für weitere klinische Untersuchungen zur COVID-19-Behandlung hervor.
Zurück zur Eingangsfrage, ob Lakritz sich auf die Libido auswirkt. Die Antwort: Das ist vom Geschlecht abhängig. Die Inhaltsstoffe von Lakritz greifen durch Enzymblockade in den Hormonhaushalt ein. Bei Frauen kann es zu einer Steigerung der Libido kommen, bei Männern hingegen sinkt der Testosterongehalt im Blut um 26 Prozent. Und die Kraft durch das Stierblut? Ein Mythos. Man(n) sollte also nicht übermäßig an der Lakritzstange knabbern – Süßholz raspeln lässt sich ja auch mit Worten.
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