Neben Vitamin-D-Mangel und Rauchen wird das Epstein-Barr-Virus als möglicher Krankheitstreiber von MS diskutiert. Eine aktuelle Studie rückt das Herpesvirus in den Fokus.
Multiple Sklerose ist in Mitteleuropa eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Häufig tritt bei jungen Erwachsenen ab dem 20. Lebensjahr auf. Genaue Ursachen der Erkrankung sind bisher weitgehend ungeklärt. Nun hat das renommierte Fachjournal Science eine Studie veröffentlicht, die den Ursprung der Krankheit durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) näher in den Fokus rückt. Ist die Ursache von Multipler Sklerose nun endlich gefunden?
Schauen wir uns zunächst die Studie mal genauer an: Forscher haben im Rahmen einer 20-jährigen Längsschnittstudie über 10 Millionen junge Erwachsene US-Soldaten im Dienst untersucht – 955 wurden während ihres Einsatzes mit MS diagnostiziert.
Zunächst untersuchten die Forscher Blutproben von 801 MS-Fällen, die vor Krankheitsbeginn entnommen wurden. Verglichen wurden diese mit 1.566 Kontrollproben, um den EBV-Infektionsstatus zu untersuchen. Lediglich eine der 801 Individuen war EBV-negativ – alle anderen wiesen Antikörper gegen das Virus auf und hatten somit eine Infektion durchgemacht. Im Durchschnitt lag die Zeit zwischen Infektion und Diagnose bei etwa 7,5 Jahren. Dabei stieg das MS-Risiko um das 32-fache nach einer EBV-Infektion.
Das Besondere: Das Risiko an MS zu erkranken, stieg bei einer Infektion mit anderen Herpesviren nicht an. Dazu untersuchten die Forscher Infektionen mit dem Cytomegalievirus (CMV), das ähnlich wie EBV über den Speichel übertragen wird.
Die Konzentration von Neurofilament-Leichtketten im Serum (sNfL) werden als Biomarker für den neuroaxonalen Schaden untersucht; so steigt der Spiegel in Betroffenen bereits 6 Jahre vor Auftreten der Krankheit an – auch hier untersuchten die Forscher den Zusammenhang zur Infektion. Eine interessante Erkenntnis: Sie zeigten, dass Personen, die ursprünglich EBV-negativ waren, keine Biomarker für MS aufwiesen. So stieg der sNfL-Spiegel unmittelbar und lediglich nach der EBV-Infektion und daraus folgenden Serokonversion bzw. Antikörperbildung an.
Auch wenn viele Wissenschaftler diese Studie für ihr Design und die Methodik loben, ist der genaue zugrundeliegende Mechanismus, der für die Entstehung von MS verantwortlich ist, immer noch ungeklärt: Denn mehr als 90 Prozent der Menschen infizieren sich mit dem Virus, doch nur wenige erkranken an der neurodegenerativen Erkrankung und das, obwohl das Virus lebenslang im Körper persistiert. „Auch eine Reihe weiterer Umweltrisikofaktoren sind neben einer EBV-Infektion im Zusammenhang mit MS zu nennen: niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit im späten Kindes- beziehungsweise frühen Erwachsenenalter, Schichtarbeit beziehungsweise ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus in diesem Alter sowie bestimmte Darmbakterien.“, erklärt Prof. Roland Martin, Leitender Arzt der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich und Gruppenleiter mit Forschungsschwerpunkt MS und Neuroimmunologische Erkrankungen, gegenüber der SMC-Redaktion.
„Die Umweltfaktoren sind auf Ebene des einzelnen Faktors vermutlich wichtiger als die einzelnen Gene mit Ausnahme des DR15. Außerdem erhöht eine symptomatische EBV-Infektion – das Pfeiffersche Drüsenfieber, das bei einer EBV-Infektion nach der Pubertät und im frühen Erwachsenenalter auftritt – das Risiko noch einmal deutlich mehr.“
Doch kann man eine EBV-Infektion verhindern? „Eine Impfung gegen EBV im frühen Kindesalter oder auch später, das heißt solange man EBV negativ ist, wäre sehr sinnvoll, solange sie die Infektion wirksam verhindert“, erklärt Martin. Doch aktuell gibt es keine zugelassene Impfung gegen das Herpesvirus und die tatsächliche Ursache für MS bleibt weiterhin unbekannt; was ein dahingehenden Ansatz zur Abwendung der Krankheit erschwert. „Ob nun das EBV der wichtigste Umweltfaktor ist oder einer unter mehreren, kann die Studie meines Erachtens nicht abschließend klären“, so Martin.
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