BEST OF 2022 | Ich werde beschimpft und bedroht, weil ich während der Corona-Pandemie aus meinem Alltag von der Intensivstation berichte. Jetzt ziehe ich Konsequenzen.
Seit kurzem habe ich die Kommentare auf meinem Twitter-Account einschränken müssen. Warum, möchte ich hier erklären: Ich bin Facharzt für Anästhesie, arbeite als Intensivmediziner in NRW und bin auch als solcher auf Twitter aktiv. Die ARD und das ZDF haben mich mittels Quellencheck verifiziert. Einige der Ärztinnen und Ärzte bei Twitter kenne ich persönlich, mit manchen habe ich auch schon zusammengearbeitet.
Das hält manche nicht davon ab, zu bezweifeln, dass ich überhaupt Arzt bin.
Ich habe in den letzten Monaten lediglich berichtet, was auf unserer Station passiert, wie es uns geht. Ich habe von Covid-Fällen berichtet. Von Menschen, die mich mit Panik in den Augen voller Luftnot um Hilfe anflehten. Von letzten Anrufen, von verzweifelten Telefonaten, der Suche nach freien, bepflegbaren und geeigneten Intensivbetten. Von dem, was der Tod mit uns macht. Von dem, was bleibt, wenn der Monitor aus ist. Von der Sinnlosigkeit, Ungeimpfte sterben zu sehen, die sehr sicher noch leben würden, wenn sie sich hätten impfen lassen.
Ich bin Arzt und berichte auf Twitter von meinem Alltag. Das ist ein bisschen Psychohygiene, da kann ich mal Dampf ablassen, da finde ich aber auch Gleichgesinnte. Zusammen ist man weniger allein. Vor Corona hat das nur Wenige interessiert. Jetzt ist das anders.
Die erzählten Erlebnisse sind für manche unbequem, beunruhigend. Sie fühlen sich von meinen Berichten verängstigt, weil ich etwas anderes erzähle, als ihre nach Spenden bettelnden Priester auf Telegram, die ihnen was von Pharmamafia, DNA-Manipulation und 5G erzählen. Weil das nicht wahr sein darf, was ich und andere berichten, werden wir angefeindet. Für mich heißt es also: Kein einziger Tweet ohne „Eine neue Meldung zu @narkosedoc ist eingegangen.“ Und das seit Wochen. Jetzt musste ich erstmals einschränken, wer auf meine Tweets antworten darf, weil Querkdenker die Reichweite für sich nutzen möchten.
In den Kommentaren ist ein Potpourri wirrer Gedanken von Leuten, die unter der #Denkpest leiden und es selbst nicht merken. Die ihre eigene Verwirrtheit nicht merken – wie Menschen, die nach Schweiß stinken, es aber selbst nicht riechen.
Die unter anderem Dr. Marc Hanefeld (@Flying__Doc), Dr. Natalie Grams-Nobmann und mir vorwerfen, dass wir Teil einer Marketingagentur seien, also bestimmt gekauft. Weil es so besser in ihr Weltbild passt, weil sie sich dann nicht mit der unbequemen und komplexen Realität auseinandersetzen müssen. Ich bin ein einfacher Arzt und ich kann hier nicht mehr unter Klarnamen auftreten, weil ich dann um die Gesundheit meiner Familie fürchten müsste.
Was ist das für eine Freiheit? Merkt ihr, wer hier wen bedroht?
Ich verkaufe nichts, ich bettle nicht mal um Spenden wie die Apostel der Apokalypse in den Telegram-Kanälen. Ich bedrohe niemanden, sondern berichte lediglich von meinem Alltag. Meinem Alltag als Arzt in einem Krankenhaus.
Das (!) macht Menschen solche Angst, dass sie mich lieber mundtot machen wollen, als einzusehen, was ist. Ich kann nur erahnen, was passieren würde, wenn ich auf so einer Querdenkerdemo auftreten würde. Merkt ihr, was hier passiert? Was diese Leute mit uns machen?
Wie sie Gift in die Gesellschaft spritzen und uns – die vernünftige Mehrheit – beschuldigen?
Sie benutzen harmlose, euphemistische Wörter und beschmutzen sie für immer. Quer denken war mal was Lobenswertes. Frische Ideen, „think outside the box“ – wie mein Doktorvater sagte.
Wenn heute jemand fragt: „Machen wir einen Spaziergang?“, dann zucke ich bei der Frage. Was passiert da also mit uns? Und welche Begriffe werden diese Personen als nächstes durch ihre Jauche ziehen und beschmutzen?
Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich gerne Menschen in Not helfe. Ein pazifistischer Beruf, geprägt von Nächstenliebe. Als Dank wartet viel geballter Hass auf mich. Was soll das für eine Freiheit sein, in der ich Angst haben muss vor Radikalisierten, die wissenschaftliche Erkenntnisse mit erfundenen Geschichten aus dem Internet torpedieren? Die lassen sich lieber von ihren Leithammeln in die Irre führen. Demagogen, die noch die Dreistigkeit besitzen, ihre in die Irre geführten Schafe nach Spenden anzubetteln. Die aber eigentlich nur mit der Not der Leute Geld verdienen und ihnen als Ausgleich dafür immer neue Lügen erzählen.
Sie infizieren die Leute mit ihrer Angst. Die, die ihnen ins Netz gehen, merken oft erst spät, welchem Irrtum sie da erliegen. Manche merken es gar nicht und bestreiten bis zuletzt, dass es das Coronavirus gibt.
Im Internet fließt der Hass so leicht in die Tastatur. Da kann dann alles raus, der ganze Frust, die ganze geballte Wut. Ich zwinge euch doch gar nicht, das hier zu lesen. Geht in eure Telegram-Gruppen und spinnt euch da euer Leben zusammen, bis es euch passt.
Hauptsache, ihr haut ab. Ich möchte eure verwirrten Thesen nicht mehr lesen – und damit bin ich nicht allein.
Bildquelle: Jason Hafso, unsplash.