Wenige seltene Krankheiten sind so bekannt wie die Mukoviszidose. Inzwischen sind nicht mehr nur symptomorientierte, sondern auch kausale Therapien möglich. Für welche Patienten kommt welches Medikament in Frage?
Teil 6 unserer Serie über seltene Krankheiten und ihre Behandlung. Hier geht's zu Teil 5.
Es gibt wohl kaum eine seltene Krankheit, deren Name in der Bevölkerung so bekannt ist, wie die Mukoviszidose. Etwa 8.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene leiden in Deutschland an Mukoviszidose, auch als Cystische Fibrose (CF) bezeichnet. Europaweit sind etwa 50.000 Menschen von der seltenen Erbkrankheit betroffen. Bei Mukoviszidose bildet sich ein zäher Schleim, der die Atemwege verstopft und in der Lunge leicht zu Infektionen mit Bakterien, Viren und Pilzen führt. Vor zehn Jahren wurde das erste Medikament gegen diese Erkrankung zugelassen. Im Jahr 2020 bereicherte eine Dreierkombination mit neuem Wirkstoff die Therapie auf bahnbrechende Art und Weise.
Obwohl der Pathomechanismus der Erkrankung lange Zeit nicht bekannt war, hatten die Hebammen früher bereits einen einfachen Schnelltest: Sie leckten über die Stirn des Neugeborenen. Dieser „Salzkuss“ identifizierte salzigen Schweiß. Heute weiß man, dass der Chloridtransport bei Patienten mit Mukoviszidose gestört ist.
Mukoviszidose ist eine multisystemische Erkrankung mit beeinträchtigtem Natrium- und Chloridtransport über Epitheloberflächen. Sie ist eine der häufigsten autosomal-rezessiven Erkrankungen bei Kindern.
Die Lungenerkrankung ist auf das Fehlen, bzw. die Fehlfunktion des CF-Transmembran-Leitfähigkeitsregulators (CFTR) zurückzuführen. Dieser Chloridkanal wird von Epithelzellen als Hauptregulator der Ionen- und Flüssigkeitshomöostase exprimiert. Es sind mehr als 2.000 genetische Variationen im CFTR-Gen bekannt.
Funktionseinschränkungen des CFTR-Kanals können unterschiedliche Gründe haben:
Durch die gestörte oder fehlende CFTR-Funktion werden Körpersekrete wie der Schleim in der Lunge dickflüssig und zäh und beeinträchtigen so die Funktionen lebenswichtiger Organe. In den Atemwegen kann der zähe Schleim chronische Lungeninfektionen verursachen und die Lunge fortschreitend schädigen.
Die häufigste Mutation des CFTR-Gens ist die sogenannte F508del-Mutation. Durch die Mutation fehlen in der Sequenz des CFTR-Gens drei Basenpaare und damit die Aminosäure Phenylalanin an Position 508 des CFTR-Eiweißes.
Vor zehn Jahren wurde CF noch rein symptomorientiert mit Mukolytika, Bronchospasmolytika, Antibiotika sowie Physiotherapie und bestimmten Ernährungsformen therapiert. Ein kausaler Ansatz existierte nicht.
Mit einer rechtzeitigen und konsequenten Therapie kann der Krankheitsverlauf aber erheblich verlangsamt werden. Inzwischen leben die Patienten deutlich länger als noch vor einigen Jahren. Die mittlere Lebenserwartung bei zystischer Fibrose liegt derzeit bei etwa 50 Jahren. Viele Patienten werden aber auch älter – auch dank neuer Pharmakotherapien.
In der Therapie differenziert man die CFTR-Modulatoren in Potenziatoren und Korrektoren: Potenziatoren aktivieren einen vorhandenen CFTR-Kanal und Korrektoren unterstützen die richtige Herstellung des Kanals.
Ivacaftor ist der erste Wirkstoff, der zur kausalen Behandlung von Patienten mit zystischer Fibrose zugelassen wurde. Der Wirkstoff erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich der CFTR-Proteinkanal öffnet; der Transport von Chloridionen wird verbessert. In vitro zeigt Ivacaftor eine hohe Selektivität für CFTR ohne relevant mit anderen Rezeptoren und Enzymen zu interagieren oder deren Aktivität zu modulieren.
Allerdings ist diese Therapie nur bei einer kleinen Gruppe von Patienten wirksam, da die dem Öffnungsdefekt zugrunde liegenden Mutationen sehr selten sind. Bei anderen Mutationen hat die Potenzierung der Öffnungswahrscheinlichkeit allein keine ausreichende Wirkung.
Für eine Fehlfunktion, die durch andere Mutationen verursacht wird (zwei F508del Mutationen), gibt es inzwischen zwei zugelassene Medikamente, die als Korrektor der Kanalfunktion wirken: Orkambi® (Lumacaftor plus Ivacaftor) und Symkevi ® (Tezacaftor plus Ivacaftor).
Sie stabilisieren CFTR-Kanalmoleküle, denen das Phenylalanin an Position 508 fehlt. Sie verbessern deren zelluläre Verarbeitung sowie Transportsteuerung und erhöhen so die Menge an funktionellem CFTR an der Zelloberfläche. Beide Wirkstoffe sind mit Ivacaftor fix kombiniert, wodurch den Kanälen, die die Membran erreicht haben, zusätzlich ermöglicht wird, durch den Potenziator Ivacaftor häufiger geöffnet zu werden.
Durch die neue Kombinationstherapie können in der Praxis nun mehr Patienten kausal behandelt werden. Die Therapie ist ab einem Alter von zwölf Jahren zugelassen. Es wird außerdem bei Patienten angewendet, welche die F508del-Mutation nur von einem Elternteil geerbt haben und ferner eine weitere Mutation im CFTR-Gen aufweisen. Das beutetet, dass das Produktportfolio ausgeweitet wird. Orkambi® darf bei Patienten mit homozygoter F508del-Mutation zum Einsatz kommen. In diesem zugelassenen Anwendungsgebiet standen bisher nur symptomatische Therapien zur Verfügung.
Die nachfolgende Tabelle bietet einen Überblick über die verfügbaren Medikamente (Modifiziert nach Mukoviszidose e.V. ):
Handelsname
Wirkstoff(e)
Zulassung
Mutation
Ab welchem Alter
Kalydeco ®
Ivacaftor
2012
G551D, G1244E, G1349D, G178R,
G551S, S1251N, S1255P, S549N, S549R, R117H
4 Monate
Orkambi ®
Ivacaftor, Lumacaftor
2015
Zwei F508del-Mutationen
2 Jahre
Symkevi ®
Ivacaftor, Tezacaftor
2018
Zwei F508del-Mutationen oder eine F508del-Mutation in Kombination mit einer der folgenden: P67L, R117C, L206W, R352Q, A455E, D579G, 711+3A→G, S945L,S977F, R1070W, D1152H, 2789+5G Es→A, 3272-26A→G und 3849+10kbC→T
6 Jahre
Kaftrio ®
Ivacaftor, Tezacaftor, Elexacaftor
2020
Mindestens eine F508del-Mutation
12 Jahre
Mit der Dreifachkombination Kaftrio® (Ivacaftor, Tezacaftor und Elexacaftor) können auch erstmals Mukoviszidose-Patienten mit einer F508del-Mutation und einer sogenannten Minimalfunktions-Mutation behandelt werden. Das betrifft in Europa etwa 10.000 Patienten. Elexacaftor ist seit Juli 2020 zugelassen und macht diese Kombination erst möglich.
Die Kombi punktet mit signifikanten Verbesserungen der Marker der Lungenfunktion (ppFEV1) und der Lebensqualität. Um die langfristigen Ergebnisse zu bewerten, ist die Datenanalyse von Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien zur Behandlung von homozygoten und heterozygoten F508del-Mutationen von entscheidender Bedeutung.
Sicherheit und Wirksamkeit wurden in zwei Phase-III-Studien mit mehr als 500 Patienten untersucht. In beiden Studien war als primärer Endpunkt die absolute Veränderung des prozentualen forcierten Einsekundenvolumens (ppFEV1) definiert. In der ersten Studie mit Patienten, die heterozygot für F508del mit einer MF-Mutation waren, führte Kaftrio® im Vergleich zu Placebo zu einer statistisch signifikanten Verbesserung des ppFEV1 von 14,3 Prozentpunkten. In der zweiten Studie mit Patienten, die homozygot für die F508del-Mutation waren, führte die Behandlung im Vergleich zu Symkevi® zu einer statistisch signifikanten Verbesserung des ppFEV1 von 10,0 Prozentpunkten.
In einer Studie von Sutharsan et al. wurde die Dreierkombi mit der Zweierkombi Tezacaftor plus Ivacaftor unter dem Aspekt der Anwendersicherheit verglichen. Die Therapie mit Elexacaftor plus Tezacaftor plus Ivacaftor war sicher und gut verträglich und führte zu signifikanten und klinisch bedeutsamen Verbesserungen der respiratorischen Lebensqualität und Lungenfunktion, sowie zu einer verbesserten CFTR-Funktion. Diese hielt über 24 Wochen an und war zu denen überlegen, die bei dieser Patientenpopulation mit Tezacaftor plus Ivacaftor gesehen wurden.
Bei Kindern und Jugendlichen wurde unter Behandlungsregimen, die Ivacaftor enthalten, über Fälle von nicht kongenitaler Linsentrübung ohne Auswirkungen auf das Sehvermögen berichtet. Daher werden bei Kindern und Jugendlichen, die eine Therapie mit Kaftrio® oder Kalydeco® starten, vor Beginn sowie zur Verlaufskontrolle Augenuntersuchungen empfohlen.
Die CF Foundation setzt sich weiterhin dafür ein, inklusivere und wirksamere Behandlungsoptionen zu entdecken, die letztendlich zu einer Heilung für alle von CF betroffenen Patienten führen. Denn es besteht weiterhin Bedarf an erweiterten Indikationen für jüngere Kinder und an alternativen Darreichungsformen für diejenigen, die keine Tabletten schlucken können.
Interesse geweckt? Hier geht es zum nächsten Teil der Serie.
Bildquelle: Kyle Brinker, Unsplash